In der Bundesrepublik setzten sich rasch in politischer Rede und öffentlicher Diskussion Begriff und Figur des „Heimatvertriebenen“ durch – verstanden als durch Androhung und Anwendung massiver Gewalt ohne Handlungsalternativen unschuldig und unter Zurücklassung allen Hab und Guts aus dem Osten – also dort, wo der Feind im „Kalten Krieg“ stand – bei zahlreichen Todesopfern in den Westen – wo Schutz und Sicherheit geboten wurde und humanitäre Standards galten – gelangte Menschen. Sie hätten, wie die Verwendung des Begriffs Heimat zeigen sollte, weiterhin Rechte und Ansprüche auf Eigentum und Zugehörigkeit jenseits des „Eisernen Vorhangs“. In der SBZ hingegen befahl die Besatzungsmacht bereits im September 1945 die Verwendung des Begriffs „Umsiedler“. Weder über ihre Herkunft aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße noch über die Frage, unter welchen Umständen sie in die SBZ gelangt waren, galt es nachzudenken. Nur wenig später hießen sie „ehemalige Umsiedler“. Mit der Gründung der DDR schließlich forderte die Sprachpolitik die Verwendung des Begriffs „Neubürger“. In den 1950er Jahren wurde auch dieses Wort getilgt, die Integration für abgeschlossen erklärt, das Reden über Konflikte und Probleme war ebenso tabuisiert wie Debatten über Identität und Herkunftsbezüge.
Jedwede Effekte auf die soziale Ordnung der DDR leugneten Staats- und Parteiführung auch in Hinsicht auf die Beschäftigung von Arbeitskräften aus dem Ausland, wie sie in den 1970er Jahren Regierungsabkommen – Kuba 1978, Mosambik 1979, Vietnam 1980 – einleiteten. Verbrämt wurden sie meist als Ausbildungswanderungen, die sie aber nur zum Teil tatsächlich waren. In den 1980er Jahren stieg die Zahl der überwiegend jungen „ausländischen Werktätigen“ deutlich an. Von den 1989 ca. 190.000 ausländischen Staatsangehörigen in der DDR stellten neben Studierenden die bei Weitem stärkste Gruppe in DDR-Betrieben Beschäftigte (93.600). Von ihnen kamen 59.000 aus Vietnam und 15.000 aus Mosambik. Der Anteil der Männer dominierte, nur durchschnittlich 15 Prozent waren Frauen.
Die Arbeitskräfte aus „sozialistischen Bruderländern“ arbeiteten in der DDR meist in den von Einheimischen am wenigsten geschätzten Beschäftigungsfeldern in der Produktion, z. B. zu drei Vierteln im Schichtdienst. Wegen eines Rotationssystems mit strenger Befristung der Arbeitsverträge, des Verbots der Familienmigration, einer in der Regel ausgeprägten Segregation durch Unterbringung in Wohnheimen sowie einer autoritären Betreuung und staatlich verordneten Marginalisierung blieb die Distanz zwischen Zugewanderten und DDR-Bevölkerung groß. Die Handlungsmöglichkeiten der Migrantinnen und Migranten waren nicht nur aufgrund einer engen Bindung an die Betriebe, eines stark beschnittenen Kündigungsrechts und einer fehlenden Lobby beschränkt. Außerdem wurde ein Teil des Lohns direkt an die Regierung der Herkunftsländer oder erst nach der Rückkehr ausgezahlt. Öffentliche Diskussionen über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen waren ebenso wenig zugelassen wie Interessenvertretungen oder politische Partizipation.
Im Blick auf die Ausgangsfrage ließe sich folglich davon sprechen, dass die DDR eine Migrationsgesellschaft war, in der zentrale Organisationen – SED, Regierung, Sicherheitsapparat – zwar dauernd die Folgen von Migration für die soziale Ordnung reflektierten. Weil ihnen aber räumliche Bewegungen in vielerlei Hinsicht als Bedrohung galten, sollten nicht nur diese, sondern auch gesellschaftliche Debatten darüber eingedämmt werden. Es ließe sich mithin von einer repressiv formierten Migrationsgesellschaft sprechen, die zahllose Ambivalenzen und Widersprüche produzierte. Über sie und ihre langfristigen Folgen ist gar nicht so viel bekannt, wie man angesichts der intensiven Beschäftigung mit der Geschichte der DDR und den Effekten der Vereinigung der beiden deutschen Staaten meinen sollte.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.