„Die Erinnerungskultur empfinden viele Ostdeutsche als einseitig“

Florentine Nadolni über DDR-Kunstwerk

Ludwig Greven spricht mit Florentine Nadolni, der Leiterin des Kunstarchivs Beeskow und einer Sammlung von DDR-Alltagskulturgütern darüber, was diese Kunstwerke und Designstücke heute noch sagen können.

 

Ludwig Greven: Ein Archiv und Dokumentationszentrum der Kunst und Alltagskultur eines untergegangenen Landes – wen interessiert das drei Jahrzehnte nach der deutschen Einigung noch außer Ostalgikern und Kunsthistorikern?

Florentine Nadolni: Beim Kunstarchiv und der großen Sammlung an Gegenständen der Alltagskultur, die wir in Eisenhüttenstadt bewahren, die als DDR-Planstadt noch einmal eine besondere Rolle spielt, sprechen wir zunächst einmal von kulturhistorischen Beständen. Sie können Auskunft geben über die jeweilige Zeit, in der die Stücke und Werke entstanden sind. Eine solche Kombination von Kunst, Architektur und alltagskulturellen Zeugnissen von den 1950er Jahren bis zum Ende der DDR finden Sie an keiner anderen Stelle. Das sollte jeden interessieren, der sich mit Geschichte beschäftigt. Olstalgie ist keine Facette, die wir anstreben. Aber es sind natürlich auch erinnerungskulturelle Bestände.

 

Wie sind die beiden Archive entstanden?

Zustande gekommen sind sie nach der Einheit in der Zeit der Transformation, einer Zeit voller Umbrüche, in der die Parteien und Massenorganisationen, in deren Besitz die Kunstwerke waren, verschwanden. Organisationen wie der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) oder der Kulturbund der DDR hatten sie beauftragt oder angekauft. Die Frage war nun: Wohin damit? Zunächst wurden sie als Sondervermögen der Treuhand deklariert und später nach dem Fundortprinzip den neuen Bundesländern zugeordnet, je nachdem, wo sie sich befanden, viele in öffentlichen Gebäuden, z. B. in FDGB-Erholungsheimen. Damit waren sie auch immer Teil der Alltagskultur. Es brauchte einen Ort, um sie aufzubewahren. Sachsen hat den Kunstfonds in Dresden, Thüringen eine kleine Sammlung, Sachsen-Anhalt eine Verwaltung. Die Bestände von Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern kamen in das 80 Kilometer von Berlin entfernte Beeskow, wo Herbert Schirmer, der letzte Kulturminister der DDR, in den frühen 1990er Jahren begann, auf der Burg Beeskow ein Kulturzentrum zu etablieren.

 

Und wie entstand die Sammlung der Alltagskultur?

Andreas Ludwig, der aus dem Kontext der Geschichtswerkstätten kam, hat in den frühen 1990er Jahren begonnen, sie partizipativ aufzubauen. Nicht er entschied als Kurator, sondern er rief die Menschen auf: Bringt uns die Dinge, die ihr für aufbewahrungswürdig haltet. Ludwig nannte das „passives Sammeln“. Dabei war es wichtig, neben den Dingen auch die dazugehörigen Geschichten aufzunehmen.

 

Wenn man im Kontext mit der DDR von einem Archiv redet, denken viele vor allem im Westen an die Stasi-Unterlagen. Birgt das Kunstarchiv die schönere Seite der SED-Diktatur?

Es hieß zunächst Dokumentationszentrum zur Kunst in der DDR. Das zeigt das damalige Denken. Wir arbeiten gerade an einem anderen Namen, weil man Archiv mit Dokumenten und Schriftstücken verbindet, weniger mit Kunstwerken. Es gibt eine Vielzahl an Archiven, die Quellen zur Geschichte der DDR bewahren und aufbewahren. Allen voran das Bundesarchiv, in dem das Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) bearbeitet wird. Es gibt aber natürlich auch Stadtarchive, die ebenfalls interessant sind, wenn man auf die Geschichte der DDR schaut. Vieles andere, etwa von Kombinaten oder Verlagen, ist in der Umbruchszeit leider verloren gegangen. Das Kunstarchiv ist etwas Besonderes, weil der Bestand zufällig zusammenkam. Wir haben keine gewachsene Sammlung wie ein Kunstmuseum, sondern sind Ergebnis des Transformationsprozesses. Begründet in einer Zeit, in der man sich nicht groß mit Kunst und Alltagskultur aus der DDR befassen wollte, sondern sich in die neue Zeit begab. Auch die Alltagskultur verschwand schlagartig. Es gab einen großen Wunsch, sich einzurichten mit Produkten aus dem Westen, es gab eine starke Konsumdynamik, nachdem die D-Mark kam.

 

Was können uns die Alltagskultur und Werke von Künstlerinnen und Künstler aus der DDR heute noch sagen?

Das lässt sich nicht allgemein beantworten. Es gibt nicht die Kunst und Alltagskultur, nicht die Künstler und Künstlerinnen und Gestalter aus der DDR. Man muss sich jedes Werk einzeln anschauen, auch mit Blick auf die jeweilige Zeit der 1950er, 1960er, 1970er und 1980er Jahre. Wir haben z. B. im vergangenen Jahr im Rahmen einer Ausstellung zu 75 Jahre Kriegsende geschaut, was wir im Bestand jenseits der offiziellen Freundschaftsbekundungen zur Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten haben. Wir haben sehr viele Grafiken und Gemälde gefunden, die fernab eines ritualisierten, heroischen Gestus sind. Arbeiten zum Holocaust oder die an die damaligen Geflüchteten erinnern. Es ist eine sehr berührende Ausstellung geworden, die nichts an Relevanz verloren hat. Auch vieles andere hat immer noch Bestand. Eine gute künstlerische Arbeit ist zeitlos und kann zeitlos gelesen werden.

 

Es handelt sich beim Kunstbestand überwiegend um Auftragsarbeiten der Parteien, Organisationen, Kommunen. Inwiefern sind sie repräsentativ?

Sie sind in keiner Weise repräsentativ für das gesamte künstlerische Schaffen in der DDR. Das ist uns wichtig zu betonen. Nicht alle Arbeiten sind politisch. Es gibt propagandistische, affirmative Porträts von Lenin und Thälmann und auch Verherrlichung von Arbeiterinnen und Arbeitern, aber auch ganz frei gestaltete Werke, die man durchaus kritisch lesen kann. Daneben gab es dezidiert subversive Kunst, die wir nicht im Bestand haben. Aber auch Werke einiger bekannter DDR-Künstler haben wir nicht, da sie selbst für den FDGB zu teuer waren und international gehandelt wurden.

 

Das Kunstarchiv endet abrupt mit dem offiziellen Ende der DDR. Die Künstler haben aber ja nicht aufgehört, künstlerisch zu arbeiten.

Es ist unser dezidierter Ansatz, nicht an diesen vermeintlichen zeitlichen und territorialen Grenzen haltzumachen, sondern die Werke, Objekte, Themen über diese Grenzen hinaus und gegenwartsbezogen zu betrachten. Hierzu ist es wichtig, kooperativ und interdisziplinär vorzugehen und mit externen Kuratorinnen, Wissenschaftlern, Künstlerinnen sowie Studierenden zusammenzuarbeiten. Um eben bei Ausstellung diese Grenzen zu sprengen. Die Erinnerungskultur hat sich in den vergangenen 30 Jahren fast kanonisiert, vieles wird allein in den Grenzen von 1949 bis 1989 und von der Ostsee bis nach Thüringen betrachtet. Der Erkenntnisgewinn daraus ist endlich. Spannend wird es, wenn man schaut, was gleichzeitig in Westdeutschland, in Italien, Polen, in der Tschechoslowakei oder in Frankreich passiert ist. Es gab ja einen Austausch. Und kann man da dann allgemeine, internationale Tendenzen erkennen in der Kunst, im Design, der Architektur, der Alltagskultur?

Florentine Nadolni & Ludwig Greven
Florentine Nadolni ist Kulturwissenschaftlerin und Soziologin. Sie leitet das Kunstarchiv Beeskow und das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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