Die Courage der Andersdenkenden

Opposition in der DDR

Ein ähnliches Schicksal widerfuhr Werner Ihmels. Bereits damals spielte der 1. Sekretär des Zentralrats der FDJ, Erich Honecker, eine Rolle in der Sowjetischen Besatzungszone als Verfechter einer staatlich gelenkten, kommunistischen Jugendpolitik, gegen deren Zwanghaftigkeit sich Ihmels auflehnte. Seine Familie riet ihm, die SBZ zu verlassen und das Studium in Tübingen fortzusetzen. Am 11. September 1947, dem Tag seiner Abreise, wurde er auf dem Leipziger Hauptbahnhof durch Mitglieder des 1934 in der UdSSR gegründeten Volkskommissariats für innere Angelegenheiten (NKWD) verhaftet. Ihmels starb am 25. Juni 1949 im Speziallager 4 – Bautzen I, „Gelbes Elend“.

 

Die SED wollte nun auch die Kirche als politischen und gesellschaftlichen Faktor ausschalten. Das Politbüro beschloss am 27. Januar 1953 einen umfangreichen Katalog von Maßnahmen gegen die Jungen Gemeinden. Verleumdungskampagnen gipfelten in Vorwürfen wie Agententätigkeit für den Westen, Sabotage-, Kriegs- und Mordhetze. In einer großen Verhaftungswelle wurden zahlreiche Jugendliche und über 70 Theologen und Jugendleiter inhaftiert. Zu den damals bekannten gehörten die Studentenpfarrer Johannes Hamel in Halle und Georg Siegfried Schmutzler in Leipzig.

 

Mit dem Bau der Mauer 1961 war ein unüberwindbarer Fakt geschaffen worden. Eine sprachlose Lähmung ergriff die Menschen.

 

Trotz der staatlich geschaffenen Isolierung durfte die Macht der SED weiterhin nicht infrage gestellt werden. So ordnete beispielsweise Kulturminister Klaus Gysi eine Überprüfung alle Amateurbands an, da der Beat – angeblicher Ausdruck westlicher Unmoral – eine flächendeckende Begeisterung unter der Jugend auslöste. Ein Großteil der Bands, die sich ihre gespielten Titel nicht vorschreiben ließen, wurden verboten. Die Proteste dagegen bekamen eine politische Dimension. Am 31. Oktober 1965 versammelten sich in der Leipziger Innenstadt über 500 Jugendliche, um gegen das faktische Verbot des Beat zu protestieren. Flugblätter hatten dazu aufgerufen. Es kam zu brutalem Vorgehen der Sicherheitskräfte. Etwa 250 Jugendliche wurden verhaftet, viele davon in Jugendwerkhöfe eingeliefert.

 

Mitte der 1970er Jahre kam es am Berliner Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften zu einem Ereignis, das an die Säuberungen der 1950er Jahre erinnerte. Um den Philosophen Peter Ruben hatte sich eine Gesprächsgruppe gebildet, deren Ziel es war, die geistigen Grundlagen des DDR-Sozialismus zu verbessern. Nach dogmatischen Auseinandersetzungen, gesteuert durch die Zentrale Parteikontrollkommission, wurde die Gruppe zerschlagen, die Beteiligten aus der SED ausgeschlossen, strafversetzt und mit Publikationsverboten belegt.

 

Der Begriff „unabhängige Friedensbewegung“ kam in der DDR um 1980 auf, als sich Friedensgruppen bildeten, die auf die weitere Militarisierung der Gesellschaft reagierten, die im Zuge der Krisenbewältigung der SED diese als Vorwand nahm zur eigenen Stärkung der Verteidigungskraft der DDR. Zu den bedeutendsten Friedensgruppen, die gegen dieses Disziplinierungsinstrument opponierten, gehörte der Berliner Friedenskreis „Anstiftung zum Frieden“. Der „Arbeitskreis Erziehung zum Frieden“ der Evangelischen Studentengemeinde Rostock hatte sich bereits 1979 gegründet. Der „Friedenskreis Vipperow“, der „Altendorfer Friedenskreis“, die überregionale Initiative „Frieden 83“, um nur einige zu nennen, waren Netzwerke, die in die Aktionen des „Sozialen Friedensdienstes“ und der Bewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ einbezogen waren. „Wolfspelz“, eine der mutigsten Oppositionsgruppen, kristallisierte sich in Dresden heraus. Das Ministerium für Staatssicherheit bezeichnete diese Form der Opposition als „Aktivitäten reaktionärer imperialistischer Kreise im Sinne des Kreuzzuges gegen den Sozialismus (…)“.

 

Im März 1989 waren die Friedensgebete und andere Aktivitäten der Oppositionellen in Leipziger Kirchen von Protesten gegen die erneute Verhaftung von Václav Havel in der CSSR geprägt, im April reagierten sie auf die Lage von Wehrdienstverweigerern, am 7. Mai demonstrierten sie gegen offensichtlichen Wahlbetrug. Am folgenden Tag wurde zum Friedensgebet erstmals ein Polizeikessel um die Nikolaikirche gebildet.
Ende Juli begann ein Formierungsprozess der Opposition. Anfang September entstanden neue Organisationsformen, so Bürgerbewegungen wie „Neues Forum“ und „Demokratie jetzt“, politische Vereinigungen wie „Demokratischer Aufbruch“ und „Vereinigte Linke“. Sie lösten sich teilweise aus der Anbindung an die evangelische Kirche und beschleunigten den Aufbau ihrer Organisationen. Anfang Oktober bewirkte die Opposition, eine anwachsende Demonstrationswelle, eine massive Ausreisebewegung und damit letztendlich den Gewaltverzicht der SED am 9. Oktober in Leipzig. Mit dem Ende der DDR setzte das politische Ende der DDR-Opposition ein. Wenn auch die demokratische Opposition der DDR verschwand, bleibt der Kampf gegen ein totalitäres Regime ihr historisches Verdienst.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2020.

Regine Möbius
Regine Möbius ist Schriftstellerin.
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