„Dem Rechtsruck entgegenwirken“

David Schnell im Gespräch

Hat sich darauf die Neue Leipziger Schule entwickelt?
Das waren zwei Jahrgänge. Wir waren sehr dicht beieinander. Wir haben immer geschaut, was der oder die andere macht, haben uns gegenseitig im Atelier besucht und viel über die jeweilige Malerei geredet. Wir haben sehr intensiv gearbeitet, oft bis in die Nacht hinein. Wir haben uns alle zu Beginn des Studiums keine Gedanken darüber gemacht, wie wir später damit Geld verdienen. Dadurch dass wir ständig Aufgaben in den verschiedenen Richtungen und Techniken hatten, hatten wir selten das Gefühl, ins Schwimmen zu kommen. Als das Studium zu Ende ging, haben wir beschlossen, wir müssen etwas gemeinsam machen, damit es weitergeht, weil wir uns nicht darauf verlassen wollten, dass irgendein Galerist kam. Und die Situation war damals in Leipzig auch noch nicht so, dass die hier Schlange standen. Deshalb haben wir unsere eigene Produzentengalerie in Berlin gegründet.

 

Ein ungewöhnlicher Schritt.
Einer von uns hatte zufällig in Berlin einen freien Raum gesehen, der zu einem günstigen Preis zu mieten war. Die Idee war, dass wir weiter eine Aufgabe, ein Ziel hatten. Wir wussten, dann und dann ist eine Ausstellung. Also mussten wir dafür malen, die Bilder dorthin transportieren und hängen. Und wir waren nicht allein, wir blieben für eine Weile in dem Zusammenhang der Hochschule. Wir wollten nicht unbedingt als Gruppe auftreten, aber wir hatten den Vorteil, dass wir nicht einzeln wahrgenommen wurden, sondern als eine Reihe von Leipziger Malern.

 

Haben Sie sich den Namen Neue Leipziger Schule selbst gegeben?
Nein, er kam von außen und ist uns bis heute nicht so sympathisch, weil wir sehr unterschiedlich arbeiten. Das Einzige, was uns verbindet, ist, dass wir alle aus der figürlichen Malerei kommen. Jeder hat eine gewisse Abstraktion entwickelt, aber es ist doch ein mehr gegenständliches Malen. Der Raum, die Figur, der Gegenstand ist zumindest in Fragmenten zu erkennen.

 

Also passt der gemeinsame Name doch irgendwie?
Wir haben uns gegen ihn gewehrt. Aber es hat uns natürlich geholfen, dass es für uns als Gruppierung und Phänomen einen Begriff gab. Dadurch war das Interesse auch international größer.

 

Kamen von den Mitstudenten viele aus dem Westen, oder waren es überwiegend Ostdeutsche?
Ich schätze, es war 50 zu 50.

 

Sind Sie durch das gemeinsame Studieren und Arbeiten und die Galerie zusammengewachsen, als Vorbild auch für andere gesellschaftliche Bereiche?
Absolut. Wir waren alle in der gleichen Situation. Wir wussten nicht, wo es hingeht und wie wir mit unserer Kunst Geld verdienen konnten. Die Akademie war ein geschützter Raum. Was wir dort geschaffen haben, war nicht unbedingt gesellschaftlich relevant oder gesellschaftskritisch. Auch wenn später andere Einflüsse dazu kamen, waren wir keine politische Gruppe. Wir haben, jeder für sich, an etwas Abstraktem gearbeitet. Da machte es keinen Unterschied, wo man herkam.

 

Ist die Kulturszene Ost und West heute eins, oder merkt man da noch Unterschiede?
Wir Maler aus dieser Zeit können nicht abschütteln, wo wir gelernt haben und wo unsere Malerei herkommt. Die Frage ist, ob man das überhaupt abschütteln will.

 

Sind Sie stolz darauf, ein Leipziger Maler zu sein?
Ich glaube schon, dass das etwas Besonderes ist. Es war eine besondere Zeit und ein besonderer Ort, und dadurch ein spezielles Zusammentreffen von Leuten. Ich sehe das als Qualität. Das hatte allerdings unterschiedliche Phasen. Am Anfang haben wir uns darüber gar keine Gedanken gemacht. Dann kam der Erfolg, und alle haben uns beäugt, warum ist das Interesse an diesen Leipzigern so groß? Das ist doch alles nicht gesellschaftlich relevant, nicht fortschrittlich, sondern rückwärtsgewandt, lautete die Kritik. Da kam man schon ins Grübeln, stimmt das vielleicht, und man hat versucht, es ein wenig abzuschütteln. Jetzt aber, wo wir eine gewisse Distanz dazu haben und jeder seinen eigenen Weg geht und wir uns seltener treffen, sehe ich es nicht als Manko, sondern als Auszeichnung, zu dieser Leipziger Schule zu gehören.

 

Sie malen auf traditioneller Basis sehr modern, aber leben in Sachsen, wo es eine mächtige, sehr rückwärtsgewandte Bewegung gibt.
Damit setze ich mich gezwungenermaßen auseinander, weil die AfD hier so stark ist. Ein guter Freund von mir, der Maler Christoph Ruckhäberle, ist Professor an der Hochschule hier in Leipzig. Die AfD hat mal die Anfrage gestellt, wie viele Dozenten und Studierende mit Migrationshintergrund es da gibt. Da überlegt man sich, wo endet das, wenn sie in der Kulturpolitik und überhaupt in der Politik mitredet. Das bereitet allen Künstlerinnen und Künstlern hier große Sorge. Christoph Ruckhäberle, ich und andere haben uns deshalb zusammengetan und überlegt, wie man das aufhalten kann. Besonders prekär ist die Lage im ländlichen Raum und in den Kleinstädten. Wir haben solche Orte, die dortigen Jugendgruppen und kulturellen Initiativen besucht, die versuchen, dem Rechtsruck entgegenzuwirken, kleine Clubs und Vereine, die z. B. Konzerte veranstalten, und haben einen Förderverein „Land in Sicht“ gegründet, um sie zu unterstützen, gegen Rassismus und für Demokratie. Wir animieren besonders Kunstschaffende und Leute aus dem Kulturbetrieb, beizutreten und Geld zu spenden. Denn solche Initiativen haben nicht nur eine politische Funktion. Sie bilden auch Wurzeln für kulturelles Schaffen. Ich bin ja selbst mit solchen Gruppen aufgewachsen. Das bietet viel künstlerisches Potenzial, um den Horizont zu öffnen. Vielleicht auch wie bei mir in die künstlerische Freiberuflichkeit.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.

David Schnell & Ludwig Greven
David Schnell ist Maler. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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