„Das Publikum verstand das Ungesagte“

Das Kabarett DISTEL im Wandel der Zeit

Was bedeutete die Wende auch für das Programm und das Ensemble der DISTEL?

Im Prinzip hat die DISTEL weiter mit einem festen Ensemble gearbeitet. Nach der Wende waren es dann sechs fest beschäftigte Schauspielerinnen und Schauspieler. Mit der Zeit gingen einige Kolleginnen und Kollegen in Rente, sodass auch zunehmend mit Gastschauspielern gearbeitet wurde und wird.

Wir spielen immer mit drei bis maximal fünf Schauspielern und zwei bis maximal drei Livemusikern. Das ist etwas, was uns von anderen Kabaretts abhebt: Wir sind das größte Ensemble-Kabarett in Deutschland und spielen immer mit Livemusik.

Natürlich musste man nach der Wende sehen, wie die DISTEL sich als politisches Kabarett positioniert. Plötzlich war ja sozusagen alles erlaubt, man konnte alles infrage stellen. Ein, zwei Jahre nach der Wende schwamm man noch auf der Welle von 1989 mit. Danach musste eine Antwort auf die Frage gefunden werden: Womit kriegen wir die Leute wieder ins politische Kabarett?

Bis heute gibt es für jedes neue Programm einen Head-Autor und mehrere weitere Schreibende sowie Komponisten und Arrangeure. Ein Programm erlebt 150 bis 200 Aufführungen und wird ständig überarbeitet, den aktuellen politischen Erfordernissen angepasst. So läuft das Programm ca. zwei Jahre. Da passiert natürlich eine Menge in der Welt. Die Politik gibt uns die besten Handlungsvorlagen, die wir investigativ recherchieren und verarbeiten.

Mittlerweile haben wir uns weitestgehend vom reinen Nummernprogramm verabschiedet. Wir spielen verstärkt Kabarettkomödien, die eine in sich geschlossene Handlung haben. Dabei werden die Probleme der Menschen, die im Zuschauerraum sitzen, aufgegriffen und aufgeführt, sodass sie sich, ihren Alltag, wiedererkennen. Und das natürlich alles mit einem kleinen Augenzwinkern. Der Berliner Flughafen war z. B. lange Zeit ein beliebtes Thema.

Zudem zeigen wir musikalische Programme, die wesentlich stärker auf Cover-Songs und eigene Kompositionen setzen.

Unsere Programme beschäftigen sich aber ebenso mit brisanten überregionalen, bundesweiten, europäischen und weltpolitischen Themen, wie z. B. die Klimakrise oder die Flüchtlingsproblematik. Wir positionieren uns immer sehr stark – vor allem gegen Rechts. Das ist vollkommen klar. Das ist unsere Überzeugung und das sehen wir auch als unseren Auftrag.

 

Für die DISTEL als privatfinanziertes Theater stellten die Einschränkungen durch die Coronapandemie einen starken Einschnitt dar. Wo steht die DISTEL heute anderthalb Jahre nach Beginn der Krise?

Die Coronazeit war für uns, wie für alle anderen Bühnen der Republik auch, ein massiver Einschnitt. Ab 13. März 2020 ging kein Vorhang mehr auf. Wir haben uns in dieser Zeit bemüht, alle Förderprogramme von Senats- und Bundesseite in Anspruch zu nehmen. Das ist uns auch in weiten Teilen gelungen. Und wir haben nahezu alle Kolleginnen und Kollegen auf Kurzarbeit gesetzt.

Im Oktober konnten wir für acht Vorstellungen den Vorhang kurzzeitig aufgehen lassen. Im November brach alles wieder zusammen, sodass wir von November bis Juni nicht mehr gespielt haben. In dieser Zeit produzierten wir kleinere Kabarettstücke und Podcasts für das Internet.

Von Juni bis August spielen wir einige Vorstellungen open air im Nikolaiviertel und in der Parkbühne in Biesdorf.

Ich hoffe sehr, dass wir ab 19. August das Theater öffnen werden. Wir beginnen vorsichtig mit vier Veranstaltungen in der Woche. Erst mal abwarten, wie das Publikum reagiert. Wir hoffen sehr, dass uns die Zuschauer die Treue halten.

Die Zeit des Nicht-Spielens haben wir genutzt, um das Theater hygienetechnisch aufzurüsten, die Belüftung und die Sichtachsen entscheidend zu verbessern.

Von September bis Dezember präsentieren wir drei Programme, die sich alle mit der Deutschland-Thematik befassen: Das erste startet im September, das zweite folgt im Oktober und die letzte Premiere findet im Dezember statt.

Alle Programme, die für 2020 geplant waren, mussten eingestampft werden. Die Texte wurden nahezu komplett neu erarbeitet. Die Zeit und auch die Menschen haben sich verändert. Hochbrisant für uns ist natürlich die Wahl.

 

Die Daumen sind fest gedrückt. Welche Bedeutung kommt der DISTEL heute im gesamtdeutschen Kabarettbetrieb zu?

Die DISTEL ist trotz ihres Alters und der vielen Wandlungen, die sich innerhalb des Kabaretts vollzogen haben, als Marke konstant geblieben – wir zeigen politisches Kabarett, sozusagen als „Stachel am Regierungssitz“.

Vor Corona absolvierten wir pro Jahr rund 80 Gastspiele in ganz Deutschland und der Schweiz – das machte uns nach der Wende sehr bekannt.

Zunehmend kommen auch jüngere Leute zu uns. Wenn sie erst mal drin sind, wissen sie dann auch: Es ist nicht dröges Politgebabbel, sondern exzellentes und vergnügliches Kabarett, und für die Lehrer sogar noch mit politischem Bildungsauftrag. Viele Schulklassen aus dem gesamten Bundesgebiet besuchen uns. Es macht richtig Spaß, die jungen Leute zu sehen. Ich freue mich immer, wenn man von oben in den Saal guckt und die Displays der Handys sind dunkel. Das ist ein gutes Zeichen.

Darüber hinaus bemühen wir uns, weitere Publikumskreise  zu akquirieren. Dabei haben wir es, wie alle Privattheater im kulturellen Berliner Haifischbecken, natürlich ein bisschen schwerer als die staatlich subventionierten Theater, die häufig mit Preisdumping Zuschauer ziehen. Wir können mit solchen Preisen nicht operieren, da wir von den Einnahmen leben, die wir für die Kunst, das Personal, die Werbung, die Investitionen und laufenden Kosten verwenden. Das Überleben ist für uns schwieriger. Im Übrigen nicht nur für die DISTEL. Es gibt in Berlin ja noch andere rein private Theater und viele selbstständige Künstler. Durch die Hilfsprogramme konnten wir uns bislang relativ gut über Wasser halten. Wir hoffen, dass die Fördermaßnahmen weitergehen. Der Stellenwert von Kultur ist in der Politik noch nicht überall angekommen.

Denn wir glauben nicht, dass es wieder von null auf hundert geht – mit dem Publikum und entsprechend auch mit den Einnahmen. Es bedarf sicher einiger Zeit. Das Publikum muss wieder Vertrauen in die Sicherheit im Theater gewinnen. Gerade im Sommer 2021 sitzen die Leute nach den Einschränkungen der Pandemie lieber im Biergarten oder holen die ausgefallenen Reisen nach. Viele haben über anderthalb Jahre gesehen, dass es auch ohne Kultur geht. Dieses Interesse an der Kultur, am Kabarett müssen wir wieder wecken. Und da haben wir spannende Vorhaben für das letzte Quartal 2021. Ich hoffe und wünsche sehr, dass das Publikum das anerkennt und ins Haus kommt.

Ich wünsche mir auch, dass Medien und Kritiker den Fokus wieder mehr auf Privattheater, ihre Situation und ihren künstlerischen Output richten. Wir jedenfalls freuen uns auf den Re-Start und auf unser Publikum.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.

Astrid Brenk & Theresa Brüheim
Astrid Brenk ist Geschäftsführerin der DISTEL. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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