Lebendige Kultur- und Wirtschaftsstandorte

Eine Triologie zu Industriebauten und ihren Architekten

 

Viele Jahre später einzuordnen ist der Anbau des Feuerlöschgerätewerks in Apolda, das zusammen mit dem Bestandsbau heute, dem Name des Architekten folgend, als Eiermannbau bekannt ist. Ursprünglich als Textilfabrik genutzt, wurde das Gebäude 1907 vom Apoldaer Architekten Hermann Schneider für die Weberei Borgmann & Co. entworfen und erbaut. Mitte der 1930er-Jahre musste sie aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten schließen, und so erwarb die bis dato in Berlin ansässige Firma „Total Kommanditgesellschaft Foerstner & Co.“, die Feuerlöschtechnik produzierte und aufgrund günstiger Expansionsbedingungen ihren Firmensitz verlegen wollte, das Gelände. Der Inhaber Waldemar Foerstner beauftragte 1938 den 34 Jahre jungen Berliner Architekten mit dem Umbau des Bestands und seiner Erweiterung.

 

Egon Eiermann (1904-1970) hatte an der technischen Hochschule in Berlin Architektur studiert und war Meisterschüler Hans Poelzigs, gehörte also, seinem Lehrer folgend, den Vertretern des neuen Bauens an. Als Sohn eines Maschinenbauers sah er Architektur als Maschine, hatte das gestalterische Ziel, Technik und Kunst zu verbinden, und suchte in jeder Erfindung eine Verbesserungsfähigkeit. So auch beim Apoldaer Beispiel, wo er die vorhandene dreieinhalbgeschossige Eisenbeton-Skelettbaukonstruktion zwar fortführte, im Detail aber eine Neuinterpretation schuf, die aus der alten Fabrikationsstätte eine moderne Fabrik entstehen ließ, bei der – auch hier – nicht mehr das Produkt im Vordergrund stand, sondern der arbeitende Mensch. In seinem durch die großen, modernen Stahlrahmenfenster lichtdurchfluteten Anbau, der mit dem ehemaligen Fabrikationsgebäude zu einem Ganzen verwoben wurde, entstand in der obersten Etage nicht etwa das Büro der Firmenleiter, sondern eine großzügige Betriebskantine. Neu und einzigartig für einen Industriebau war auch die Dachterrasse, die mit ihrem großen, fliegenden Dach die vielfach auftauchende Assoziation eines Kreuzfahrtschiffs komplettiert.

 

Der kurz vor dem Zweiten Weltkrieg vollendete Bau wurde bis 1942 für die Herstellung von Feuerlöschgeräten und anschließend für die Kriegsproduktion genutzt. Nach Kriegsende entstand hier ein volkseigener Betrieb, der weiter Feuerlöscher fertigte, mit der Wende jedoch stagnierte und ab 1994 zum Leerstand des Eiermannbaus führte. Bereits fünf Jahre später konnte der weitere Verfall des Fabrikbaus durch den Verein „Freunde des Eiermannbaus“ verhindert werden, noch ehe der temporäre Eigentümer Gesellschaft zur Entwicklung und Sanierung von Altstandorten (GESA) im Jahr 2010 bis 2011 eine grundständige Sanierung durchführte. Schon zu dieser Zeit entstand der Gedanke zur Nutzung als Kulturfabrik, der Verbindung musealer und gewerblicher Nutzungsformen und dem Kreieren einer Plattform für Industrie und Kultur.

 

2014 wurde der Eiermannbau zum Kandidaten der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen, die ein Finanzierungs- und Nutzungskonzept für eine Open Factory erarbeitete, auf dessen Grundlage die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) das Gebäude im Dezember 2017 erwarb. Modellhaft für den Umgang mit Leerstand steht hier die Zusammenarbeit der beiden Landesgesellschaften, IBA Thüringen und LEG Thüringen, mit der Form der Anhandgabe; wobei die IBA Thüringen bis 2023 Entwicklerin des Projekts ist. Sie arbeitet mit innovativen Aktivierungsformaten, wie öffentlichen Veranstaltungen und künstlerischen Aneignungsprozessen, die eine nachhaltige Nutzung des Eiermannbaus als Open Factory zum Ziel hat. Die Bereiche Bildung, Produktion, Kulturelles und Soziales vereinend, ist der Eiermannbau nicht nur ein Ort der Begegnung und des produktiven Austauschs, sondern auch Beispiel für einen möglichen Fortbestand von industriellen Denkmälern, in denen Produktion neu definiert wird.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 5/20 erschienen.

Riccarda Cappeller
Riccarda Cappeller ist Architekturjournalistin mit Fokus auf Projekten mit sozialem Hintergrund und neuen Nutzungsformen sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leibniz-Universität Hannover.
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