Lerne lachen, ohne zu weinen
Eine andere Strategie, diese existenziellen Erfahrungen zu verarbeiten, verfolgen zwei Spielfilme: „I love Vienna“ (1991) von Houchang Allahyari, Jahrgang 1941, und „Salami Aleikum“ (2009) von Ali Samadi Ahadi, geboren 1972. Beide Filme nehmen das Aufeinanderprallen von Menschen aus verschiedenen Kulturen und ihrer Wertemaßstäbe mit Humor – trotz oder gerade wegen der daraus resultierenden Spannungen und Missverständnisse. „I love Vienna“ handelt von dem iranischen Deutschlehrer Ali Mohammed, der mit seiner Schwester Maryam und seinem Sohn Kurosh nach Wien kommt, damit der jugendliche Sohn nicht zum Militär muss. Zugleich erfüllt sich für den Vater ein alter Traum, denn nun lernt er Wien, das er in den „Sissi“-Filmen gesehen hat, endlich kennen. Doch die Stadt entspricht nicht seinen Vorstellungen. Und auch das beengte Leben in einem kleinen Hotel mit anderen Neuankömmlingen und der fremde Lebensstil überfordern den religiösen Iraner. Ein Lichtblick ist Marianne, die Wirtin des Hotels, mit der Ali eine „Zeitehe“ eingeht. Als er erfährt, dass sie die Ehefrau des Hoteliers ist, trennt er sich von ihr. Und da gibt es noch Djamshid, Alis Neffen, der in Wien aufgewachsen ist und seinem Onkel hilft, eine Aufenthaltsgenehmigung für Österreich zu erlangen. Weil die Chancen nicht gut sind, versucht Ali ein Visum für die USA zu erhalten. „I love Vienna“ pendelt gekonnt zwischen komischen Begebenheiten und der Darstellung des tristen Alltags von Menschen, deren Neuanfang stark von Entscheidungen anderer abhängt.
„Salami Aleikum“ stellt Parallelen zwischen den Erfahrungen von Migranten und denen früherer DDR-Bürger her. Mohsen Taheri lebt, obschon Ende Zwanzig, noch bei seinen Eltern in Köln, wo der Vater eine Fleischerei besitzt. Als diese wegen eines behördlichen Verbots geschlossen werden soll, übernimmt Mohsen das Geschäft, obwohl er kein Blut sehen kann und der Vater auch nicht viel von seinem sensiblen Sohn hält. Da kommt das Angebot, fertig geschlachtete Schafe aus Polen zu kaufen. Mohsen fährt los, hat im ostdeutschen „Oberniederwalde“ eine Autopanne und lernt Ana, eine Automechanikerin und frühere DDR-Kugelstoßerin, kennen und lieben. Die Einwohner, vor allem Anas Vater, der Dorfwirt, lehnen ihn ab. Das ändert sich erst, als durch ein Missverständnis der Eindruck entsteht, Mohsen wäre reich und könnte den nach der Wiedervereinigung 1990 stillgelegten VEB „Textile Freuden“ wieder ins Leben rufen. Als seine Eltern aus Köln anreisen, werden sie vom Dorf als potenzielle Investoren empfangen. Erst spät klärt Mohsen, der Ana heiraten will, den Dorfwirt über die wahren (Besitz-)Verhältnisse seiner Eltern auf, die durch die Einwanderung in die Bundesrepublik – genauso wie die Eltern von Ana durch die Wende – gezwungen wurden, sich quasi neu zu erfinden.
„Salami Aleikum“ arbeitet stark mit Übertreibungen. Mohsens Vater wirkt fast wie eine Karikatur. Es gibt Tanz- und Gesangseinlagen auf Persisch. Orientalische Märchenelemente tauchen auf. Dies alles unterstreicht aber letztlich die Hoffnung des Films auf ein friedliches Zusammenleben der Menschen. So heißt es am Ende aus dem Off: „Eine verloren gegangene Heimat kannst du nur dann wiedergewinnen, wenn du sie dir neu erschaffst. Eine Heimat, in der du dich als Teil des Ganzen fühlst, in der du sein kannst, wie du bist, und in der du dich mit all deinen Schwächen und Stärken einbringen darfst. Wenn du das geschafft hast, ja, dann bist du wirklich zu Hause angekommen.“
Kontrastierend zu den zwei literarischen und zwei filmischen Arbeiten soll zum Schluss noch eine Autorin genannt sein, deren Werk zuletzt in der Bundesrepublik mit Recht einige Aufmerksamkeit und mit dem LiBeraturpreis 2017 auch eine Würdigung erfahren hat: Fariba Vafi, geboren 1963, ist nicht ausgewandert, sondern lebt mit ihrer Familie in Teheran. In ihren ins Deutsche übersetzten Romanen „Kellervogel“ (2012) und „Tarlan“ (2015) schildert sie mikroskopisch und nüchtern das bedrückende Leben meist junger, starker Frauen vor dem Hintergrund der Islamischen Revolution, in kleinbürgerlichen Verhältnissen und in „Tarlan“ auch das Leben als Nicht-Perserin.
Vafi gehört der Ethnie der aserbaidschanischen Türken an, die mit den anderen turksprachigen Menschen im Land 40 Prozent der iranischen Bevölkerung stellen. Es ist Vafis Verdienst, in „Kellervogel“ die alltäglichen Anforderungen und Schwierigkeiten aufzuzeigen, die die Ausreise einer Mutter und ihrer Kinder verhindern. In „Tarlan“ gelingt es ihr, den Blick zusätzlich auf die Probleme zu lenken, die im Vielvölkerstaat Iran für die nicht-persischen Ethnien bestehen. Ihre Sprachen und Kulturen zu pflegen garantiert ihnen zwar die Verfassung der Islamischen Republik. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus.
Betrachtet man die hier vorgestellten Romane, Autobiografien und Filme, geht es ihnen primär um ein Rekonstruieren und Vergegenwärtigen dessen, was Individuen – stellvertretend für eine größere Gruppe von Iranerinnen und Iranern – vor, während und nach der Revolution beziehungsweise ihrer Auswanderung widerfahren ist. Wir lernen Menschen kennen, die Opfer von Diktatur, Umwälzung und Krieg geworden sind. Zugleich sind es Menschen, die die Kraft aufbringen, Heimat, Familie und Freunde zu verlassen, in der Fremde ein zweites Leben zu beginnen und im besten Fall ein neues Zuhause zu finden. Insofern stellen diese Werke in ihrer Art (Selbst-)Therapien und Erfolgsgeschichten in einem vor, zeigen sie Bewältigungsstrategien mit Ernst und Witz auf.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2019.