Wer sind die Sorben?

Eine Minderheit mit Tradition

Im Zuge der Völkerwanderung besiedelten ab dem 7. Jahrhundert slawische Stämme das Land östlich von Elbe und Saale bis hin zur Oder. Dazu zählen auch die Milzener und Lusizer, deren Nachfahren die Lausitzer Sorben sind.

 

Im 10. Jahrhundert verloren die als Elbslawen bezeichneten Siedlungsverbände ihre politische Unabhängigkeit. Beginnend mit der großen Kolonisationswelle deutscher Siedler im 12. bzw. 13. Jahrhundert verschwand außerhalb der beiden Lausitzen bis 1600 nahezu alles Slawische. Nur ein Teil der Orts- und Familiennamen erinnert heute noch an diese Epoche. Kaum jemandem ist bewusst, dass in den Städtenamen Berlin, Leipzig oder Dresden slawische Wortwurzeln stecken. Nur in der Lausitz blieb bis heute die sorbische Sprache lebendig. Derzeit schätzt man die Anzahl der Sorben auf 60.000. Sie sind keine Fremden, sondern als autochthones Volk ein wesentlicher und prägender Teil der Geschichte dieser Region. Sie zählen neben den Friesen, Dänen, Sinti und Roma zu den vier von der Bundesrepublik Deutschland anerkannten nationalen Minderheiten.

 

Die Verfassungen des Freistaates Sachsen und des Landes Brandenburg bilden heute die gesetzliche Grundlage zur Förderung der Sorben in den beiden Bundesländern, in welchen sie hauptsächlich beheimatet sind.
Im 16. Jahrhundert entstanden zwei standardisierte Schriftsprachen: Niedersorbisch und Obersorbisch. Entsprechend der Sprache wird das sorbische Volk in Nieder- und Obersorben mit ihren Siedlungsschwerpunkten um Cottbus bzw. um Bautzen eingeteilt. Für die Entwicklung der Nationalkultur war die Schriftwerdung der Sprache existenziell.

 

Die größte Herausforderung der Gegenwart ist der Erhalt und die Stabilisierung von sorbischen Sprachräumen, auch vor dem Hintergrund von Digitalisierung und dem Einsatz neuer Medien.

 

Eine Reihe von Institutionen, Vereinen und Einrichtungen trägt zur Forschung, Pflege und Wahrung der sorbischen Kultur und Sprache bei. Nationale Identität erwächst in erster Linie aus der Kulturleistung eines Volkes. Diese besteht aber nicht nur aus dem kulturellen Erbe, sondern schließt in gleichem Maße das Zeitgemäße als Ausdruck eines lebendigen Prozesses und der Fortentwicklung ein. Die professionelle sorbische Kunst in ihrer Vielfalt – Literatur, Musik, bildende und darstellende Kunst – war seit jeher eine starke Triebfeder der geistigen und kulturellen Entwicklung in Richtung europäische Moderne.

 

Brauchtum und religiöse Traditionen wie etwa die Vogelhochzeit, das Zampern oder das Osterreiten sind freilich starke Identifikationsfaktoren, bergen in sich aber auch die Gefahr, zu Stereotypen zu verkommen, wenn die emotionale Bindung durch Sprache, Religion oder Bewusstsein nicht mehr gegeben ist. Der Eintrag der sorbischen Bräuche in das Bundesweite Verzeichnis immateriellen Kulturerbes der UNESCO im Jahr 2014 war ein wichtiger Schritt zur Anerkennung sorbischen kulturellen Erbes. Dabei hat die enge Verschmelzung von christlichem Glauben und Nationalität in der sorbischen Kulturgeschichte einen besonderen Stellenwert. Sprache, Volkstrachten und religiös geprägte Bräuche haben im Rahmen der Kirche Jahrhunderte überdauert. Das lebendige Fortführen von Bräuchen ist bis heute eine Art kollektives Bekenntnis der Akteure zu ihrer sorbischen Herkunft und erzeugt Heimatverbundenheit und sozialen Zusammenhalt.
Die junge Generation bekennt sich heute selbstbewusster denn je zu ihren Wurzeln. Gleichzeitig fühlen sich junge Sorben durchaus als moderne, mehrsprachige Europäer, als Grenzgänger zwischen den Kulturen. So begegnet man vielmehr dem Phänomen eines Paradigmenwechsels in Bezug auf den Begriff nationale Identität. Auf der Grundlage von unzähligen Möglichkeiten in beruflicher Orientierung und Mobilität in einer globalisierten Welt entstehen neue, multiple Identitäten. Gerade hier wird der Gebrauchswert der Muttersprache auf den Prüfstand gestellt. Um sie zu bewahren und zukunftsfähig zu machen, muss vorrangig das Image der Sprache gehoben und gestärkt werden.

 

Diesen Herausforderungen stellt sich das Sorbische Museum. Neben den klassischen Aufgaben Sammeln, Bewahren, Erforschen und Vermitteln steht das Haus vor einer doppelten Aufgabe: der bewussten Identitätsstärkung der sorbischen Ethnie und der intensiven Vermittlungsarbeit gegenüber der Mehrheitsbevölkerung für ein Miteinander und zur Überwindung sogenannter „Schwellenängste“. Zu seinem Auftrag gehört, die sprachliche und kulturelle Vielfalt als gesellschaftlichen Mehrwert in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.

 

Die Entwicklung der sorbischen Kulturgeschichte ist geprägt von einer jahrhundertelangen Tradition interkultureller Vernetzung, vorwiegend mit den slawischen Nachbarn. Heute eröffnet die Kooperation von ethnischen und linguistischen Minderheiten im musealen Bereich neue Perspektiven, die das Sorbische Museum aktiv mit europäischen Partnern umsetzt. Die Sorben verstehen sich als die sprachliche und kulturelle Brücke zwischen West und Ost, ein Vorzug, der noch bewusster und dynamischer wahrgenommen werden sollte.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 01-02/2019.

Christina Bogusz
Christina Bogusz ist Direktorin des Sorbischen Museums in Bautzen.
Vorheriger ArtikelDies- und jenseits der Neiße
Nächster ArtikelTeilhabe für alle