TPP – Schlimmer als wir befürchtet haben

Wer wissen will, was Handelsabkommen wie TTIP bringen, sollte in die USA schauen. Dort tobt der Streit um das pazifische TPP – weil es die freie Nutzung des Internets erschweren, Medikamente verteuern und die Rechte der Konzerne stärken wird

Bekommt TPP eine Mehrheit, wird das für Kulturschaffende und die Open Source Bewegung Folgen haben. Denn auch für sie schafft das Abkommen neue Regeln, beispielsweise im Urheberrecht. Es verpflichtet beispielsweise die Regierungen viel stärker als bislang, gegen Verstöße vorzugehen, sie gar zu kriminalisieren. Oder: Es verlängert den Urheberschutz auf (die in Deutschland üblichen) 70 Jahre. Man kann Letzteres sogar gut finden. Aber ist es etwas, was nebenbei in einem viele tausend Seiten langen Handelsvertrag geregelt werden sollte? Traditionell wurde die Frage, wie lange ein künstlerisches Werk geschützt sein soll, von Regierungen und Parlamenten beantwortet, nach öffentlichen Debatten. Denn genau das ist ja das Wesen der Demokratie: die Suche nach gesellschaftsverträglichen Lösungen, die immer wieder reformiert und den Zeitläufen angepasst werden können. Genau so etwas wird jedoch durch Handelsabkommen schwieriger, wenn nicht gar unmöglich. Durch Abkommen wie TPP werden Regeln für lange Zeit quasi unwiderruflich festgeschrieben. Denn wenn sich ein Land durch einen Handelsvertrag zu etwas verpflichtet, kann es das nicht mehr im Alleingang rückgängig machen. Es verringert sich also der politische Spielraum – ohne dass die Betroffenen das vorher breit und öffentlich diskutieren konnten.

 

Bei TPP hat das eindeutig den großen Konzernen genutzt, allen voran den amerikanischen Softwaregiganten. Sie hatten ganz offensichtlich den besseren Zugang zu den Handelsexperten als die Vertreter der Open Source Bewegung oder gar Datenschützer, viele ihre Wünsche tauchen nämlich nun in den Paragraphen des Abkommen auf. Tritt es in Kraft, können die Regierungen der beteiligten Länder von ihnen beispielsweise nicht mehr verlangen, Kundendaten im Land aufzubewahren oder gar die Verarbeitungszentren dort anzusiedeln. Apple, Facebook, Google oder Microsoft können ihre Speicherzentren dort bauen, wo ihnen die Gesetze am günstigsten erscheinen, der Schutz der Privatsphäre am niedrigsten ist.

„Durch Abkommen wie TPP werden Regeln für lange Zeit quasi unwiderruflich festgeschrieben.“

Diese Möglichkeit läuft all dem zuwider, was der Europäische Gerichtshof unlängst entschieden hat: Weil er die persönlichen Daten von Europäern in den USA nicht sicher aufbewahrt befand, hat er das sogenannte Safe-Harbor-Abkommen, das den Datentransfer in die USA bisher erlaubt hat, für unwirksam erklärt. Finden die EU-Kommission und die US-Regierung nicht bald eine neue Lösung, müssen die großen US-Konzerne ihre Dienste anpassen. Entweder, indem sie die Informationen über ihre europäischen Nutzer in der EU speichern oder indem sie die fraglichen Dienste hier deaktivieren. Für die Handelspolitik bedeutet das: Klauseln wie die des TPP-Vertrages dürfte die EU-Kommission schon wegen des fehlerhaften Datenschutzes niemals abschließen. Nun steht ein Beitritt der EU zu TPP ja auch nicht zur Debatte. Dennoch werden die USA versuchen, möglichst viele Elemente dieses Abkommens auch im transatlantischen TTIP durchzusetzen – oder, wenn das dort nicht gehen sollte, später in dem geplanten Dienstleistungsabkommen TiSA. Das wird in Genf verhandelt, dabei sind 50 Länder und natürlich (vertreten durch die EU) auch Deutschland.

 

Bei TPP, so schreibt Jo Stiglitz, gehe es gar nicht um „freien Handel“. Und kritisiert noch einmal besonders vehement ein Vorhaben, das auch in Deutschland besonders stark umstritten ist. Den Investorenschutz (ISDS). Auch hier wirft der TPP-Vertrag ein Schlaglicht auf die amerikanischen Wünsche. ISDS ermöglicht ausländischen Investoren, Staaten vor privaten Schiedsstellen auf Schadensersatz zu verklagen. Es gibt diese Möglichkeit schon länger, sie steht in vielen Handelsverträgen. Lange war das kein Problem, doch in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Verfahren stark gestiegen. Große Kanzleien haben dieses Feld als lukratives Geschäftsgebiet entdeckt und raten großen Unternehmen offensiv zu Verfahren vor den privaten Schiedsgerichten. Mit guten Argumenten, dort können die Konzerne oft höhere Summen herausschlagen als vor nationalen Gerichten. Und ganz nebenbei lassen sich so auch noch Gesetze zum Schutz von Umwelt und Gesundheit aushebeln oder verhindern.

„Klauseln wie die des TPP-Vertrages dürfte die EU-Kommission schon wegen des fehlerhaften Datenschutzes niemals abschließen.“

Die EU-Kommission hat inzwischen ein wenig auf die massiven Proteste gegen die privaten Schiedsgerichte reagiert. Sie will sie künftig durch ein öffentliches Gericht ersetzen, zudem ihre Zuständigkeit einschränken und so abstruse Verfahren und Urteile verhindern. Die einfachste Lösung, ISDS einfach aufzugeben, scheitert bisher allerdings auch in Brüssel am Lobbying der Wirtschaft. Und die US-Regierung hält trotz aller Kritik sogar weiter an der unreformierten Version des Investitionsschutzes fest. Tritt TPP in Kraft, können sich die großen Anwaltskanzleien auf viele neue kostspielige Klagen und damit auch lukrative Verfahren freuen. Nur die Zigarettenindustrie haben sie als Kunden verloren, die ist nun vom Investorenschutz bei TPP explizit ausgenommen – was zugleich zeigt, wie absurd dieses Instrument ist. Die „guten“ Unternehmen dürfen ISDS nutzen, nur die Tabakindustrie nicht. Weil die besonders böse ist?

 

TPP, TTIP, TiSA: Noch ist keines der Abkommen in Kraft getreten. Noch lohnt sich also die Debatte darüber, wie Handelsregeln eigentlich aussehen müssten – damit sie den Gesellschaften nutzen. Noch lohnt sich das Einmischen, nicht nur für Joseph Stiglitz.

 

Dieser Text ist zuerst in Politik & Kultur 01/2016 erschienen.

 

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