TPP – Schlimmer als wir befürchtet haben

Wer wissen will, was Handelsabkommen wie TTIP bringen, sollte in die USA schauen. Dort tobt der Streit um das pazifische TPP – weil es die freie Nutzung des Internets erschweren, Medikamente verteuern und die Rechte der Konzerne stärken wird

J oseph Stiglitz hat sein Leben lang erforscht, was Menschen und Länder reich macht. Der amerikanische Ökonom bekam für seine Arbeit den Nobelpreis, könnte sich also beruhigt zurücklehnen und den Erfolg genießen. Doch der Mann tut genau das Gegenteil, er mischt sich ein, zurzeit immer häufiger und wütender. Stiglitz fürchtet, dass Amerikaner und Europäer einen „sehr großen Fehler“ machen, wenn sie Handelsabkommen wie dem europäisch-amerikanischen TTIP und dem transpazifischen TPP grünes Licht geben. Weil deren „falsche Regeln“ den Armen schaden, der Umwelt und der Demokratie.

 

Über TTIP und dessen böse Folgen wird hierzulande inzwischen kräftig gestritten. Erst im Oktober hatte das Handelsabkommen, das die EU gern mit den USA abschließen würden, weit über 150.000 Menschen auf die Straße getrieben, voller Sorgen um die Umwelt, die Freiheit der Kultur und den Spielraum der Demokratie. Ziemlich genervt bemühen sich Bundesregierung und EU-Kommission seither die Sorgen zu zerstreuen, sichern den Schutz aller möglichen Errungenschaften zu (auch den der Kultur), können das allerdings mit Vertragstexten bislang nicht belegen. Denn bei den eigentlichen Verhandlungen kommen sie allerdings kaum weiter – auch weil die Amerikaner eine andere Priorität haben. Die wollen zuerst das Abkommen zwischen zwölf pazifischen Staaten abschließen, die Trans-Pacific Partnership (TPP).

 

TPP interessiert hier kaum jemanden. Tritt es in Kraft, hätte jedoch auch das massive Folgen – für uns. Denn für die amerikanische Regierung ist TPP zumindest in Teilbereichen eine Blaupause für die Verhandlungen mit der EU. Nicht wenig von dem, was dort steht, werden sie auch in das europäisch-amerikanische Abkommen TTIP schreiben wollen. Präsident Obama hofft, dass er für das TPP noch vor dem Ende seiner Amtszeit im kommenden November grünes Licht vom Kongress bekommt: Es soll sein letztes großes, wirtschaftspolitisches Projekt werden. Doch ganz einfach wird das nicht, in den USA hat mittlerweile der Wahlkampf begonnen. Und in dem haben sich inzwischen alle demokratischen Präsidentschaftskandidaten, viele demokratische und auch vereinzelte republikanische Abgeordnete gegen das Abkommen ausgesprochen – wohlwissend, dass es nicht nur bei Gewerkschaften, Umweltschützern und der Open Source Bewegung unbeliebt ist, sondern auch bei vielen Wählern.

„TPP interessiert hier kaum jemanden. Tritt es in Kraft, hätte jedoch auch das massive Folgen – für uns.“

In den kommenden Monaten wird sich also zeigen, wer sich in den USA durchsetzt und mit wem die Europäer dann bei den transatlantischen Verhandlungen werden rechnen müssen: mit den Handelspolitikern und ihren mächtigen Verbündeten in den Konzernzentralen, die den Spielraum der Wirtschaft durch internationale Verträge erweitern wollen. Oder mit denen, die an einer Reform der internationalen Handelspolitik interessiert sind, an einem stärkeren Schutz von Umwelt, Bürgern und Gemeinwohl.

 

Seit Anfang November kann man lesen, um was es konkret geht. 6.194 Seiten lang ist der TPP-Text, er umfasst 30 Kapitel und jede Menge Regeln, die tiefer in die Gesetze der betroffenen Länder eingreifen, als je ein Handelsabkommen zuvor. Neben den klassischen Themen, wie die Senkung von Zöllen, geht es um Eigentumsrechte, Standards und neue Gesetze. Unter #TPPWorseThanWeThought kann man auch auf Twitter die rege Debatte darüber verfolgen. Dabei wird die Liste der kritischen Punkte immer länger. Längst warnen nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen. „Wir sind überlistet worden!“, klagt beispielsweise Jim Balsillie, der Ex-Chef des Smartphone-Herstellers Blackberry und einer der hundert reichsten Kanadier. Balsillie fürchtet, das Abkommen werde die Rechte und Patente amerikanischer Unternehmen zu sehr schützen und damit die Innovationsfähigkeit der kanadischen Wirtschaft schwächen. Es könnte beispielsweise sein, dass für kleine, in den USA patentierte Teile einer Software künftig hohe Gebühren drohen.

 

Tatsächlich geht es bei TPP viel um den Schutz von Rechten. Das ist nicht per se schlimm; in einer globalisierten Welt kann es durchaus sinnvoll sein, Rechte gemeinsam mit anderen Regierungen durch internationale Absprachen zu schützen. Wie hilfreich Kopierschutz für Produkte und Ideen auch jenseits der eigenen Grenzen sein kann, weiß jeder Kulturschaffende. Doch die Entscheidung über das richtige Maß und die damit verbundenen Verdienstmöglichkeiten, die der Staat so garantiert, ist kompliziert. Wann überwiegt das Interesse der Allgemeinheit an einer preiswerten Nutzung? Wie lange soll der Erfinder seine Idee allein vermarkten dürfen?

 

Gut lässt sich das am Beispiel von Medikamenten verdeutlichen: Wie lang ein Patent gelten, wie weit es reichen und ob eine kleine Veränderung von Molekülen automatisch einen neuen Schutz ermöglichen soll, sind komplizierte Fragen. Wer sie richtig beantworten will, muss die Interessen der Hersteller im Blick haben, die der Konkurrenz und die der Allgemeinheit. Es geht um die Kosten des Gesundheitswesens und um das Leben von Menschen. Bei TPP haben ausschließlich die Handelsexperten solche Interessenkonflikte entschieden. Hinter verschlossenen Türen und ohne Mitsprache von Patientenvertretern, Menschenrechtlern oder der interessierten Öffentlichkeit. Was dabei herausgekommen ist, nennen die Ärzte ohne Grenzen nüchtern, ein „schlechtes Geschäft für die Medizin“. Die neuen Regeln würden „die Monopole der großen amerikanischen Pharmahersteller stärker und länger schützen“. Sie würden es erschweren, Generika, also preiswerte Kopien teurer Produkte, herzustellen. Dabei hätte gerade die Produktion solcher Generika in vielen armen Ländern viele Leben gerettet. Künftig werde es dort für Patienten schwerer, an preiswerte Medizin zu kommen. Mit Briefen, Petitionen und Protesten versuchen die Ärzte ohne Grenzen jetzt, in den USA noch Nachbesserungen des Vertrages durchzusetzen. Doch das wird schwierig. Der Kongress hat bei der Abstimmung nur zwei Möglichkeiten: Annehmen oder ablehnen.

Bekommt TPP eine Mehrheit, wird das für Kulturschaffende und die Open Source Bewegung Folgen haben. Denn auch für sie schafft das Abkommen neue Regeln, beispielsweise im Urheberrecht. Es verpflichtet beispielsweise die Regierungen viel stärker als bislang, gegen Verstöße vorzugehen, sie gar zu kriminalisieren. Oder: Es verlängert den Urheberschutz auf (die in Deutschland üblichen) 70 Jahre. Man kann Letzteres sogar gut finden. Aber ist es etwas, was nebenbei in einem viele tausend Seiten langen Handelsvertrag geregelt werden sollte? Traditionell wurde die Frage, wie lange ein künstlerisches Werk geschützt sein soll, von Regierungen und Parlamenten beantwortet, nach öffentlichen Debatten. Denn genau das ist ja das Wesen der Demokratie: die Suche nach gesellschaftsverträglichen Lösungen, die immer wieder reformiert und den Zeitläufen angepasst werden können. Genau so etwas wird jedoch durch Handelsabkommen schwieriger, wenn nicht gar unmöglich. Durch Abkommen wie TPP werden Regeln für lange Zeit quasi unwiderruflich festgeschrieben. Denn wenn sich ein Land durch einen Handelsvertrag zu etwas verpflichtet, kann es das nicht mehr im Alleingang rückgängig machen. Es verringert sich also der politische Spielraum – ohne dass die Betroffenen das vorher breit und öffentlich diskutieren konnten.

 

Bei TPP hat das eindeutig den großen Konzernen genutzt, allen voran den amerikanischen Softwaregiganten. Sie hatten ganz offensichtlich den besseren Zugang zu den Handelsexperten als die Vertreter der Open Source Bewegung oder gar Datenschützer, viele ihre Wünsche tauchen nämlich nun in den Paragraphen des Abkommen auf. Tritt es in Kraft, können die Regierungen der beteiligten Länder von ihnen beispielsweise nicht mehr verlangen, Kundendaten im Land aufzubewahren oder gar die Verarbeitungszentren dort anzusiedeln. Apple, Facebook, Google oder Microsoft können ihre Speicherzentren dort bauen, wo ihnen die Gesetze am günstigsten erscheinen, der Schutz der Privatsphäre am niedrigsten ist.

„Durch Abkommen wie TPP werden Regeln für lange Zeit quasi unwiderruflich festgeschrieben.“

Diese Möglichkeit läuft all dem zuwider, was der Europäische Gerichtshof unlängst entschieden hat: Weil er die persönlichen Daten von Europäern in den USA nicht sicher aufbewahrt befand, hat er das sogenannte Safe-Harbor-Abkommen, das den Datentransfer in die USA bisher erlaubt hat, für unwirksam erklärt. Finden die EU-Kommission und die US-Regierung nicht bald eine neue Lösung, müssen die großen US-Konzerne ihre Dienste anpassen. Entweder, indem sie die Informationen über ihre europäischen Nutzer in der EU speichern oder indem sie die fraglichen Dienste hier deaktivieren. Für die Handelspolitik bedeutet das: Klauseln wie die des TPP-Vertrages dürfte die EU-Kommission schon wegen des fehlerhaften Datenschutzes niemals abschließen. Nun steht ein Beitritt der EU zu TPP ja auch nicht zur Debatte. Dennoch werden die USA versuchen, möglichst viele Elemente dieses Abkommens auch im transatlantischen TTIP durchzusetzen – oder, wenn das dort nicht gehen sollte, später in dem geplanten Dienstleistungsabkommen TiSA. Das wird in Genf verhandelt, dabei sind 50 Länder und natürlich (vertreten durch die EU) auch Deutschland.

 

Bei TPP, so schreibt Jo Stiglitz, gehe es gar nicht um „freien Handel“. Und kritisiert noch einmal besonders vehement ein Vorhaben, das auch in Deutschland besonders stark umstritten ist. Den Investorenschutz (ISDS). Auch hier wirft der TPP-Vertrag ein Schlaglicht auf die amerikanischen Wünsche. ISDS ermöglicht ausländischen Investoren, Staaten vor privaten Schiedsstellen auf Schadensersatz zu verklagen. Es gibt diese Möglichkeit schon länger, sie steht in vielen Handelsverträgen. Lange war das kein Problem, doch in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Verfahren stark gestiegen. Große Kanzleien haben dieses Feld als lukratives Geschäftsgebiet entdeckt und raten großen Unternehmen offensiv zu Verfahren vor den privaten Schiedsgerichten. Mit guten Argumenten, dort können die Konzerne oft höhere Summen herausschlagen als vor nationalen Gerichten. Und ganz nebenbei lassen sich so auch noch Gesetze zum Schutz von Umwelt und Gesundheit aushebeln oder verhindern.

„Klauseln wie die des TPP-Vertrages dürfte die EU-Kommission schon wegen des fehlerhaften Datenschutzes niemals abschließen.“

Die EU-Kommission hat inzwischen ein wenig auf die massiven Proteste gegen die privaten Schiedsgerichte reagiert. Sie will sie künftig durch ein öffentliches Gericht ersetzen, zudem ihre Zuständigkeit einschränken und so abstruse Verfahren und Urteile verhindern. Die einfachste Lösung, ISDS einfach aufzugeben, scheitert bisher allerdings auch in Brüssel am Lobbying der Wirtschaft. Und die US-Regierung hält trotz aller Kritik sogar weiter an der unreformierten Version des Investitionsschutzes fest. Tritt TPP in Kraft, können sich die großen Anwaltskanzleien auf viele neue kostspielige Klagen und damit auch lukrative Verfahren freuen. Nur die Zigarettenindustrie haben sie als Kunden verloren, die ist nun vom Investorenschutz bei TPP explizit ausgenommen – was zugleich zeigt, wie absurd dieses Instrument ist. Die „guten“ Unternehmen dürfen ISDS nutzen, nur die Tabakindustrie nicht. Weil die besonders böse ist?

 

TPP, TTIP, TiSA: Noch ist keines der Abkommen in Kraft getreten. Noch lohnt sich also die Debatte darüber, wie Handelsregeln eigentlich aussehen müssten – damit sie den Gesellschaften nutzen. Noch lohnt sich das Einmischen, nicht nur für Joseph Stiglitz.

 

Dieser Text ist zuerst in Politik & Kultur 01/2016 erschienen.

 

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