TiSA, die schöne neue Welt der Dienstleistungen

Oder warum Theater keine Kühlschränke sind!

TiSA – schon wieder eine Abkürzung, von der man nicht weiß, ob sie ein neues Automodell bezeichnet oder ob sie der Name der Siegerin im Wettbewerb „Deutschland sucht den Superstar“ ist. TiSA steht jedoch für „Trade in Services Agreement“ und ist damit der „kleine Bruder“ von GATS, dem „General Agreement on Trade in Services“. Dieses „Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen“ trat am 1. Januar 1995 in Kraft.

 

TiSA wird nun seit 2013 verhandelt und das – Sie ahnen es schon – natürlich hinter verschlossenen Türen. Wie bereits bei TTIP, so sind auch hier Dokumente selbst für Abgeordnete nicht zugänglich und somit wird die Zivilgesellschaft auch hier keine Möglichkeit haben, Einfluss auf das Verhandlungsergebnis zu nehmen. Man darf sich ruhig die Frage stellen, wie lange sich die Öffentlichkeit dies noch gefallen lassen will, denn in wessen Namen wird verhandelt? Eigentlich im Namen der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union.

 

Das Ziel dieser plurilateralen Verhandlungen ist es, in diversen Dienstleistungsbereichen vollständige Liberalisierungen durchzusetzen und Regulierungen abzuschaffen, z. B. im Bereich der Finanzdienstleistungen, E-Commerce, Seeverkehr und der grenzüberschreitenden Arbeitnehmermobilität. Was das bedeutet und warum Theater nicht wie Kühlschränke behandelt werden dürfen, darum geht es in diesem Artikel.

 

Am 15. April 1994, nach acht Jahren zäher Verhandlungen, einigten sich die 123 Unterzeichnerstaaten des GATT in Marrakesch auf eine Abschlusserklärung. Das GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) regelte bereits seit 1947 den weltweiten Handel mit Waren. Diese Erklärung beendete die sogenannte Uruguay-Runde und veränderte die Strukturen der Welthandelspolitik grundlegend. Gab es bis dahin nur das GATT, einen Vertrag, mit dem in mehreren Verhandlungsrunden Zölle und Handelsbeschränkungen für Waren abgebaut wurden, so entstand nun die Welthandelsorganisation, die World Trade Organisation (WTO). Die WTO ist nicht mehr nur ein Vertrag, sie ist eine Organisation mit festem Sitz in Genf, durch ein eigenes Streitschlichtungsverfahren sehr schlagkräftig und mit einem Aufgabenbereich, der weit über den Handel mit Waren hinausgeht. Einer der neuen Bereiche ist der Handel mit Dienstleistungen: dem GATS. Dieses Abkommen umfasst grundsätzlich alle Dienstleistungen, von Versicherungen und Energieversorgung über Verkehr und Wasserversorgung bis hin zum Bildungs- und Gesundheitswesen und der Kultur.

„Die derzeitige Rechtslage des GATS-Abkommens muss uneingeschränkt erhalten bleiben.“

Lassen sie sich auch nicht täuschen, wenn man ihnen entgegenhält, hoheitliche Aufgaben seien ausgenommen. Als „hoheitlich“ gilt nämlich eine Aufgabe nur, wenn sie nicht im Wettbewerb mit anderen privaten Anbietern erbracht wird und da es inzwischen in allen Bereichen der Daseinsvorsorge auch private Anbieter gibt, sollen all diese Bereiche liberalisiert, also privatisiert werden.

 

Das GATS-Abkommen stützt sich dabei auf dieselben Grundprinzipien, die für den Handel mit Waren festgelegt wurden. Marktzugang: Sogenannte Handelshemmnisse, wie zum Beispiel Mengenbeschränkungen für Importgüter, sollen beseitigt und der einheimische Markt soll ausländischen Anbietern geöffnet werden. Die Inländerbehandlung fordert, dass Regierungen ausländische Dienstleistungserbringer in gleicher Weise behandeln müssen wie einheimische; das heißt, dass sie die inländischen Dienstleistungserbringer nicht bevorzugen dürfen. Die Meistbegünstigung besagt, dass ein Land den Dienstleistungserbringer eines anderen Landes nicht schlechter als alle anderen behandeln darf.

 

Anders als beim Handel mit Waren können die Länder jedoch selbst festlegen, welche Bereiche sie den GATS-Regeln unterstellen. Hat ein Land jedoch einmal eine feste Zusage für die Öffnung eines Sektors gemacht, ist es faktisch unmöglich, diese rückgängig zu machen. Die zu zahlenden Entschädigungen würden fast jeden Haushalt sprengen. Auch Ausnahmen von der Meistbegünstigung können bisher speziell aufgelistet werden. Sie dürfen aber nicht länger als zehn Jahre angewandt und müssen nach fünf Jahren überprüft werden.

„Die WTO hat nur ein Ziel: die vollständige Liberalisierung des Handels.“

Die oben genannten Regelungen sind von 1995, sie stammen also aus der ersten Fassung des GATS-Vertrages. Dort ist allerdings auch ein Fahrplan für die weiteren Verhandlungen angegeben. Demnach sollen nach spätestens fünf Jahren alle Regelungen überprüft werden und neue Liberalisierungsrunden beginnen. Im November 2001 wurde daher auf der WTO-Ministerkonferenz in Doha (Katar) eine neue Runde beschlossen. Aus den verschiedensten Gründen, vor allem, weil sich die Verhandlungspartner nicht über die Liberalisierung des Agrarhandels verständigen konnten, gibt es bisher noch kein neues WTO-Abkommen.

 

Daher ist man inzwischen dazu übergegangen, in bilateralen Verhandlungen (siehe TTIP = EU und USA; CETA = EU und Kanada) und in multilateralen Verhandlungen den Welthandel neu aufzustellen. TiSA ist eine dieser multilateralen Verhandlungsrunden, an der derzeit 24 Länder teilnehmen. An den Verhandlungen beteiligt sind: Australien, Chile, Costa Rica, Hongkong (China), Island, Israel, Japan, Kanada, Republik Korea, Kolumbien, Liechtenstein, Mauritius, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, Schweiz, Taiwan, Türkei, Uruguay, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Europäische Union. Die Kommission verhandelt für die EU dabei auf Grundlage des ihr vom Europäischen Rat am 8. März 2013 erteilten Verhandlungsmandats. Natürlich geht es bei TiSA auch wieder um Bildung und Kultur. Die Forderung u. a. des Deutschen Kulturrates ist die gleiche wie bei TTIP und CETA: Die derzeitige Rechtslage des GATS-Abkommens muss uneingeschränkt erhalten bleiben. Nach dem Status Quo von GATS können ausländische Unternehmen ihre (Bildungs- und Kultur-) Dienstleistungen in Europa und in Deutschland uneingeschränkt anbieten, sie haben jedoch kein Recht, öffentliche Subventionen zu verlangen, wie dies einheimische Anbieter können.

Erfreulicherweise haben sich bereits Abgeordnete des Europäischen Parlaments kritisch zu den Geheimverhandlungen bei TiSA geäußert und klare rote Linien aufgezeichnet. Hierzu gehört der Ausschluss öffentlicher Dienstleistungen, insbesondere Gesundheitsdienstleistungen, Bildung und Wasserversorgung. Ebenfalls soll das Abkommen kein Kapitel über die Freizügigkeit natürlicher Personen beinhalten und das sogenannte „right to regulate“ der Regierungen vollständig absichern. Das bedeutet, dass die Unterzeichnerstaaten nach wie vor (gesetzgeberische) Maßnahmen ergreifen dürfen, um z. B. Bildung und Kultur zu fördern. Die Argumente sind die gleichen, wie in der Diskussion zu TTIP und CETA. Viele der Argumente sind in dem Band „TTIP, CETA & Co. – Die Auswirkungen der Freihandelsabkommen auf Kultur und Medien“ des Deutschen Kulturrates vom Mai 2015 zusammengestellt.

 

Warum sind die Verhandlungen bei TiSA aber gerade für den Kulturbereich so bedrohlich? Weil die WTO keinen großen Unterscheid zwischen einer Dienstleistung und einer Ware macht. Aus diesem Grund unterliegt der Handel mit beidem auch den gleichen Prinzipien. Kann man den Verkauf von Kühlschränken jedoch so ohne Weiteres mit der Förderung eines städtischen Theaters vergleichen? Für die WTO ist der Fall klar: So wie ein besserer Kühlschrank teurer ist als ein einfacher, so sollte doch auch eine bessere Dienstleistung teurer sein. Wer eine bessere Krankenversorgung will, der muss eben mehr zahlen und für eine gute Bildung muss man eben mehr Geld aufbringen. Dies ist die Logik der WTO. Diese Logik ist einfach und rein ökonomisch ausgerichtet, aber sie lässt den wichtigsten Aspekt von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge unberücksichtigt: das Solidaritätsprinzip.

„Der Zugang und die Teilhabe an kulturellen Veranstaltungen und Projekten soll allen Menschen ermöglicht werden.“

Dieses Prinzip sorgt für einen Ausgleich zwischen unterschiedlich rentablen Bereichen. So werden beispielsweise die teurere Postzustellung oder die aufwändigere Stromversorgung auf dem Land durch die kostengünstigere Versorgung in Städten mitfinanziert und die Kosten für geringgenutzte Bahnstrecken werden durch stark frequentierte ausgeglichen. Auch die Buchpreisbindung gehört dazu, denn als sogenannte Quersubventionierung ermöglicht sie es Verlagen, mit dem Gewinn, den sie mit Bestsellern machen, Bücher mit geringer Auflage auf den Markt zu bringen. Damit greift die Buchpreisbindung in den Wettbewerb des freien Marktes ein – aber dies ist auch so gewollt und soll so bleiben. Der Zugang und die Teilhabe an kulturellen Veranstaltungen und Projekten soll allen Menschen ermöglicht werden. Diese Verpflichtung hat in den meisten Ländern in Deutschland sogar Verfassungsrang und bedeutet, dass sie nicht im Ermessen parteipolitischer Programme liegt.

 

Dienstleistungen der Daseinsvorsorge sind also nach dem Verständnis der sozialen Marktwirtschaft dazu da, einen Ausgleich innerhalb einer Gesellschaft zu schaffen, damit Menschen solidarisch miteinander und nicht gegenein­ander leben. Handelsabkommen wie TiSA ignorieren diese sozialen Aspekte vollkommen.

 

Das einzig Positive bei TiSA ist, wenn man so will, dass TiSA als reines Dienstleistungsabkommen verhandelt und es kein Investitionsschutzkapitel geben wird. Laut der Kommission können alle Länder der WTO an den TiSA-Verhandlungen teilnehmen, wenn sie inhaltlich einverstanden sind. Kritiker finden dieses Vorgehen jedoch problematisch. „Dass diese Verhandlungen zu TiSA außerhalb der WTO geführt werden, ist ein Problem. Damit werden Fakten geschaffen und die Länder, die nicht an den Verhandlungen beteiligt werden, müssen sich später diesen Fakten unterwerfen“, kritisiert der Wirtschaftswissenschaftler Professor Markus Krajewski von der Universität Erlangen-Nürnberg.

 

Eines bleibt auch bei diesen Verhandlungen außen vor: eine Debatte darüber, wie Dienstleistungen zum Wohl aller Menschen und zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen können. Die WTO hat nur ein Ziel: die vollständige Liberalisierung des Handels. Wer sich jedoch anschaut, wohin die fortschreitende Liberalisierung in den letzten Jahrzehnten geführt hat, kennt die Folgen dieser Politik. Die aggressive Expansion des Welthandels in der derzeitigen Form führt zu unumkehrbaren Belastungen für die Umwelt und so schnell wie nie zuvor vergrößert sich die Kluft zwischen Arm und Reich, sowohl innerhalb als auch zwischen den Ländern.
Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 02/2016 erschienen.

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Hans-Jürgen Blinn ist Ministerialrat im Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur, Mainz und Beauftragter des Bundesrates im Handelspolitischen Ausschuss des Europäischen Rates (Dienstleistungen und Investitionen) in Brüssel
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