Auch im Kulturbereich wird seit Monaten intensiv über das angestrebte Freihandelsabkommen TTIP diskutiert. Manche lehnen das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den USA pauschal ab, andere werten den Protest gegen TTIP als reine Angstkampagne. Wobei das Ziel unbestritten ist: Die kulturelle und mediale Vielfalt in Deutschland soll durch TTIP nicht gefährdet werden. Es geht nicht um amerikanische Vorherrschaft oder Antiamerikanismus, sondern um die Frage, wieweit sich kulturelle, soziale und ökologische Standards des Kulturstaats und der sozialen Marktwirtschaft gegen marktradikale Positionen der Deregulierung und Liberalisierung durchsetzen.
Die beiden Hauptpositionen in der öffentlichen Debatte sind da wenig hilfreich: Wer einfach „Stoppt TTIP“ sagt, beraubt sich der Einflussmöglichkeiten: Ein gutes TTIP bedeutet nicht das Ende der Kultur in Europa. Wer umgekehrt behaupt, „Alles kein Problem“, weil die Kultur ausgenommen sei und die audiovisuellen Medien sowieso, verzichtet ebenfalls auf Einflussnahme. Wie gut TTIP wird, hängt auch von Transparenz, Diskussion und Druck der demokratischen Öffentlichkeit in den europäischen Ländern ab. „Wenn wir den Eindruck haben, die Texte sind nicht gut genug, die Kultur ist nicht gut genug geschützt, dürfen wir nicht zustimmen“, sagt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel.
Wer sich um die Erhaltung der vielfältigen deutschen und europäischen Kulturlandschaft sorgt, für den ist es nicht mangelndes Vertrauen, sondern schlicht notwendig, darauf hinzuweisen, dass es keinen Abbau kultureller Standards geben darf. Rechtsvorschriften zum Schutz dieser Vielfalt müssen gewahrt werden, die öffentliche Kultur- und Medienförderung sollen erhalten bleiben, die Belange der Kulturwirtschaft wollen berücksichtigt sein. Das gilt besonders für das urheberzentrierte europäische Urheberrecht.
Europas kulturelle Vielfalt steht ohnehin bereits stark unter Druck, durch die Krise der Staatsfinanzen, die Globalisierung und die Digitalisierung. Das TTIP-Verhandlungsmandat der EU sieht vor, dass keine Bestimmungen enthalten sein dürfen, die die kulturelle und sprachliche Vielfalt der Union beeinträchtigen. Doch sehen die USA das auch so? Zum einen gab es keine Offenlegung dessen, was verhandelbar ist und was nicht – keine, die vom gegenseitigen Respekt der unterschiedlichen kulturellen Wertesysteme ausgeht. Auch haben die USA das UNESCO-Abkommen zur kulturellen Vielfalt nicht unterschrieben.
Die amerikanische Seite hat starke Interessen, die sich zum Beispiel auf die Kreativwirtschaft, auf E-Lerning, E-Commerce und die Telekommunikationsbranche beziehen – von den weltweit operierenden Internetkonzernen des Silicon Valley bis hin zur exportstarken Filmindustrie Hollywoods. Ein leichterer Zugang all dieser Kultur- und Unterhaltungsindustrien auf die hiesigen Märkte würde diesen ohnehin prekären europäischen Kulturbereich weiter gefährden.
Unsere deutsche Sorge gilt besonders der Buchpreisbindung und anderen Instrumenten der Kulturförderung wie dem Urheberrecht, der öffentlichen Finanzierung von Theatern, Opern und Museen, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der Filmförderung. Auch geht es um die Freiheit, das dynamische Internet auch künftig regulieren zu dürfen. Natürlich bedeuten Subventionen eine Wettbewerbsverzerrung, eine, für die Kulturnationen sich bewusst entscheiden.
Aus all diesen Gründen sollte im TTIP Folgendes verankert werden:
- Die Aufnahme der UNESCO-„Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ nicht nur in die unverbindliche Präambel, sondern in den Text des Abkommens. Nur wenn die USA sich zu der Konvention bekennen, ist gewährleistet, dass die Nationalstaaten wie bisher den Rahmen für Kultur und Medien gestalten dürfen.
- Die Ausnahme der öffentlichen Güter, die für die soziale Daseinsvorsorge wesentlich sind, von den TTIP-Verhandlungen sollte explizit den kulturellen Sektor einbeziehen – in allen Kapiteln und überall da, wo Auswirkungen auf Kultur und Medien drohen.
- Der Doppelcharakter der Kreativwirtschaftsgüter, die immer Ware und Kulturgut zugleich sind, muss durchgängig zu finden sein. Es muss im Vertrag zugesichert sein, dass bestehende Förderinstrumente erhalten bleiben und neue entwickelt werden können, auch solche, die ausschließlich für deutsche oder europäische Institutionen gelten. Die digitale Wirtschaft benötigt attraktive Inhalte, um florieren zu können. Kulturunternehmen investieren in diese Inhalte und produzieren sie. Es muss gesichert sein, dass die Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft nicht zu Lasten der Kulturwirtschaft verbessert werden.
- Es sollte das Prinzip gelten: Lieber einmal mehr benennen! Dort, wo unterschiedliche juristische Meinungen darüber, ob man von TTIP betroffen sein kann, zu finden sind, sollten die kulturellen Ausnahmen sicherheitshalber explizit erwähnt werden. Dies gilt etwa für den ermäßigten Mehrwertsteuersatz, für die Künstlersozialkasse, für die Buchpreisbindung, das Urheberrecht (keine Schlechterstellung der Urheber und europäischen Künstler), für die Filmförderung und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
- Für die Zukunft muss Offenheit festgeschrieben werden, besonders durch eine technikneutrale Generalschutzklausel für audiovisuelle Medien. Neue nationale und europäische Regelungs-, Schutz- und Fördersysteme für Kultur und Medien müssen möglich sein, ohne das sie beispielsweise durch Investorenschutzregelungen ausgehebelt werden können.
- Weil für Kultur und Medien die digitalen Zukunftschancen immer wichtiger werden, dürfen Medienpolitik und Internet-Regulierung seitens der EU und ihrer Mitgliedsstaaten nicht behindert werden. Auch nicht mit dem Argument des zunehmenden digitalen Handels von audiovisuellen Gütern wie Musik, Büchern, Fotos oder Filmen.
Die Kulturpolitik muss diese Auseinandersetzung jetzt führen. Wenn erst das Gesamtergebnis auf dem Tisch liegt und es nur noch in Gänze befürwortet oder abgelehnt werden kann, ist es zu spät. Dann drohen andere, stärkere Interessen, die Kultur zu dominieren, man denke nur an Automobilindustrie und Maschinenbau. Es wäre fatal, wenn die Kultur einem wie auch immer gearteten europäischen Gesamtinteresse geopfert würde. Als Kulturkiller darf TTIP nicht in die Geschichte eingehen.