Vielfalt fördern

Das CETA-Abkommen und der Schutz der Kultur

S eit 2009 verhandeln die EU und Kanada über das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen CETA. Gegenwärtig entfallen 75 Prozent des gesamten Außenhandels Kanadas auf die USA und lediglich 11 Prozent auf die EU. Kanada bemüht sich um eine Diversifizierung seiner Handelspartner und hat daher ein sehr großes Interesse daran, ein umfassendes Handelsabkommen mit Europa abzuschließen. CETA wäre hinsichtlich der Liberalisierung und Integration der Märkte eines der fortschrittlichsten Abkommen mit Beteiligung der EU und zudem das nach dem Abkommen mit Südkorea zweitwichtigste bilaterale Handelsabkommen, gemessen am Umfang der Handelsströme.

 

Die EU hat neben diesem Handelsabkommen ein Abkommen über eine strategische Partnerschaft (SPA) mit Kanada abgeschlossen, in dem die gemeinsamen Werte der EU und Kanadas verankert sind. Dieses sieht einen verbesserten Rahmen für die Zusammenarbeit auf staatlicher Ebene in vielen Bereichen, wie etwa Außenpolitik und Sicherheitsfragen, Bildung, Verkehr und Energie, die Arktis sowie Wissenschaft und Technik vor. Diese beiden Abkommen, CETA und SPA, sollen die Beziehungen der EU zu Kanada in Zukunft gestalten.

 

Die öffentliche Meinung in Kanada ist beiden Abkommen gegenüber generell sehr positiv eingestellt, da Europa als Weltregion gilt, die sehr ähnliche Werte und Ideale vertritt. Kanada und die EU haben tatsächlich vieles gemeinsam, sowohl hinsichtlich des sozialwirtschaftlichen Modells als auch im Hinblick auf ihre Werte, etwa was die Stellung der Kultur in der Gesellschaft und die Wertschätzung der kulturellen Vielfalt angeht. So weist zum Beispiel die Provinz Quebec eine starke regionale Identität auf und die politischen Vertreter sind sehr bemüht, die dort gesprochene französische Sprache, die französisch geprägte Kultur und das Zugehörigkeitsgefühl ihrer Bewohner zu bewahren.

„Es ist nicht verblüffend, dass der Kultur hier wie dort ein großes wirtschaftliches Gewicht beigemessen wird.“

Zudem besitzen sowohl die EU als auch Kanada eine dynamische Kulturindustrie. Der Kulturbereich, der die Bereiche Kunst, kulturelles Erbe, Film und Fernsehen, Musik, Mode, Videospiele, neue Medien und Werbung umfasst, macht in der EU etwa 2,1 Prozent des BIP und in Kanada etwa 3 Prozent des BIP aus. So ist es nicht verblüffend, dass der Kultur hier wie dort ein großes wirtschaftliches Gewicht beigemessen wird.
Der Text des CETA Abkommens wurde auf der Website der Europäischen Kommission veröffentlicht und wird zurzeit in alle Amtssprachen der EU übersetzt. Das Abkommen wird nach diesem Schritt den Mitgliedstaaten zur Unterzeichnung und dem EP, danach aller Voraussicht nach auch den nationalen Parlamenten – denn bei CETA wird es sich höchstwahrscheinlich um ein gemischtes Abkommen handeln – zur Ratifizierung vorgelegt werden. Das Europäische Parlament soll das Abkommen in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 erhalten. Nach der Ratifizierung durch die nationalen und regionalen Parlamente in den 28 Mitgliedstaaten wird das Abkommen in Kraft treten.

Das Europäische Parlament wird die mehr als 1.600 Seiten des CETA Texts umfassend analysieren, um sicherzustellen, dass das Abkommen den Interessen und dem Willen der europäischen Bürger entspricht. Ohne die Zustimmung des Europäischen Parlaments wird CETA nicht in Kraft treten. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir im Verlauf des Ratifizierungsverfahrens in einen inhaltlichen Dialog mit der Zivilgesellschaft und insbesondere mit der Kulturwirtschaft eintreten.

 

In der Präambel des Abkommens befindet sich ein Hinweis auf die gemeinsamen Werte, die die EU und Kanada in Bezug auf die Wahrung der kulturellen Vielfalt teilen. In den ersten Sätzen des Abkommens „bekräftigen“ die EU und Kanada ihre „Verpflichtungen als Unterzeichner des UNESCO Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und erkennen an, dass Staaten das Recht haben, ihre kulturpolitischen Maßnahmen beizubehalten, zu entwickeln und umzusetzen und ihre jeweilige Kulturwirtschaft unter anderem durch regulatorische Maßnahmen und mit finanziellen Mitteln zu unterstützen, um die Vielfalt des kulturellen Ausdrucks zu fördern und ihre kulturelle Identität zu bewahren“ (S. 3 des CETA-Vertragstextes vom Februar 2016, eigene Übersetzung).

 

Kanada hat umfassende Ausnahmeregelungen für die „Kulturindustrie“ eingeführt, die damit vollständig aus dem Geltungsbereich des Abkommens ausgeschlossen wurde. Diese umfassende Ausnahmeregelung betrifft die Bereiche Veröffentlichungen, Musik, Kino, Radio, Fernsehen und Kabelfernsehen. Sie gilt für alle in dem Abkommen vorgesehenen Regelungen, unabhängig davon, ob sich diese auf Handel, Investitionen, Subventionen oder die Vergabe öffentlicher Aufträge beziehen – die Ausnahmeregelung wurde in mehreren Abschnitten des Abkommens festgehalten; auf Seite vier ist der Begriff „Kulturindustrie“ definiert. Diese Ausnahmeregelung ist in der kanadischen Kulturindustrie auf breite Zustimmung gestoßen. Die Europäische Union hat gleichartige Ausnahmeregelungen für „audiovisuellen Dienstleistungen“ in das Abkommen aufnehmen lassen – unter anderem auf Seite 1.384.

 

Obwohl die Zielsetzungen der EU und Kanadas hinsichtlich der kulturellen Vielfalt sehr ähnlich sind und von beiden Vertragspartnern aktiv vorangebracht werden, wird der Begriff „Kultur“ selbst in dem Handelsabkommen nicht definiert. Die meisten Handelsabkommen beziehen sich auf die umfassendere Kategorie „Dienstleistungen in den Bereichen Freizeit, Kultur und Sport“, die unterschiedliche Arten (kultureller) Dienstleistungen umfasst. Einige EU-Mitgliedstaaten haben ein offensichtliches Interesse daran, ausländischen Unternehmen für einige dieser Dienstleistungen, wie etwa Presse und Medien, die Möglichkeit zu eröffnen, auf unseren Märkten tätig zu sein. Diese Regelungen wurden bereits in den 1990er Jahren getroffen, als die EU und ihre Mitgliedstaaten dem Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) beitraten.

 

Bernd Lange
Bernd Lange ist Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender des Ausschusses für internationalen Handel (INTA)
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