Chance oder Fluch für die Kultur?

CETA: Statements von vier Mitgliedern des Ausschusses für Internationalen Handel des Europäischen Parlaments

Wetterfest für das 21. Jahrhundert?
Daniel Caspary (CDU) ist seit 2004 Mitglied des Europäischen Parlaments

 

Kanada ist der zwölftgrößte Handelspartner der EU. In unserer globalisierten Welt gilt es, unsere Beziehungen wetterfest für das 21. Jahrhundert zu machen. Dafür ist das CETA-Abkommen ein zentraler Baustein.

 

Vielen bereitet CETA große Sorgen, wodurch die Chancen und Vorteile leider kaum wahrgenommen werden: CETA ist ein gelungenes Abkommen – es beseitigt schrittweise fast 99 Prozent der bestehenden Zölle, ermöglicht besseren Marktzugang, besonders auch für kleine und mittlere Unternehmen, schafft mehr Wachstum und Beschäftigung und erstellt Spielregeln für eine inklusive und positive Globalisierung.
Im Ratifizierungsprozess muss nun gezeigt werden, dass die Sorgen unbegründet sind: Weder werden unsere Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards gesenkt, noch landet hormonbelastetes Fleisch auf unseren Tellern. Auch im kulturellen Bereich wird es keine Einschränkungen im Vergleich zum Status quo geben. Die kommunale Daseinsvorsorge bleibt ebenso verlässlich geschützt. CETA sichert die Freiheit zu, alle Dienste frei zu regulieren, die im öffentlichen Interesse stehen. Kommunale Monopole und Remonopolisierungen, z. B. bei der Wasserversorgung, sind so weiterhin problemlos möglich.

 

Die Sorge, dass Gesetzesinitiativen durch CETA erst mit dem Handelspartner diskutiert werden müssten, ist fehlgeleitet. „Regulatorische Kooperation“ meint hingegen, dass sich beide Seiten bei der Erstellung neuer gemeinsamer Standards austauschen. Unsere Gesetzgebungsprozesse und vor allem die Frage, wer die Entscheidungen trifft (Europäisches Parlament und Rat) bleiben völlig unberührt.
Der CETA-Vertragstext ist seit eineinhalb Jahren im Internet frei zugänglich und bis heute konnten keine im Text begründeten Probleme aufgezeigt werden. Natürlich muss CETA im Europäischen Parlament auf Herz und Nieren geprüft werden – aber ich wünsche mir, dass Prüfung, Meinungsbildung und Ratifizierung auf Basis des Vertragstextes erfolgen und nicht auf Mythen, Falschdarstellungen und Fehleinschätzungen fußen.

 

 

CETA nimmt Rücksicht
Joachim Starbatty (ALFA) ist seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments

 

Gerade als Politiker ist es mir wichtig, die kulturelle Vielfalt zu schützen und zu fördern. Ob dies in Deutschland derzeit sinnvoll umgesetzt ist, will ich an dieser Stelle nicht behandeln. Aber es sollte nach dem Subsidiaritätsprinzip den Mitgliedstaaten der EU bzw. den Bundesländern selbst überlassen bleiben, die Kulturförderung zu gestalten und dabei nicht durch Freihandelsabkommen eingeschränkt zu werden. Daher habe ich darauf auch in CETA geachtet und bin mit dem erreichten Verhandlungsergebnis zufrieden.

 

Kanada und die EU kommen schon in der Präambel des Abkommens überein, „berechtigte Gemeinwohlziele wie öffentliche Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz, öffentliche Sittlichkeit sowie Förderung und Schutz der kulturellen Vielfalt zu verfolgen.“

 

Außerdem bekräftigen sie ihr Bekenntnis zum UNESCO-Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Konkret betonen sie auf Seite 5 des CETA-Abkommens, dass „die Staaten das Recht haben, ihre Kulturpolitik beizubehalten, zu entwickeln und umzusetzen, ihre Kulturwirtschaft zwecks Stärkung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu fördern und ihre kulturelle Identität zu wahren, unter anderem durch Regulierungsmaßnahmen und finanzielle Unterstützung.“

 

In CETA sind deshalb Ausnahmeregelungen für Kultur in den Kapiteln zu Subventionen (7), Investitionen (8), Grenzüberschreitenden Dienstleistungshandel (9), Interner Regulierung (12) und zu Öffentlichen Beschaffungen (19) festgelegt.
Die Kommission fasst es in ihrer Pressemitteilung so zusammen: »CETA wird in keiner Weise Regierungen an der Kulturförderung hindern.« Dies war auch Ergebnis der bereits erfolgten Aussprachen im Europäischen Parlament zu CETA. Interessant wird noch die Debatte sein, ob eine Zustimmung der Parlamente der Mitgliedsstaaten nötig und sinnvoll ist.

 

 

Noch nicht einmal mit Kanada
Alexander Graf Lambsdorff  (FDP) ist seit 2004 Mitglied des Europäischen Parlaments

 

„Wenn Europa noch nicht einmal mit Kanada ein Abkommen schließen kann, mit wem denn dann?“ – so der Stoßseufzer der kanadischen Handelsministerin Cynthia Freeland, die beim besten Willen nicht nachvollziehen kann, was an einer Übereinkunft zwischen Kanada und der EU bedrohlich sein soll. Recht hat sie, schließlich ist CETA eines der fortschrittlichsten Abkommen, dass die EU jemals ausgehandelt hat. Über den Handel mit Dienstleistungen, die Förderung von Investitionen oder die Harmonisierung technischer Normen erschließen sich neue Chancen für kreative Wertschöpfung auf beiden Seiten des Atlantiks.
Die hohen europäischen und kanadischen Standards, z. B. im Verbraucher-, Sozial- und Umweltschutz, sind dabei nicht Teil der Verhandlungsmasse, sondern Maßstab für die zu vereinbarenden Normen. Drittländer, die künftig in die kanadisch-europäische Wirtschaftszone exportieren wollen, müssen sich an diesen Vorgaben orientieren. So sorgt die EU dafür, dass die Regeln der Globalisierung nicht nur in Peking oder Neu-Delhi festgelegt werden, sondern auch in Brüssel, Berlin und Ottawa. Einschränkungen für die kommunale Daseinsvorsorge oder die Kulturförderung sind unterdessen nicht zu befürchten, denn schon in der „Verfassung“ des Welthandels in Dienstleistungen, dem GATS-Abkommen, ist festgehalten, dass Kulturförderung und die Erbringung öffentlicher Güter auf der kommunalen Ebene nicht als „normale“ Dienstleistungen zu bewerten sind.

 

CETA kann also für Wachstum und Arbeitsplätze sorgen, ohne die Staatshaushalte zusätzlich zu belasten. In Zeiten wirtschaftlicher Stagnation sind solche kostenlosen Konjunkturprogramme gerade für die von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen im Süden Europas unverzichtbar. Wie gut das funktionieren kann, zeigt das Beispiel Südkorea: Seit 2011 gibt es ein ähnliches Abkommen mit dem asiatischen Land – seitdem sind die EU-Ausfuhren nach Südkorea um 55 Prozent gestiegen, die Autoexporte haben sich sogar verdreifacht. Nach Auffassung der FDP verdient CETA daher eine konstruktive Beratung im Europäischen Parlament, bei der sich die Liberalen aktiv einbringen werden.

 

 

Umdrehen des Status quo
Helmut Scholz (Die Linke) ist seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments

Ein Loch von insgesamt 311 Millionen Euro jährlich wird das Wegbrechen von Zolleinnahmen durch das Freihandelsabkommen EU-Kanada (CETA) in den Eigenmittelhaushalt der EU reißen. Das bestätigte Handelskommissarin Cecilia Malmström auf meine parlamentarische Anfrage. TTIP wird zehnmal so teuer werden. Zum Ausgleich müssten die Mitgliedstaaten noch mehr einsparen, oft zulasten sozialer Leistungen, der Kommunalfinanzen und der Kulturförderung.

 

Bei Abkommen wie CETA, TTIP und TISA geht es längst nicht mehr allein um den Abbau von Zöllen. Ins Visier geraten alle Hindernisse für Handel und Dienstleistungsverkehr. Dazu zählen viele Errungenschaften der Demokratie, Verbraucher- und Arbeitnehmerrechte sowie der Schutz öffentlicher Dienstleistungen in Angebot und Zugang. Deshalb wird TTIP vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) befürwortet, der Druck auf die Politik erhöht und die Ablehnung einer deutlichen Mehrheit der Deutschen denunziert.

 

Über CETA kommt es bald zur auch für TTIP richtungsweisenden Abstimmung. Am 20. September wird zunächst der Rat der Regierungen der EU-Mitgliedstaaten entscheiden. Deshalb wird es am 17. September in Berlin und anderen Hauptstätten große Demonstrationen gegen CETA geben. Stimmt der Rat zu, kommt es im März 2017 zur Abstimmung im Europaparlament. Und es steht fest: Über CETA werden auch die nationalen Parlamente abstimmen. Stimmt das Europaparlament zuvor mehrheitlich zu, kommt es gleich zur vorläufigen Anwendung, während das Verfahren in den Mitgliedstaaten noch läuft. Ein Nein eines nationalen Parlaments könnte das Abkommen trotzdem stoppen.

 

Mit CETA wurde das bisherige Vorgehen bei Handelsvereinbarungen umgedreht: Nicht jene Bereiche werden aufgeführt, die zu liberalisieren sind, sondern alles, was nicht ausdrücklich ausgenommen wird, muss in den Markt gebracht werden. Es gilt: „list it or lose it“. Dies betrifft nahezu alle Bereiche – auch Kultur- und Bildungsbereiche. Besonders ärgerlich: Aus Fehlern soll man nicht mehr lernen können. Einmal privatisierte öffentliche Dienstleistungen dürfen nicht mehr wieder aus dem Markt genommen werden.

 

CETA hat zudem die Türöffnerfunktion für eine neue Form von Investorenschutz. Vor einem Sondertribunal, Investitionsgericht (ICS) genannt, sollen ausländische Unternehmen Regierungen verklagen können, wenn ihre Gewinnerwartungen durch Gesetzgebungen zu Umweltfragen oder staatliche Förderung von »Konkurrenz«
in Kultur und Bildung gefährdet scheinen. Den mehr als 40.000 US-Unternehmen, die eine Niederlassung in Kanada haben, wird der Klageweg vor dem CETA-Tribunal ebenfalls offen stehen, nicht aber europäischen Bürgern oder inländischen Unternehmen. Das Prinzip der Rechtsgleichheit gilt dann nicht mehr.

 

 

Schlechte Karte für die Kultur!
Ska Keller (Bündnis 90/Die Grünen) ist seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments

Schon in diesem Jahr könnte das Europaparlament über das Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA, abstimmen. Es ist also höchste Zeit, sich mit dem so-
genannten kleinen Bruder von TTIP, dem Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA, auseinanderzusetzen, bevor es zu spät ist.
Leider bringt das Abkommen nichts Gutes für die Bürger in der EU. Der europäischen Kulturlandschaft könnte dadurch ein großer Schaden entstehen, denn der Kulturbereich wird bis auf wenige Ausnahmen voll dem Freihandelsabkommen unterstellt. Allein für audiovisuelle Medien gibt es eine Ausnahme. Das bedeutet z. B., dass eine große Unsicherheit für private Bildungsträger mit öffentlichem Auftrag im Kulturbereich besteht. Durch das CETA-Abkommen könnte jedes Unternehmen, was in den EU-Markt eintritt, die gleiche staatliche Förderung beanspruchen und dadurch wäre eine gezielte staatliche Förderung schwierig.

 

Aber auch jede zukünftige Dienstleistung, die noch nicht erfunden ist, wird durch das Abkommen automatisch liberalisiert, ohne dass die Möglichkeit besteht, diese besonders staatlich zu regulieren. Demokratisches Handeln wird in der Zukunft nur noch in engen Schranken möglich sein und dagegen wehren wir von Bündnis 90/Die Grünen uns.

 

Das Ganze wird noch verschärft, denn Großkonzerne dürfen gegen staatliche Regulierung vor einem eigens für sie eingerichteten Schiedstribunal klagen. Sie werden mit jeglicher juristischer Finesse, den CETA-Vertragstext in ihre Richtung zu biegen versuchen und staatliche Förderung sowie Ausnahmebestimmungen werden unter Beschuss geraten.

 

Wir Grüne positionieren uns klar gegen das CETA-Abkommen und ich werde alles tun, damit es schon im Europaparlament abgelehnt wird. Die besondere europäische Kulturlandschaft darf nicht dem Freihandel anheimfallen und die globale Handelspolitik muss anders ausgerichtet werden. Wir brauchen einen globalen gerechten Handel, der die Interessen der Bürger verfolgt und keine Politik für globale Großkonzerne.

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