Neue Musik in neuen Medien

Irene Kurka über Klassik, zeitgenössische Musik und Podcasts

 

Was hat es mit Ihren zusätzlichen Mindset-Themen, wie Sie es nennen, auf sich?
Das sind Themen wie Zeitmanagement, Kreativität oder Gagenverhandlung, die für Künstlerinnen und Künstler sehr wichtig sind. Gerade in Pandemie-Zeiten ist es noch dringlicher geworden, dass wir Kreativen uns unseres Wertes bewusst sind, gut verhandeln und faire Bedingungen einfordern. Ich thematisiere auch Kooperation und Ko-Kreation anstatt Konkurrenz und Ellenbogenmentalität. Transparenz und ein Miteinander liegen mir am Herzen und spielen in meinem Podcast deshalb eine große Rolle. Deswegen auch der Titel „neue musik leben“.

 

In einem Interview beschreiben Sie, wie Sie als Studentin in den USA angefangen haben, sich mit moderner Musik auseinanderzusetzen und zunächst lange gebraucht haben, sich die Stücke zu erschließen bzw. ihre Passagen zu erlernen. Ist das eine erste Herausforderung für alle, die sich moderner Musik nähern? Weil sie ihre Hörgewohnheiten erweitern müssen, zumal wenn sie von der klassischen Musik kommen?
Ich glaube, man kann das gar nicht verallgemeinern. Ja, ich habe ein bisschen gebraucht, um solche Stücke, wie Sie sagen, tatsächlich gut aufführen zu können. Bezüglich der Hörgewohnheiten aber habe ich das Unterschiedlichste erlebt: Menschen, die sich erst herantasten wollten, und andere, die direkt enttäuscht waren, dass ich sie nicht viel früher in Neue-Musik-Konzerte mitgenommen habe. Insofern mache ich mir über diesbezügliche Strategien keine Gedanken mehr und lade einfach alle ein. Das Einzige, was ich oft noch als Tipp gebe, ist, sich vielleicht eher vorne hinzusetzen, weil es in den meisten Konzerten in der Neuen Musik viel zu beobachten gibt, wenn beispielsweise der Pianist nicht nur die Tasten spielt, sondern die Saiten direkt im Flügel oder weitere Gegenstände für neue Klänge nutzt. Und häufig sind auch Einführungsvorträge hilfreich. Wobei ich finde, dass man gar nicht alles verstehen muss, um die Musik zu erleben und zu genießen.

 

Haben Sie neben den Themenerweiterungen noch andere neue Ideen für Ihren Podcast?
Ich würde gerne visuelle Formate ergänzen, denn in der Kombination mit Bildern kann man noch spannendere Dinge zeigen und Menschen für den Facettenreichtum begeistern. Warum gibt es kein MTV-Äquivalent für Neue Musik? Gerade jetzt während Corona ist es doch ein bisschen langweilig, immer nur einen Konzertmitschnitt irgendwo ins Netz zu stellen.

 

Als Konzertbesucherin kann ich diese Idee gut nachvollziehen. Die Kombination aus Sehen und Hören ist für mich immer das Wichtigste. Noch eine ganz andere Frage: Mit welchen Komponistinnen arbeiten Sie gerade in Konzerten zusammen?
Im Moment habe ich ein Stück von Charlotte Seither anstehen, was ich mehrmals singen werde, in Deutschland sowie in den Niederlanden. Mit Christian Banasik werde ich nächstes Jahr für die Tonhalle Düsseldorf im Rahmen eines großen Festivals ein Projekt machen, nachdem wir in der neuen Wehrhahn-Linie in Düsseldorf die Metropolitan Trilogie 2017 bis 2019 uraufgeführt haben. Ich mache auch sehr viel mit Dominik Susteck, mit Christina C. Messner, mit Antoine Beuger oder Moritz Eggert. Sie alle stehen für sehr unterschiedliche Stilistiken, was mich, wie schon erwähnt, besonders reizt, um immer wieder neu zu entdecken, was kann ich denn eigentlich noch?

 

In einem Interview erwähnen Sie, dass manche Kollegen die Neue Musik lieber im Elfenbeinturm belassen würden. Sie indes plädieren dafür, Neue Musik stärker in den Lehrplan der Universitäten zu integrieren. Warum?
Ich habe selbst erfahren, dass man sich, seine Stimme, sein Instrument, besser kennenlernt, wenn man Neue Musik macht. Die Berührungsangst ist jedoch noch immer aus offenbarer Unkenntnis heraus sehr stark, und das finde ich schade. Zumal es sich gar nicht mehr generalisieren lässt, dass Neue Musik besonders herausfordernd ist. Es gibt ja so unterschiedliche Stücke, auch welche, die man gut mit Laien zusammen machen kann. Solche Kooperationen, die der Landesmusikrat NRW ins Leben gerufen hat, liegen mir am Herzen. Diese positiven Erfahrungen möchte ich bekannter machen.

 

Kommen junge Musiker denn überhaupt noch ohne Erfahrungen mit Neuer Musik zurecht?
Ich bezweifle das. Selbst wenn jemand sagt: „Ich will ganz klassisch in ein Opernengagement gehen“, wird er mit einem anderen Spielplan zurechtkommen müssen. Denn eigentlich führen alle Opernhäuser zumindest einmal im Jahr irgendeine zeitgenössische Oper auf. Darauf werden aber die armen Studenten gar nicht vorbereitet.

 

Mit meiner letzten Frage komme ich an unseren Anfang zurück: Was soll Ihr kommendes Buch vom Podcast unterscheiden?
Einer der Mehrwerte des Buches ist, das es als Nachschlagewerk besser funktioniert als ein Podcast. Viele der Interviews sind Zeitdokumente, die Studenten oder Musikerinnen auch mal nachschlagen oder zitieren möchten. Darüber hinaus enthält es viel Praktisches, was für Leute, die komponieren, singen oder spielen, in ihrem Alltag wichtig ist: Zeitmanagement und Verhandlungsgeschick oder Eifersucht und Kreativität. Da ich weder Musikwissenschaftlerin noch Journalistin bin, sondern ebenfalls eine Praktikerin, bietet es direkte Orientierungsmöglichkeit.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2020.

Irene Kurka & Cornelie Kunkat
Irene Kurka ist Sopranistin und Podcasterin. Cornelie Kunkat ist Referentin für Frauen in Kultur und Medien beim Deutschen Kulturrat.