Zwischen den Fronten und dem Fortleben der Moderne

Architekten im Exil

Sehnsuchtsort, Inspirationsquelle, Fluchtpunkt – so beginnt die Zeitschrift der Stiftung Bauhaus Dessau in ihrem Tropenheft über das Bauhaus anderswo und die Vielzahl der Exilgeschichten von Architekten zu berichten. Es geht um die internationalen Verbreitung der Idee des Bauhaus als Symbiose von Handwerk, Kunst und Technik, der Initialisierung von weiteren Schulen nach dem in den 1920er Jahren in Deutschland entstandenem Gedankengut, bis hin zu Einzelbiographien von Architekten und deren Prägung durch das Bauhaus oder seine Schüler – Themen, die die derzeitige Ausstellung „bauhaus imaginista“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt aufgreift, anhand einer Vielzahl von Objekten, Schriften und filmischen Dokumentationen präsentiert und als globalen Wissenstransfer vermittelt. Und es stimmt – betrachtet man Architekten, die ins Exil gingen aus deutscher Perspektive, so ist der Zeitraum zwischen 1925 und 1945 und das Bauhaus als prägende Schule der Moderne von großer Bedeutung. In Folge des aufkeimenden Nationalsozialismus begaben sich viele politisch anders Denkende; liberale, linksgerichtete und vor allem jüdische Architekten gezwungenermaßen ins Exil. Rund 300 Architekten wurden vertrieben oder flüchteten. Viele von ihnen, bei weitem aber nicht alle, waren ehemalige Bauhäusler – Architekten, die mit den fortschrittlichen Ideen der Bewegung und Schule in Kontakt gestanden oder den weit verbreiteten Geist der Moderne verinnerlicht hatten. Sie wanderten aus, gingen ins Exil und waren gezwungen sich mit den Gegebenheiten ihrer Zufluchtsorte, der eigenen Identität und dem Verlust der Heimat auseinanderzusetzen. Gleichermaßen trugen die von ihnen transportierten Ideen zum internationalen Austausch bei und nicht selten wurden sie von ihren neuen Heimatländern als Experten empfangen, die in der Neugestaltung zukünftiger Habitate einen Beitrag leisten sollten. Ob in den USA mit Walter Gropius oder Erich Mendelssohn, wo eine neue Schule aufgezogen wurde, Südamerika mit Max Cetto und Hannes Meyer, der als Leiter des Stadtplanungsbüros von Mexiko City agierte, der Sowjetunion mit Ernst May, Philipp Tolziner und Lotte Stam-Beese, England mit Hans Sigmund Jaretzki oder in Palästina mit Arieh Sharon oder Lotte Cohn – um nur ein paar Namen zu nennen. Vielerorts erhielt nicht nur das Gedankengut des Bauhauses, sondern die europäisch geprägte Architektur der Moderne Einzug und prägte die Kultur und die gebauten Lebensentwürfe vor Ort, während umgekehrt die klimatischen Bedingungen und Herausforderungen der Exilländer auch die Werke und Einstellungen der Architekten veränderten.

 

Aufgrund der Vielzahl individueller Lebenswege und weitverzweigter Netzwerke, die ausgehend von den Exilländern bis in afrikanische Länder weiter getragen wurden – hier ist der viel besprochene Dokumentarfilm „Scenes from the Most beautiful Campus in Africa“ von Zvi Efrat zum von Arieh Sharon gebauten Campus Ife in Nigeria zu nennen – sollen im folgenden Beispiele zusammengetragen werden, die trotz ihres geringen Bekanntheitsgrads exemplarisch für Exilgeschichten von Architekten stehen und die globale Verbreitung von Ideen der Moderne und des Bauhauses im Kontext der jeweiligen Exilländer diskutieren. Zum einen geht es um ein Beispiel aus Israel, das von der Ankunft eines ausländischen Architekten und den zu dieser Zeit realisierten Projekten sowie den lokalen Schwierigkeiten aufgrund politischer Lager und der Moderne als neuem Baustil berichtet, zum anderen um das Fortleben der Bauhausgedanken als Bewegung der chilenischen Architektur der 1950er und 1960er Jahre – also einer Generation später.

 

In der aktuellen Forschung werden viele der Auswanderungswege und fragmentarisch dokumentierten Lebensstationen zwischen Ursprungsland und den Immigrationsländern untersucht. In Deutschland ist der Nachlass Myra Wahrhaftigs am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ein Meilenstein dieses Forschungsinteresses. Die aus Haifa stammende Architektin hatte zu Lebzeiten begonnen die Biographien jüdischer Architekten, die Deutschland in den 1920er und 1930er Jahren verlassen hatten, zusammenzutragen und Zeugnis über längst vergessene Persönlichkeiten und ihre Werke abzulegen.

Riccarda Cappeller
Riccarda Cappeller ist Architekturjournalistin mit Fokus auf Projekten mit sozialem Hintergrund und neuen Nutzungsformen sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leibniz-Universität Hannover.
Vorheriger ArtikelFremdsein
Nächster ArtikelGesichter und Geschichten