Gesichter und Geschichten

Internationales Leben im deutschen Exil

Wie wirkt sich diese Erkenntnis auf die praktische Arbeit der Stiftung aus?

Wir wollen dreierlei erreichen: Zunächst einmal, dass wir in Deutschland besser verstehen, was es bedeutet in einem fremden Land und einer fremden Kultur im Exil zu leben. Dann gilt es, Anlässe für Gespräche, Begegnung und Austausch zu schaffen. Und schließlich gehört dazu, Zugänge zum gesellschaftlichen Leben zu bieten, Teilhabe zu ermöglichen. Seit drei Jahren führen wir ein lokales Format in Hamburg durch: die „Tage des Exils“. Mit Kulturinstitutionen, Stiftungen, der Universität und anderen Einrichtungen führen wir vier Wochen lang 60 Veranstaltungen durch, die das Thema Exil aus historischer und aktueller Perspektive beleuchten. Museen, Theater und Kinos planen Veranstaltungen und binden aktiv Schriftsteller, Künstler oder Wissenschaftler im Exil ein. Wir stiften dabei neue Kontakte und vermitteln, mancherorts entstehen gemeinsame künstlerische oder soziale Projekte. Ein Höhepunkt ist die „Rede zum Exil“, die im letzten Jahr in der Elbphilharmonie von dem türkischen Journalisten Can Dündar gehalten wurde und in diesem Jahr von dem chinesischen Schriftsteller und Musiker Liao Yiwu gehalten wird, um die Perspektive der Exilierten in Deutschland zu Gehör zu bringen. Wir erreichen während der Tage des Exils zwischen 8.000 und 10.000 Menschen in Hamburg und können die Reichhaltigkeit der Kultur zeigen, die sich mittlerweile in ihrer Stadt versammelt hat.

 

Neben den „Tagen des Exils“ sticht ein anderes Projekt aus ihren Aktivitäten he-raus: die Nachrichtenseite „Amal, Hamburg!“. Welche Idee steht dahinter, was ist das genau?

Wir möchten als Körber-Stiftung insbesondere den Exiljournalismus in Deutschland stärken, da es hier viel Unterstützungsbedarf gibt und Journalisten wichtige Multiplikatoren für Meinungsfreiheit und Demokratie sind. Deswegen haben wir zwei Projekte initiiert: Zum einen das „Exile Media Forum“. Die Idee dieser Konferenz ist, dass sich Exiljournalisten fachlich austauschen, untereinander vernetzen und in Kontakt mit Medienhäusern in Deutschland kommen. Es gibt zwar viele Tagungen im Medienbereich, dennoch bestand beim Exiljournalismus eine Lücke, die wir schließen wollten. Der erste Pilot ist sehr vielversprechend im letzten Jahr gestartet. Uns geht es aber nicht nur um den Diskurs und fachlichen Austausch, sondern wir wollen auch konkret etwas tun. Aus diesem Grund haben wir in diesem Jahr eine Nachrichtenseite von drei Journalisten im Exil in Hamburg initiiert – „Amal, Hamburg!“. Es ist eine Kooperation der Evangelischen Journalistenschule und der Körber-Stiftung, unterstützt vom Hamburger Abendblatt und der Evangelischen Kirche in Deutschland. „Amal, Hamburg!“ ist ein Schwesterprojekt von „Amal, Berlin!“, das schon seit 2017 besteht. Das Besondere ist, dass die Redaktion auf arabisch und persisch über Kultur, Politik und Gesellschaft in der Stadt informiert und ihren Sitz im Newsroom des Hamburger Abendblatts hat. Eine demokratische Stadtgesellschaft braucht aus unserer Sicht gut informierte Bürger und zur Stadtgesellschaft zählen viele Gruppen.

 

Warum informiert „Amal, Hamburg!“ auf persisch und arabisch?

In Hamburg lebt die größte afghanische Community außerhalb von Afghanistan. Zum anderen lebt hier auch die zweitgrößte persische Community in Europa. Die größte persische Community findet man in London. Wenn man die Arabischsprechenden dazuzählt, dann haben wir über 50.000 Menschen in der Stadt. Viele Menschen im Exil sind zunächst noch in ihrer alten Sprache mehr zu Hause als in der Sprache des Ankunftslandes, also in Deutsch. Daher ist die Chance höher, Menschen stärker an die neue Gesellschaft heranzuführen und ihre Teilhabe zu vergrößern, wenn man in ihrer Sprache über diese neue Gesellschaft berichtet. Sie haben dann die Chance, aus der Abhängigkeit von den Medien in ihren Herkunftsländern zu kommen und sich umfassend über das Stadtgeschehen zu informieren.

 

Hierfür gibt es auch eine interessante Parallele zum Exil der 1930er Jahre. Denken Sie an die Zeitschrift „Der Aufbau“ in New York, die in den 1930er und 1940er Jahren Informationen über das neue Land geliefert hat. Diese Zeitschrift hat damit auch zur emotionalen Ablösung von der alten Heimat beigetragen. Man tat sich leichter damit, sich durch Informationen mit der neuen Gesellschaft zu identifizieren und da auch Chancen zu erkennen und zu ergreifen.

 

Ein weiteres Aushängeschild der Körber-Stiftung zum Thema Exil ist die Ausstellung „Hier fühle ich mich zu Hause“. Wie kam es zu dem Titel?

Aus vielen Gesprächen mit Menschen im Exil wissen wir, dass ihr Gefühl von Heimat noch ganz mit ihren Herkunftsländern, den zurück gelassenen Familien und Freunden verknüpft ist. In Deutschland braucht es eine ganze Zeit für sie, um hier anzukommen. Wenn es gut läuft, fühlen sie sich dann irgendwann vertrauter mit der neuen Umgebung. Es entsteht dann vielleicht noch nicht das Gefühl von Heimat, aber von „zu Hause sein“ … wenn auch temporär. Die Ausstellung zeigt die im Exil Lebenden an den Orten, an denen sie sich wohlfühlen, wo sie sagen: „Das erinnert mich an Situationen aus meiner Heimat“.

 

Wen zeigt die Ausstellung genau?

Die Ausstellung zeigt Menschen, die in ihrer Heimat Kriegsopfern geholfen, Rechte von Mädchen verteidigt oder Korruptionsskandale aufgedeckt haben. Sie stammen aus Afghanistan, Bangladesch, Irak, Iran, Simbabwe, Syrien, Tadschikistan, Türkei und der Ukraine. Sie mussten ihr Land verlassen und leben nun im Exil. Sie sind als Autoren, Journalisten, Schriftsteller, Blogger, Frauenrechtler, Musiker und Wissenschaftler aktiv und engagieren sich auch fernab ihrer Heimat. Mit der Ausstellung wollen wir Menschen im Exil sichtbar machen und eine Stimme geben. Exil erhält so ein individuelles Gesicht und eine Geschichte. Die Ausstellung wird laufend um neue Porträts erweitert. Erstmals gezeigt wurde sie in Hamburg bei uns im KörberForum. Es gibt auch an anderen Orten Interesse, sie dort zu präsentieren, was uns außerordentlich freut. So ist sie derzeit noch bis 15. September 2019 in den Räumen der Hamburger Landesvertretung in Berlin zu sehen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2019.

Sven Tetzlaff und Theresa Brüheim
Sven Tetzlaff leitet den Bereich Demokratie, Engagement und Zusammenhalt der Körber-Stiftung. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst bei Politik & Kultur.
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