Exilnetzwerk

Die virtuelle Ausstellung "Künste im Exil"

Etwa 500.000 deutschsprachige Menschen sahen sich nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten gezwungen, ins Exil zu gehen. Etwa 10.000 von ihnen gingen wissenschaftlichen, literarischen und künstlerischen Berufen nach, darunter Theaterschaffende und Filmemacher, Schriftsteller, Bildende Künstler, Fotografen, Architekten, Tänzer, Komponisten und Musiker. Die Bedingungen für die Fortsetzung ihrer künstlerischen Arbeit im Exil hingen von unterschiedlichen Faktoren ab. Für Bildende Künstler, Komponisten und Fotografen z. B., deren Kunst weniger an die deutsche Sprache gebunden war, konnte die Weiterarbeit unter den veränderten Bedingungen des Exils leichter möglich sein, während viele Schriftsteller im Exil um ihre Sprache rangen. Exil konnte zu Sprachmischungen und Sprachwechsel führen, die Mehrzahl der aus dem Machtbereich der nationalsozialistischen Diktatur emigrierten Autoren hielt jedoch an der deutschen Sprache als ihrer literarischen Sprache fest. Angesichts der durch das Exil ausgelösten Verunsicherungen vermittelte die Weiterarbeit in der deutschen Sprache zumindest die Illusion einer Kontinuität für die literarische Produktion und die eigene Identität. Je nach künstlerischer Disziplin, Zeitpunkt der Flucht, Alter, Geschlecht, sozialem Status und Aufnahmeland variierten die Möglichkeiten für die Künstler im Exil. In vielen Ländern gab es bürokratische Hürden, so ging eine erfolgreiche Einreise häufig nicht unmittelbar mit einer Arbeitserlaubnis einher. Die Kulturschaffenden trafen zudem in vielen Regionen auf einen für sie gänzlich fremden Kulturbetrieb, dessen Gesetze sie erst verstehen mussten. Alte Netzwerke mussten reaktiviert, neue erst gegründet werden. Bildende Künstler mussten Wege finden, Galerien und Museen für die eigene Arbeit zu interessieren, Schriftsteller mussten Verlage finden, für Schauspieler konnten sich Nischen wie Akzentrollen als Chance, aber auch als Einengung erweisen und Architekten beispielsweise mussten sich auf neue ästhetische Bedingungen, neue Diskurse und fremde Fachtraditionen einlassen. Zudem galt es, ein neues Publikum zu gewinnen. Schriftsteller beispielsweise schrieben entweder für die zahlenmäßig überschaubare Exilgemeinde oder waren auf Übersetzungen angewiesen, wenn sie nicht selbst in der Sprache des Aufnahmelandes verfassten, Vortragskünstler und Kabarettisten trafen mit ihren den Nationalsozialismus und das Leben im Exil betreffenden Themen oft auf Unverständnis oder Desinteresse beim Publikum der Aufnahmeländer und traten daher vor Mitgliedern der Exilgemeinde auf. Viele unterschiedliche Hilfsorganisationen versuchten, monetär und durch Vermittlung von Kontakten zu unterstützen. Die Bandbreite der Erfahrung exilierter Künstler war groß: Das Exil konnte zum Einstellen der künstlerischen Arbeit führen, es konnte produktive Impulse setzen oder Anlass sein, sich erstmals als Künstler zu etablieren. Vor diesem Hintergrund ist der Titel der virtuellen Ausstellung „Künste im Exil“ unter www.kuenste-im-exil.de programmatisch zu verstehen. Nicht eine vermeintliche Gattung Exilkunst steht im Fokus, sondern die vielfältigen Auswirkungen des Exils auf die Künste sind Thema des kooperativen Netzwerkprojektes.

 

Ellen Auerbach, Walter Gropius, Lucia Moholy und László Moholy-Nagy schauen den Besucher von der Startseite der virtuellen Ausstellung „Künste im Exil“ an. Werke von Herbert Bayer, Theo Balden, Lyonel Feininger und Richard Paulick sind zwischen den Porträtfotografien zu sehen. Das verbindende Element wird sofort deutlich: das Bauhaus. Die virtuelle Ausstellung „Künste im Exil“ stellt einige Künstlerinnen und Künstler des Bauhauses vor und widmet ihnen anlässlich des Jubiläumsjahres die Startseite.

 

Aber welche Verbindungslinien bestehen beispielsweise zwischen László Moholy-Nagy und Herta Müller? Warum finden sich zu beiden Kurzbiografien und Exponate auf „Künste im Exil“? Ein Klickweg durch die virtuelle Ausstellung zeigt die verbindenden Knotenpunkte auf. Mit dem Personeneintrag zu dem Fotografen, Designer und Maler László Moholy-Nagy ist als Exponat seine letzte Neujahrskarte aus England verlinkt, gestaltet mit einem Fotogramm aus der Dessauer Zeit des Künstlers. In der Beschreibung dieses Exponats führt ein Link zu einem Personeneintrag über den Architekten und Designer Walter Gropius. Über dessen Aufnahmeland USA informiert ein mit seiner Biografie verknüpfter Themenbeitrag. Diesem ist als Exponat eine Telefonliste Soma Morgensterns aus seiner Zeit in Kalifornien 1941 bis 1943 zugeordnet, die das prominente künstlerische und intellektuelle Umfeld des Schriftstellers im Exil bezeugt. Auf seiner Liste verzeichnet ist beispielsweise Thomas Manns Adresse in Pacific Palisades, ein wichtiges Zentrum des Exils in Kalifornien, über dessen Bedeutung ein verlinkter Themenbeitrag informiert. Als Exponat ist dort die 1947 im emigrierten Bermann-Fischer Verlag erschienene Ausgabe von Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“ verknüpft, an dem er seit 1943 im kalifornischen Exil gearbeitet hatte. Sein häusliches Arbeitsumfeld ist durch eine Fotografie seines Mahagoni-Schreibtischs repräsentiert, den Mann Ende der 1920er Jahre in München erworben und der ihn auf den verschiedenen Stationen seines Exils begleitet hatte. Ein Stück portable Heimat? Mit den Ideen von Heimat setzt sich ein kurzer, dort verlinkter Themenbeitrag auseinander, über den der Ausstellungsbesucher zu Herta Müllers 1989 erschienenem Text „Reisende auf einem Bein“ und einem Interview mit ihr und Liao Yiwu gelangt.

Sylvia Asmus
Sylvia Asmus ist Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek.
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