Ressource Kreativität

Der Reichtum Afrikas ist seine Kultur

Design aus Kenia, Mode aus Senegal, Musik aus Marokko, Animationsfilme aus Südafrika: Afrika verfügt über enormes kreatives Talent und eine wachsende Kultur- und Kreativwirtschaft. Das spiegelt sich in entsprechenden Wirtschaftsdaten wider: Laut Afrikanischer Entwicklungsbank (AfDB) war der afrikanische Textilmarkt 2016 der zweitgrößte Arbeitgeber des Kontinents. Ein Jahr später prognostizierte die Weltbank den Kreativbranchen einen Zuwachs von etwa zehn Prozent – mit besonders starkem Wachstum in Nordafrika. Hier, wie auch in Subsahara-Afrika, bieten diese Branchen – von der Film- und Musikindustrie über die Design-, Textil- und Modebranche bis zu Gaming, Animation und Werbung – besonders jungen Menschen gute Erwerbschancen mit aussichtsreichen Zukunftsperspektiven.

 

Im entwicklungspolitischen Fokus: Wirtschaftskraft Kultur

Für die deutsche Entwicklungspolitik ist der Kreativsektor von besonderem Interesse: Er ist Job-Motor, gibt wichtige Innovationsimpulse in Gesellschaft und Wirtschaft, stiftet Identität und bringt Menschen in Dialog. In Zeiten der Digitalisierung finden gerade Kultur- und Kreativschaffende neue Lösungsansätze für aktuelle Herausforderungen – und entwickeln daraus erfolgreiche Geschäftsmodelle: Video-on-Demand als Antwort auf kaum vorhandene Kinosäle; Gaming-Angebote für praxisnahen Unterricht; Arbeiten in der Cloud zur Überbrückung großer Distanzen; Crowdfunding zur Finanzierung neuer Ideen und Produkte. Nachhaltige Entwicklung braucht diesen Mut zur Innovation. Und nachhaltige Entwicklung schließt neben den drei traditionellen Dimensionen – ökonomisch, ökologisch und sozial – die kulturelle Dimension mit ein, die in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verankert ist.

 

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) fördert den Zukunftsmarkt Kultur- und Kreativwirtschaft mit dem Ziel, Ausbildung, Beschäftigung und Job-Möglichkeiten für junge Kreative in Entwicklungsländern langfristig zu verbessern. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat deshalb ein länderübergreifendes Pionier-Programm „Kultur und Kreativwirtschaft“ in Marokko, Kenia, Senegal, Südafrika, Jordanien, Libanon und Irak aufgelegt, das erstmals Kultur und schöpferische Kreativität als Ressource und Vehikel für Entwicklung in den Mittelpunkt stellt. Hierbei arbeiten wir eng mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), dem Goethe-Institut und auch mit der UNESCO zusammen.

 

Kreativberufe stärken, Rahmenbedingungen verbessern

Im Rahmen des Programms „Kultur  ­und Kreativwirtschaft“ erhält der Krea­tivnachwuchs vor Ort Gründungsberatung, Coachings und maßgeschneiderte Weiterbildungsangebote, z. B. zu Produktentwicklung und Management. So entsteht z. B. im Senegal eine mehrmonatige berufsbegleitende Fortbildungseinrichtung für Musikmanager, Musikjournalisten und Tontechniker. Etablierte Kreativschaffende werden bei Finanzierung, Markterschließung, Vertrieb und Kundenentwicklung unterstützt. So unterstützen wir z. B. in Kenia gemeinsam mit einer kenianischen Crowdfunding-Plattform alternative Start-up-Finanzierungen speziell für die Kreativbranche und fördern Designerinnen und Designer beim Export ihrer Produkte.

 

Außerdem trägt die deutsche EZ dazu bei, die Leistungsfähigkeit von Ausbildern und Service-Einrichtungen wie Hubs oder Interessenverbänden im Kreativsektor zu verbessern – so z. B. in Südafrika, wo der Verband Animation South Africa zum maßgeblichen Industrieverband für eine junge und bereits international wettbewerbsfähige Animationsbranche werden soll. Durch die Zusammenarbeit mit lokalen Produktionsfirmen werden industrierelevante digitale und analoge Ausbildungsprogramme entwickelt. Die Vernetzung untereinander und international sowie die gemeinsame Interessenvertretung gegenüber nationalen Behörden werden gefördert.

 

Langfristig geht es um die Schaffung von Jobs und die Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen in den Kreativbranchen – etwa beim Zugang zu Finanzmitteln, der Mobilisierung von Investitionen, der gerechten Entlohnung und der sozialen Absicherung von Kreativen. Damit macht gerade der Kultur- und Kreativsektor den Mehrwert innovativer Entwicklungspolitik greifbar: Wir tragen nicht unsere Vorstellungen von kulturellen Inhalten nach Afrika, sondern verbessern gemeinsam Produktions-, Rezeptions- und Einkommensbedingungen.

Spotlight Film: Wie Afrika das Kino neu erfindet

Einen besonderen Stellenwert innerhalb der Kreativwirtschaft nimmt die rasant wachsende afrikanische Filmbranche ein. Ob bei der Berlinale, den Oscars, internationalen Filmfestivals oder Netflix: Afrikanische Filme gewinnen an Aufmerksamkeit, bestechen durch innovative Erzähl- und Sende-Formate wie Web-TV und mobiles Kino per Handy. Mittlerweile wird nicht nur Nigeria als zweitgrößte Filmindustrie der Welt mit seinen „Nollywood“-Filmproduktionen und einem jährlichen Umsatz von knapp einer Milliarde US-Dollar international wahrgenommen. Auch in weiteren Ländern wie Südafrika, Kenia, Ruanda und Marokko entstehen immer professionellere Film- und Fernsehproduktionen, die ihren Markt finden – auch auf dem afrikanischen Kontinent. Seit 2016 ist der Streaming-Dienst Showmax in 36 afrikanischen Ländern verfügbar und damit der wirtschaftlich bedeutendste Anbieter Afrikas.

 

Doch die afrikanische Filmwirtschaft kämpft auch mit Herausforderungen: Es fehlt an praxisnahen Ausbildungsmöglichkeiten, an Finanzierung, wie z. B. Steuerbegünstigungen oder Filmfonds, an professionellen und fairen Vertriebsstrukturen mit gut vernetzten Verleihern und breitem Zugang zu Streaming-Diensten, Internet und Mobilfunk.

 

Deshalb habe ich 2017 die Initiative „Zukunft.Markt.Film.“ gestartet, die Filmschaffende in Kenia, Ruanda, Uganda, Ghana, Burkina Faso und Marokko qualifiziert, wirtschaftlich erfolgreiche Filme und Serien zu gesellschaftlich relevanten Themen zu produzieren. Denn Filme leisten über ihren wirtschaftlichen Nutzen hinaus einen wertvollen Beitrag zu Medienvielfalt und Meinungsbildung. Deshalb arbeiten wir hier eng mit der Deutschen Welle Akademie zusammen.

 

Das Markenzeichen der Initiative sind ihre Partner: Neben der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin und der Filmakademie Baden-Württemberg sind dies auch die deutschen Regisseure Tom Tykwer mit Training-on-set und Koproduktion in Kenia sowie Volker Schlöndorff mit Meisterklassen in Ruanda, die sich seit Jahren persönlich für Ausbildung, Vernetzung und Wertschöpfung vor Ort einsetzen. Im Ergebnis wurden mehr als 1.000 Filmschaffende aus- und weitergebildet, die Qualität von Film- und Medieninhalten verbessert, neun wirtschaftlich erfolgreiche Filme produziert und das Einkommen der Mitarbeiter um mehr als 50 Prozent gesteigert. Im Umfeld des Films entstanden neue Arbeitsplätze und Unternehmen – von Gastronomie bis Location-Scouting; Kenia und Ruanda wurden auch als Filmstandorte gestärkt.

 

Klar ist: Die afrikanische Filmwirtschaft transportiert das Bild des Chancenkontinents Afrika wie kaum eine andere Branche: jung, dynamisch und innovativ. Die Förderung dieser und anderer Kreativbranchen ist daher eine Investition in die Zukunft – für mehr Innovation, Vielfalt und Beschäftigung.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2019.

Gerd Müller
Gerd Müller ist Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
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