Raum zum Atmen

Die Kulturszene in Libyen

Wie gehen Sie mit den Herausforderungen um, mit denen Sie bei Ihren Projekten konfrontiert sind?
Alfurjani: Ich gehe noch immer mit ein paar wenigen Freundinnen und Freunden in die Altstadt. Allerdings organisieren wir aufgrund der Sicherheitslage in der Altstadt keine öffentlichen Events mehr. Wir haben unsere Taktik geändert. Ich konzentriere mich auf Forschung und Konferenzen, da ich vor Ort nichts anderes machen kann.
Abusrewil: Aus Sicherheitsgründen haben wir beschlossen, verstärkt auf Kunstlehrerinnen und Kunstlehrer zuzugehen. Wir arbeiten an staatlichen Schulen, wo wir Workshops veranstalten; daneben arbeiten und sammeln wir Daten online, während wir ursprünglich vorhatten, im öffentlichen Raum tätig zu sein.

 

Warum machen Sie trotzdem weiter, auch wenn Ihre Arbeit erheblich von der Sicherheitslage vor Ort bestimmt wird?
Alfurjani: Als ich ein kleines Kind war, lebte ich in London, wo uns meine Großmutter zu besuchen pflegte. Sie erzählte mir Geschichten über die Altstadt, wo sie aufgewachsen ist, und erklärte mir die Traditionen. Während sie mit mir sprach, trommelte sie mit ihren Fingern einen traditionellen Takt und Rhythmus auf dem Tisch. Damit bin ich aufgewachsen. Als ich dann nach Tripolis zurückkehrte, stellte sich mir die Gesellschaft dort komplett anders dar, als sie sie mir vermittelt hatte. Daher ging ich nach der Revolution 2011 sofort in die Altstadt, wo ich nach ein, zwei Aktionen einen Master-Abschluss machte und nun über die Altstadt promoviere. Alles wegen meiner Großmutter. Diese Geschichte motiviert mich. Ich habe mein bisheriges Leben diesem Thema gewidmet und werde mich auch den Rest meines Lebens und während meiner beruflichen Laufbahn mit dieser einen Sache beschäftigen.
Abusrewil: Wir unterhielten uns einmal mit meinem Professor an der Uni. Er versuchte uns im Rahmen einer Aktion, die Bedeutung von Architektur und Urbanismus zu vermitteln und verwendete dabei komplizierte Wörter, die niemand verstand. Das habe ich ihm gesagt und ihm erklärt, dass er zu viel voraussetzen würde, und die Menschen oft noch nicht einmal die Grundlagen dessen beherrschen, worüber er sprach. Kunst, Musik und Kultur werden an der Schule nicht wirklich gelehrt. Die Schülerinnen und Schüler kennen noch nicht einmal die entsprechenden Grundlagen. Kunstlehrerinnen und -lehrer werden an staatlichen Schulen von den anderen Lehrerinnen und Lehrern regelrecht diskriminiert, da diese Fächer wie Mathematik, Physik oder Chemie als weitaus wichtiger erachten. Daher denken die Kunstlehrerinnen und -lehrer, dass sie weniger wert und weniger wichtig sind als die sogenannten richtigen Lehrerinnen und Lehrer. Darüber kam ich ins Nachdenken. Diese Lehrerinnen und Lehrer brauchen Hilfe, sie brauchen Selbstvertrauen, weil sie eine wichtige Rolle spielen, und sie wissen nicht, wie sie dies bewerkstelligen sollen.

 

Wenn Sie an die Zukunft denken, wo sehen Sie Ihr Projekt in den nächsten fünf bzw. zehn Jahren?
Abusrewil: Ich mache normalerweise keine so langfristigen Pläne, aber ich glaube, dass wir in fünf Jahren, insbesondere was die Lehrerinnen und Lehrer angeht, erste Ergebnisse sehen dürften. Ich würde mich freuen, wenn sie bis dahin in den staatlichen Schulen neue Lehrmethoden verwenden. Denn im Moment geht es im Zeichenunterricht nur um technische Aspekte. Niemand vermittelt den Schülerinnen und Schülern die Geschichte oder den Gesamtzusammenhang oder versucht, sie für Kunst zu begeistern. Und in fünf Jahren dürfte „Tilwan“ eine Organisation sein, die sich über den Verkauf von Kunstwerken und handwerklich gefertigten Gegenständen, bei denen sich traditionelles Handwerk mit modernem Design verbindet, selbst finanzieren kann. Dann können sich junge Leute diese Dinge kaufen und über ihr kulturelles Erbe nachdenken.
Alfurjani: Ich bin die Fachidiotin im Raum. Ich habe eine PDF-Datei und eine PPT-Präsentation, die meinen Plan für die nächsten fünf Jahre sowie die nächsten zehn Jahre enthalten. Ich tendiere in Richtung Forschung und will meine Promotion in den nächsten fünf Jahren abschließen. Falls es die Umstände erlauben, sollte aus dem „Scene“-Projekt bis dahin ein experimentelles Theater und in zehn Jahren eine „Scene“-Kunstschule mit einem Theater und einer Architektur-Abteilung geworden sein.

 

Und wie steht es mit dem Goethe-Institut? Wird es wieder ein Institut in Libyen geben?
Jacob: Wir hatten ein Institut in Tripolis, in dem Deutsch gelehrt wurde, und in dem sich die Menschen über Deutschland informieren konnten. Es gab kulturelle Veranstaltungen und kulturellen Austausch. Natürlich hoffen wir, dass wir bald wieder dorthin zurückkehren können.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2019.

Zuhair Abusrewil, Reem Alfurjani, Andrea Jacob und Sarah Mersch
Zuhair Abusrewil ist Journalist, Architekt und Gründer der Kunstplattform "Tilwan". Reem Alfurjani ist Architektin, Forscherin sowie Gründerin und Geschäftsführerin von "Scene". Andrea Jacob leitet das Goethe-Institut in Tunesien und ist derzeitige Vorsitzende des EUNIC-Clusters in Tunis. Sarah Mersch arbeitet als freie Medienkorrespondentin und Ausbilderin in Tunesien. Sie war Seminarleiterin an der Kulturakademie Libyen.
Vorheriger ArtikelSelbstermächtigung
Nächster ArtikelWie afrikanisch ist Afrika?