Selbstermächtigung

Ein Masterstudiengang für Kulturpolitik und Kulturmanagement

Europäisches Wissen und amerikanische Erfahrungen sind nicht ausreichend für zukünftige Kulturmanager, Forscher und Aktivisten in arabischen Ländern«, heißt es in einer „Feasibility Study“, angeregt von EUNIC, dem Netzwerk europäischer Kulturinstitute und beauftragt von Al Mawred Al Thaqafy, einer kulturpolitisch agierenden Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Beirut. Aus dem Machbarkeitskonzept eines ersten Masterstudiengangs in Kulturpolitik und Kulturmanagement wurde Anfang 2019 Wirklichkeit, mit Mitteln der Ford Foundation und angesiedelt an der Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Hassan II in Casablanca in Marokko.

 

Nauris Rouissi kommt aus Tunesien, war dort künstlerische Leiterin eines universitären Filmclubs, Schatzmeisterin des kommunalen Kinos in Tunis und Direktorin des Karthago Film Festivals. Sie ist eine der Studierenden des ersten Jahrgangs, will im neuen Master ihre praktischen Kenntnisse wissenschaftlich fundieren und sich insbesondere den Forschungen zur Distribution der Künste widmen. Abdullah Afif leitete im Jemen ein Kulturzentrum im ländlichen Raum bis es von der saudi-arabischen Armee mit Bomben zerstört und dabei ein Großteil der Mitarbeiter getötet wurde. Er ist als geflüchteter Künstler sehr daran interessiert, Vermittlungskonzepte zu studieren und Kompetenzen zum Aufbau kultureller Infrastruktur zu erwerben. Marouane Sibari ist Musiker, arbeitete bisher in Marokko als Sänger und Songwriter und gründete ein Start-up-Unternehmen, das kulturelle Events in benachteiligten Stadtteilen möglich machte. Ihm ist es wichtig, einerseits musikalische Bildung zu organisieren und andererseits sich programmatisch mit Non-Profit-Management auseinanderzusetzen.

 

„Es geht darum, Fertigkeiten und Kapazitäten einer neuen Generation von Kulturexperten auszubilden, die alle Voraussetzungen haben, Kulturpolitik konzeptionell zu denken und qualitätsbewusst in die Praxis umzusetzen“, sagt Helena Nassif, die Direktorin von Al Mawred, bei der Inauguration des Masters. Das könne mittel- und langfristig den Sektor von Kunst und Kultur in arabischen Staaten voranbringen. Ihre Vorgängerin im Amte, Basma El Husseiny, war es, die den revolutionären Frühling in der Region nutzte, um die allseitige Aufbruchstimmung auch kulturpolitisch zu begleiten. Waren es zunächst Workshops in Kooperation mit dem British Council, dem Institute Francais und dem Goethe-Institut, die kaum koordiniert, allzu europäisch orientiert und wenig nachhaltig organisiert waren, bedurfte es einer fundamentalen Erneuerung in der Scientific Community. In mühsamen bürokratischen Prozessen wurden curriculare Modelle erörtert, bestehende Studiengänge evaluiert und ein Modulbaukasten erarbeitet.

 

Der Masterstudiengang in Casablanca ist in vier Semestern zu absolvieren und beschäftigt sich in Seminaren mit Cultural Management, Cultural Policy, Cultural Development Planning, Cultural Rights, Cultural Mediation, Cultural Diversity, Cultural Entrepreneurship, Cultural Activism und International Cultural Relations. Im zweiten Semester geht es um strategische Kulturentwicklungsplanung, um die Instrumente der Kulturförderung, um Kulturmarketing und Kulturprojektmanagement, um juristische, betriebswirtschaftliche und administrative Fragen. Das letzte Jahr beginnt in diesen Tagen mit Einblicken in Forschungsmethoden, in das wissenschaftliche Schreiben und Finanzmanagement. Module erörtern unter anderem Cultural Industries und Audience Development. Das vierte Semester dient dem Verfassen einer Masterarbeit, die auf einer Forschung in der Praxis basieren muss.

 

„Der Master bereitet den Weg für eine strategische Rahmung von Kultur“, schreibt Abdelkader Gonegai, der Dekan der Universität Hassan II in der Begleitbroschüre. „Und diese möge der Offenheit, der Toleranz, der Multidisziplinarität und dem Kulturaustausch dienen, um Prozesse der Transformation wahrzunehmen und zu gestalten.“ Die intendierte Wirkung des Studiengangs ist klar definiert, es geht um die Selbstermächtigung in den Kulturlandschaften im Norden Afrikas und im Nahen Osten, es geht um ein Modell für den gesamten Kontinent, der durch 54 afrikanische Länder geprägt ist, zumeist von autoritären Strukturen, von Korruption und der Einschränkung des Menschenrechts auf kulturelle Teilhabe und künstlerische Ausdrucksformen.

 

Vor allem die jungen Demokratien könnten davon profitieren, was mit bescheidenen Mitteln und zunächst beschränkt auf den arabischen Raum in Casablanca entwickelt wird.  Die internationale Unterstützung ist gesichert, was auch durch die beeindruckende Liste der Lehrenden deutlich wird. Dazu zählen die Professorinnen Milena Dragisevic-Sescic von der Universität der Künste in Belgrad, Birgit Mandel von der Universität Hildesheim und Hanan Hajali von der nationalen Universität Libanons, die alle drei auch an der Machbarkeitsstudie mitgeschrieben haben. Aus der Praxis kommt zum Beispiel Marina Barham vom Al Harrah Theater im palästinensischen Beit Jala.

 

Anfang Juli dieses Jahres kamen die Studierenden und einige Dozierende in Deutschland zu einer Summer School zusammen. Auch das ist Teil des Curriculums und ein Angebot der Partner­universität in Hildesheim. Dort trafen nicht nur die Master aus Marokko auf Kultureinrichtungen in der Region Hannover und in der Hauptstadt Berlin, sondern auch Studierende der vom DAAD geförderten Hildesheimer Graduate School „Performing Sustainability. Culture and Development in West- Africa“ mit Studierenden aus Ghana und Nigeria sowie auf deutsche Kommilitonen der Bachelor-Studiengangsvariante „Kulturpolitik im internationalen Vergleich“, die in Casablanca und im südafrikanischen Pretoria studiert haben. Die Rolle der Künstler in Prozessen der Transformation stand dabei im Mittelpunkt des akademischen Austauschs, der zudem im Rahmen einer Tagung an der Bundesakademie Wolfenbüttel in Arbeitsgruppen zu Themen wie „Innovative Kulturpolitik aus der Perspektive des globalen Süden“, „Neue Formate europäisch-afrikanischer Kulturkooperationen“ und „Soziokulturelle Arbeit zur nachhaltigen Entwicklung im ruralen Raum“ vertieft wurden. Das Zusammentreffen hat auch aufgezeigt, dass die nächste Generation, die sich kulturpolitisch engagiert, nicht mehr auf Best-Practice-Modelle aus dem globalen Norden angewiesen ist, sondern sich mit der Entwicklung gemeinsamer Fragestellungen und internationalen Lösungen einer Fair Cooperation zu befassen weiß.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2019.

Wolfgang Schneider
Wolfgang Schneider ist Inhaber des UNESCO-Chair in Cultural Policy for the Arts and Development und Mitglied des Steering Committees des Masterstudiengangs "Kulturpolitik und Kulturmanagement" an der Universität Hassan II. in Casablanca.
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