Von besonderer Natur

Die türkisch-deutschen Kulturbeziehungen

Wir erleben die Türkei derzeit als ein Land im rapiden Wandel. Damit geht in großer Geschwindigkeit eine Verschlechterung des deutsch-türkischen Verhältnisses einher. Die Stimmen, die jetzt nach roten Linien und klaren Zeichen in Richtung Bosporus rufen, werden lauter. Der einst hofierte Partner auf dem Weg in die Strukturen der Europäischen Union scheint sich auf dem Weg in ein unberechenbares, autokratisch regiertes System zu befinden. Gleichzeitig erlebt die Türkei seit Jahren eine Spirale terroristischer Gewalt, die die Gesellschaft traumatisiert. In dieser schwierigen politischen Gemengelage ist es wichtig, den Kultur- und Bildungsdialog aufrechtzuerhalten, über viele Jahre gewachsene Verbindungen zu Künstlern und Kulturinstitutionen zu pflegen und die Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen und zivilgesellschaftlichen Akteuren aktiv zu gestalten.

 

2017 ist es 60 Jahre her, dass das Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland in Ankara offiziell gegründet wurde. Schon einige Jahre zuvor war die deutsche Bibliothek als Keimzelle des künftigen Goethe-Instituts in der türkischen Hauptstadt eingerichtet worden. In 60 Jahren sind an den Standorten der Goethe-Institute in Ankara, Istanbul und Izmir belastbare und vertrauensvolle Beziehungen entstanden, die weit ins Land hineinreichen und stark genug sein sollen, die aktuellen Beeinträchtigungen unbeschadet zu überstehen.

 

Mit den Instituten in der Türkei verfügt das Goethe-Institut über ein Netzwerk, das es uns erlaubt, ein aktuelles Stimmungsbild aus der Türkei, aber auch aus Deutschland in den Diskurs einzubringen: In der Rückschau bilden die Proteste gegen die Überbauung des Gezi-Parks 2013 einen wichtigen Einschnitt in den Kulturbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei. Als Reaktion auf zunehmende Restriktionen gegen Autoren, Künstler und Kulturakteure reagieren seitdem in Deutschland viele zurückhaltender auf Einladungen aus der Türkei. Nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 verstärkte sich diese Tendenz nochmals. Dass noch im Juli 2016 die Sinopale, ein bedeutendes Kunstfestival am Schwarzen Meer, bis auf Weiteres verschoben wurde, werteten viele als Vorzeichen für Schlimmeres. Weitere Absagen sind – bislang – zum Glück ausgeblieben.

 

Wie sich die Situation politisch immer weiter auflädt, lässt sich gut an den ambivalenten Reaktionen auf die Istanbuler Buchmesse im November 2016 ablesen: Unter dem Motto „Worte bewegen“ präsentierten sich namhafte Verlage mit ihren Autoren. Gemeinsam mit der Frankfurter Buchmesse und dem Auswärtigen Amt gestaltete das Goethe-Institut diesen Auftritt. Dabei wurden Publikumsgespräche und Podiumsdiskussionen zur Meinungsfreiheit in der Türkei auch als Zeichen der Solidarität zu den inhaftierten Journalisten und Autoren initiiert. Gerade jetzt sind Diskussionen und Austausch, wie sie auf der Buchmesse passieren, dringend notwendig, unterstrich auch der Vizepräsident des türkischen Verlegerverbands Fahrid Aral.

 

Das Beispiel der Buchmesse zeigt, wie sich im aktuellen politischen Klima in der Türkei der Anspruch deutscher Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik bewähren kann und dadurch Kommunikationswege offen bleiben, die in anderen Bereichen bereits verschlossen sind. Gerade für diesen Ansatz steht das Goethe-Institut, es setzt sich weltweit für freiheitliche Werte, freie Meinungsäußerung und zivilgesellschaftlichen Dialog ein. Die Bedeutung von offenem und gelebtem Kulturaustausch zeigt sich an kaum einem anderen Projekt so deutlich wie am Beispiel der Kulturakademie Tarabya, die auf Beschluss des Deutschen Bundestages bereits 2011 in Istanbul eröffnet wurde.

Die Akademie bietet zahlreichen Künstlern aller Sparten Gelegenheit zu einem längeren Aufenthalt auf dem Gelände der historischen Sommerresidenz des deutschen Botschafters. Das Goethe-Institut übernahm die kuratorische Verantwortung und stellte dadurch sicher, dass sich durch Vernetzung mit der türkischen Zivilgesellschaft der deutsch-türkische Kulturaustausch konstruktiv entwickelt. Über 50 Stipendiaten haben seit der Gründung in der Kulturakademie gewohnt und gewirkt, darunter z. B. die Autoren Katja Lange-Müller und Moritz Rinke, der Lyriker Gerhard Falkner, die Theaterregisseure Hans-Werner Krösinger und Nurkan Erpulat, die Musiker und Komponisten Marc Sinan und Christian Thomé, die Filmemacherin Ayşe Polat sowie die Bildenden Künstlerinnen Nevin Aladağ und Funda Özgünaydin. Die Besonderheit der Kulturakademie Tarabya besteht darin, dass über einen längeren Zeitraum Koproduktionen entstehen können und sich ein enger Austausch mit lokalen Kreativen entwickeln kann. Gerade jetzt ist dieser Dialog besonders wertvoll – und trifft auf eine sehr hohe Wertschätzung seitens der türkischen Partner.

 

Zum besseren Verständnis der deutsch-türkischen Beziehungen lohnt auch der Blick in die Geschichte: Die Türkei zeigte in der Vergangenheit Großmut und Solidarität, als andere Länder ihre Grenzen verschlossen hielten. Der damals noch junge Staat gewährte in den 1930er Jahren Exilsuchenden aus Deutschland Zuflucht und Schutz. Ernst Reuter, Alfred Kantorowicz oder Friedrich Dessauer hätten ohne die türkische Solidarität den Faschismus in Europa vermutlich nicht überlebt. Die Bereitschaft, Menschen in Not aufzunehmen, hat auch aktuell nicht nachgelassen. So haben mehr als drei Millionen Flüchtlinge aus dem syrisch-irakischen Konfliktgebiet Zuflucht in der Türkei gefunden.

 

Das Goethe-Institut engagiert sich in Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft auch in der Flüchtlingsarbeit. Wir verstehen dabei unseren Beitrag stets als Angebot, das sowohl den Geflüchteten als auch den Menschen ihres Gastlandes zugutekommen soll und werten es als Erfolg, wenn in unseren Programmen beispielsweise Kinder in Workshops lernen, ihre traumatischen Erfahrungen durch vielfältige Formate der kulturellen Bildung auszudrücken und zu bewältigen. Zwei Bibliotheksbusse steuern derzeit als „fliegende Bibliotheken“ die Brennpunkte in Städten an und bringen Bücher und Medien zu den Menschen, die vor Ort sonst keinen Zugang dazu hätten. Dass sich auch der Fußball dazu eignet, Menschen aus der Türkei mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen zusammenzubringen und neue Energie für ein freundschaftliches Miteinander zu finden, konnte das Goethe-Institut Istanbul mit dem Projekt „Fußball verbindet“ unter Beweis stellen.

 

Die Exilanten der 1930er Jahre wirkten am Aufbau einer modernen Türkei mit. Das Schlüsselwort dabei war Bildung. Auf diese Karte setzten fortschrittliche türkische Regierungen daraufhin kontinuierlich. Übrigens war es Recep Tayyip Erdoğan in seiner Zeit als Premierminister, der in seinen beiden Amtszeiten die türkischen Bildungsreformen konsequent fortsetzte. Die durchgehende Förderung der zweiten Fremdsprache erfolgt in nur wenigen Ländern so konsequent wie in der Türkei. Derzeit lernen an türkischen Schulen ca. 450.000 Schüler die deutsche Sprache. Es gehört zu den vornehmlichen Aufgaben des Goethe-Instituts, die Türkei bei der Qualifikation der Deutschlehrkräfte zu unterstützen. Über 1.700 junge Germanisten sind so seit 2010 in den staatlichen Schuldienst eingestellt worden, die in Fortbildungsprogramme des Goethe-Instituts in Deutschland und in der Türkei eingebunden werden. Im Rahmen des Partnerschulprojekts „PASCH“ betreut das Goethe-Institut allein 18 Schulen in der Türkei.

 

Allerdings sehen wir aktuell in der Zusammenarbeit mit staatlichen Schulbehörden eine Einschränkung unserer Arbeit: Insbesondere Sommerkurse für Schüler in Deutschland, die für das ganze Leben verbindende Erlebnisse schaffen, stehen aus türkischer Sicht unter Generalverdacht. Außerdem erleben wir, dass Lehrern die Genehmigung zur Teilnahme an Fortbildungsseminaren in Deutschland versagt wird. Hierauf kann das Goethe-Institut gegenüber den türkischen Partnern nur mit besonnener Zurückhaltung reagieren, will es nicht die über Jahrzehnte erworbene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen.

 

Dennoch fragen wir uns öfter als früher, wie wir durch unsere Arbeit die langjährigen türkischen Partner aktuell exponieren. Wir können durchaus Zurückhaltung auf Seiten der türkischen Zivilgesellschaft feststellen, hoffen aber, dass diese nicht von Dauer sein wird. Eine neue Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, gerade in der jetzigen Situation zivilgesellschaftliche Initiativen in der Türkei zu stärken. In seiner letzten Ministerrede zur Türkei vor dem Deutschen Bundestag kündigte der ehemalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier ein Projekt zur Unterstützung kulturellen Engagements in der Türkei an. Diese sogenannten „Orte der Kultur“ will das Goethe-Institut mit türkischen Partnern und gemeinsam mit anderen europäischen Kulturinstituten noch in diesem Jahr einrichten. Natürlich sind diese „Kulturlounges“ in der aktuellen Situation nicht leicht zu bespielen, doch sollen sie zum Ort für einen zivilgesellschaftlichen Dialog zwischen der Türkei und Europa werden, der einen unvoreingenommenen Blick aufeinander ermöglicht und weiteren Austausch zulässt.

 

Eines wird deutlich: Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind von besonderer Natur. Vor dem Hintergrund der historischen Verbindungen und insbesondere auch gestützt auf die zahlreichen Menschen in Deutschland, die aus der Türkei stammen, besteht ein äußerst enges und vielfältiges Beziehungsnetz. Gerade die hohe Qualität der langjährigen Kulturkooperation zwischen unseren Ländern macht in diesen schwierigen Zeiten Initiativen, die an Gemeinsamkeiten anknüpfen und diese weiterentwickeln wollen, nötiger denn je.

Johannes Ebert
Johannes Ebert ist Generalsekretär des Goethe-Instituts.
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