Als Wechselbad, so können die deutsch-türkischen Beziehungen bezeichnet werden. Derzeit ist die Badetemperatur, um im Bild zu bleiben, knapp über dem Gefrierpunkt.
Ein kurzer Blick in die Geschichte zeigt das Auf und Ab. Das Osmanische Reich kämpfte im 1. Weltkrieg an der Seite der Mittelmächte, Deutschland und Österreich-Ungarn. Für deutsche Unternehmen war die Türkei schon damals ein wichtiger Investitionsort, legendär ist der Bau der Bagdadbahn. Während des Nationalsozialismus fanden deutsche Wissenschaftler, die emigrieren mussten, an türkischen Universitäten großzügig Zuflucht. Die Türkei gehört zu den 51 Staaten, die im Juni 1945 die Vereinten Nationen gründeten. Seit 1952 ist die Türkei Nato-Mitglied.
Zur Europäischen Union (EU) bzw. ihren Vorläuferorganisationen hat die Türkei enge Beziehungen. Bereits vor mehr als 50 Jahren, im Jahr 1963, wurde sie assoziiertes Mitglied zuerst der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, dann der Europäischen Gemeinschaft und schließlich der EU. Nach über 40 Jahren wurde im Dezember 2004 vom Europäischen Rat beschlossen, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Diese ziehen sich nunmehr seit über einem Jahrzehnt hin und mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen in der Türkei ist es fraglich, ob sie positiv abgeschlossen werden können.
Der zähe Beitrittsprozess der Türkei zur EU sucht seinesgleichen. Insbesondere wenn bedacht wird, wie vergleichsweise schnell andere Mitgliedsstaaten wie Polen, Ungarn, die baltischen Staaten und zuletzt Rumänien, Bulgarien und Kroatien aufgenommen wurden. Bei einigen dieser Länder wurden die Bedingungen für eine Mitgliedschaft, wie z. B. gute Regierungsführung und Bekämpfung der Korruption, sehr großzügig ausgelegt.
Und die Türkei? Große Hoffnungen wurden in Reformer wie Recep Tayyip Erdoğan gesetzt. Nach verschiedenen Militärputschen, wechselnden Regierungen, dem ungelösten Kurdenkonflikt schien es zunächst so, als würde die Türkei unter Erdoğan politisch stabiler werden und auch dauerhaft wirtschaftlich prosperieren.
Deutschland ist heute der wichtigste Handelspartner der Türkei. Das bilaterale Handelsvolumen wuchs im Jahr 2016 um vier Prozent und erreichte mit 37,3 Milliarden Euro einen neuen Rekordwert. Allein fünf Millionen Deutsche machten im Jahr 2014 in der Türkei Urlaub und stellten damit die größte Touristengruppe im Land.
Noch im Jahr 2010, also sechs Jahre nach Aufnahme der Beitrittsverhandlungen, waren in der Türkei Verfassungsänderungen geplant, die dazu dienen sollten, sich den Rechtsnormen der EU anzupassen. Hoffnung bestand, dass jenes Land, das allein geografisch eine Brücke zwischen Orient und Okzident darstellt, politisch eine Mittlerrolle einnehmen kann. Diese Hoffnungen trübten sich zuerst ein und sind seit den überharten Gegenmaßnahmen, mit denen die Regierung Erdoğan auf den Putschversuch 2016 reagierte, vollends zerstoben. Vertreter der deutschen Regierung und der Zivilgesellschaft haben sich deutlich gegen die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei gestellt. Die Reaktion der Türkei ist Abschottung. Das jüngste Kapitel der mehr und mehr erodierenden deutsch-türkischen Beziehungen ist der gerade beschlossene Abzug der deutschen Flugzeuge von dem türkischen Stützpunkt Incirlik.
Ich denke, dass die EU das schmale Zeitfenster, das sich beim Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei geöffnet hatte, nicht genutzt hat. Zu groß waren die Bedenken gerade auch bei der deutschen Bundeskanzlerin und ihrer Partei vor einem neuen großen EU-Mitgliedsland mit muslimischer Bevölkerung. Nach offiziellen türkischen Statistiken sind etwa 99 Prozent der türkischen Bevölkerung Muslime. Zu wenig wurden damals die Chancen eines EU-Beitrittes der Türkei in den Blick genommen. Es wäre darum gegangen, gerade jene Kräfte zu stärken, die eine demokratische Türkei wollen, die sich für Freiheit – auch die Freiheit der Künste – und die sich für den Kulturaustausch einsetzen. Doch jetzt ist es wahrscheinlich für viele Jahre zu spät!
Mit Blick auf die Zukunft kommt es jetzt darauf an, den Dialog nicht vollständig abreißen zu lassen und zugleich klar und unmissverständlich für demokratischen Werte sowie Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit einzutreten. Dazu gehört auch dafür einzutreten, dass mäßig gelungene Schmähgedichte in Deutschland zulässig sind und unter die Kunst- und Meinungsfreiheit fallen – auch wenn ihre Wirkung vor allem in der Provokation und weniger der literarischen Qualität besteht.
Dem Kulturaustausch kommt in der deutsch-türkischen Krise eine besondere Bedeutung zu. Das gilt zum einen für die Arbeit von deutschen Mittelorganisationen in der Türkei. Zum anderen für die Präsentation von Kunst, Literatur, Film usw. aus der Türkei in Deutschland. Gerade jene Künstler und Intellektuellen, die die aktuellen politischen Entwicklungen kritisch sehen, sollten hier wahrgenommen werden, um so Gegenbilder aus der Türkei zu zeigen. Nachfolgend sind Positionen solcher Autorinnen und Autoren zu lesen.
Mein Dank gilt Reinhard Baumgarten, der im Sommer dieses Jahres nach fünf Jahren Korrespondententätigkeit für die ARD in der Türkei, Griechenland und dem Iran nach Deutschland zurückkehrt, für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Schwerpunkts. Er hatte uns schon beim Schwerpunkt Iran hilfreich zu Seite gestanden.