Recht unsicher

Brexit und die Folgen für die Musikindustrie

Am 30. März 2019 um 0.00 Uhr bzw. am 29. März 2019 um 23 Uhr GMT ist es soweit: Das Vereinigte Königreich soll aus der EU austreten – soweit alles nach Plan verläuft. Aber was bedeutet das für Musikfirmen, Urheber, Künstler, ihre Werke und Produkte?

 

Das Schutzniveau des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte ist nach elf EU-Richtlinien und zwei Verordnungen im Wesentlichen angeglichen, abgesehen von einigen Bereichen, die nicht harmonisiert wurden, wie z. B. die Persönlichkeitsrechte der Urheber und ausübenden Künstler oder das Urhebervertragsrecht.

 

Es ist wenig überraschend, dass das Hauptproblem des Brexit für alle Wirtschaftszweige – nicht nur für die Musikindustrie – in der Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Situation nach dem Austritt liegt. Sollten sich die EU 27 und das Vereinigte Königreich auf eine Übergangsphase einigen, so könnte sich daraus für die Musikindustrie die Aussicht auf eine Fortführung des Status quo im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte für die Zeit bis zum 31. Dezember 2020 ergeben. Eine weitere Geltung des Status quo auch über eine Übergangsphase hinaus könnte durch den – derzeit eher unwahrscheinlichen – Verbleib des Vereinigten Königreichs im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) erreicht werden. Sollte die weitere EWR-Mitgliedschaft unerreichbar bleiben, stellt sich die Frage, welchen Inhalt ein Handelsabkommen zwischen Staaten, deren Urheberrechtssystem relativ homogen ist, enthalten sollte.

 

Die Europäische Kommission hat sich im vergangenen September mit einem Positionspapier zu Wort gemeldet, das den gewerblichen Rechtsschutz und den Schutz des geistigen Eigentums insgesamt betrifft. Das Papier verfolgt in erster Linie das Ziel, einheitliche Schutzrechte wie die Gemeinschaftsmarke vor den Folgen des Brexit zu schützen. Lediglich zwei Aspekte des Papiers sind überhaupt urheberrechtlich relevant.

 

Das Vereinigte Königreich hat sich zu den Folgen des Brexit für den Bereich des Schutzes des geistigen Eigentums noch spärlicher geäußert als die Europäische Kommission: Beibehaltung des Status quo bis zum Austritt, Führung von Verhandlungen mit den EU 27 über das zukünftige Verhältnis, weiterhin Anwendung der internationalen Abkommen im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte, denen das Vereinigte Königreich beigetreten ist. Darüber steht die „European Union (Withdrawal) Bill“, die derzeit kontrovers im Parlament diskutiert wird. Der Entwurf will bestehende Rechtsvorschriften im britischen Recht, die auf EU-Recht beruhen, für die Zeit nach dem Brexit fortschreiben, aber gleichzeitig zuständigen Ministern die Befugnis verleihen, Regelungen in bestimmten Fällen abzuändern. Rechtssicherheit qua Gesetz geht vermutlich anders.

 

Auch die Rechtsprechung ist betroffen: Die EU Withdrawal Bill sieht vor, dass Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), die vor dem Austritt gefällt wurden, von den britischen Gerichten nach dem Austritt weiter zu beachten sind – gilt aber nicht für den Supreme Court sowie den schottischen High Court of Justiciary. Entscheidungen des EuGH, die nach dem Austritt ergehen, müssen von den britischen Gerichten nicht mehr beachtet werden. Die Gerichte können dies aber dennoch tun, soweit sie es für sinnvoll halten. Das lässt, milde ausgedrückt, eine bunte Jurisdiktion erwarten.

 

Im Bereich des geistigen Eigentums stellt sich insbesondere die Frage, ob und in welchem Umfang bestehendes und zukünftiges Repertoire nach dem Brexit Schutz beanspruchen kann. Es empfehlen sich also Lösungsansätze, die zwischen dem Schutz von bestehendem und künftigem Repertoire differenzieren. Daneben wird es notwendig sein, eine Position zu allgemeineren grenzüberschreitenden Aspekten zu formulieren.

 

Die ganze Schönheit der anstehenden Probleme zeigt sich nämlich am Beispiel des Erschöpfungsgrundsatzes. Die Weiterverbreitung eines Tonträgers, der vor dem Austritt im Vereinigten Königreich in den Verkehr gebracht wurde, sollte in der EU auch nach dem Brexit zulässig sein. Anders sieht es damit nach dem Austritt aus: Der EU Withdrawal Bill zufolge würde weiterhin die regionale Erschöpfung Anwendung finden, solange diese nicht vom zuständigen Minister geändert wird. Da das Vereinigte Königreich dann aber nicht mehr EU-Mitglied ist, kann die Fortschreibung dieser Regel ohne jeweils bilaterale Abmachungen in den verbliebenen EU 27 nicht akzeptiert werden. D. h., die nach der EU Withdrawal Bill anwendbare regionale Erschöpfung liefe ins Leere, was die EU 27 betrifft. Einfach gesagt: Was das Vereinigte Königreich an Regeln schafft, gilt nicht unmittelbar auch woanders. Eine neue Regelung unter einem Handelsabkommen wird daher notwendig sein.

 

Für Tonträger britischer Herkunft bedeutet das nach dem Austritt, dass der Schutz im Verhältnis zu den einzelnen Mitgliedstaaten ermittelt werden muss, in der Regel auf Grundlage internationaler Abkommen, d. h. des Rom-Abkommens, TRIPS, WPPT oder anderer Anknüpfungspunkte, z. B. des Erscheinens des Tonträgers in Deutschland.

 

Gegenwärtig wird innerhalb der EU rechtlicher Schutz auf der Grundlage des Diskriminierungsverbots gemäß Artikel 18 AEUV gewährt. Nach dem Brexit wird es zunächst im Verhältnis zum Vereinigten Königreich wegfallen. Eine der Rechtssicherheit förderliche europaweite Fortschreibung des bestehenden Schutzes durch eine Übergangsvorschrift für die Zeit nach dem Austritt wäre angezeigt.

 

Aber auch, wie man künftig mit den gemeinsamen EU-Lösungsansätzen rund um Portabilitätsverordnung, Satellitensendung/Kabelweiterleitung, gebietsübergreifende Vergabe von Online-Rechten an Musikwerken und vor allem der Rechtsdurchsetzung umgehen will, muss neu definiert werden. Unklar ist außerdem, wie es um die Anwendbarkeit gebietsübergreifender Lizenzen steht. Diese wird eventuell überprüft und wenigstens interpretiert werden müssen.

 

Welche weiteren Eckpunkte können neben den oben genannten bei der künftigen Gestaltung des Rechtsraums im Rahmen von Abkommen hilfreich sein, um einen funktionierenden Austausch weiter zu gewährleisten?

 

Wichtig wäre eine gegenseitige Verpflichtung zur Beibehaltung eines hohen urheberrechtlichen Schutzniveaus für die Zukunft (Erwägungsgrund 9 der Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft). Die Fortschreibung des Schutzes von Tonträgern, die bereits vor dem Austritt hergestellt wurden, scheint unbedingt angezeigt. Ebenso sollte Schutz, der auf Tatsachen in der Vergangenheit beruht, nicht zukünftig aufgrund des Brexit wegfallen. Daneben wäre Klarheit über die Tragweite der Inländerbehandlung im Rahmen der internationalen Abkommen notwendig.

 

Es lässt sich angesichts der durch den Brexit geschaffenen Unsicherheiten nur hoffen, dass wenigstens deren Lösung mit der nötigen Nüchternheit und Klarheit angegangen wird.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2018.

René Houareau
René Houareau ist Geschäftsführer Recht & Politik des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI).
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