Als sich im September 2018 abzeichnete, dass der ultrakonservative Abgeordnete Jair Messias Bolsonaro das Rennen um das höchste Amt im Staat machen würde, löste das große Besorgnis, nicht nur bei Frauen, Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und Identitäten, kurz LGBTI, und Indigenen, aus, sondern auch bei den öffentlichen Universitäten. Bolsonaros diffamierende, frauenfeindliche und homophobe Äußerungen machten international Schlagzeilen. Weniger bekannt ist, dass er im Wahlkampf auch gegen die öffentlichen Universitäten polemisierte: Sie seien überfinanziert und bildeten schlecht aus; mit den „Rattennestern“, den studentischen Freiräumen an den Hochschulen, werde er aufräumen. Wenige Tage vor der Stichwahl um das Präsidentenamt ordneten einige übereifrige Staatsanwälte an, mit Polizeigewalt Veranstaltungen und Vorlesungen zu Themen wie »Demokratie und Bildung« zu unterbinden. Studierende wurden aufgerufen, Hochschullehrer bei politisch-parteilichen oder ideologischen Äußerungen zu filmen und zu denunzieren.
Doch dann kam es nicht ganz so schlimm wie erwartet: Das Wissenschaftsministerium MCTI wurde mit einem ehemaligen Astronauten, Marcos Pontes, besetzt, der bisher den Forderungen der Evangelikalen, Wissenschaft im Sinne der Schöpfungsgeschichte neu zu definieren, widersteht: „Man soll Wissenschaft nicht mit Religion vermischen“. Allerdings ist es gerade die evangelikale Parlamentsfraktion, auf die sich die Regierung Bolsonaro neben dem Militär vor allem stützt. Außerdem will sich Pontes dafür einsetzen, dass wieder Geld aus seinem Ressort in die Wissenschaft fließt. Das ist auch dringend nötig: Drei Jahre extremer Einsparungen hatten eine massive Entschleunigung der Forschung, selbst in den nationalen Spitzenbereichen Agrar- und Biowissenschaften, Immunologie, Mikrobiologie sowie Medizin zur Folge und bedeuteten das Aus für Tausende von Projekten.
Auch an anderer Stelle gab es Entwarnung: Der neue Bildungsminister, Ricardo Vélez, sieht die „Befreiung“ der 107 Bundesuniversitäten von linkem Gedankengut nicht auf seiner Prioritätenliste. Allerdings will er die Universitäten längerfristig wieder einer „intellektuellen Elite“ vorbehalten. Das zielt auf das Ende einer Quotenpolitik, die es seit 2012 Schwarzen und Indigenen aus ärmeren, bildungsfernen Schichten ermöglicht, aus einem unterfinanzierten, schlechten öffentlichen Schulwesen in eine gute öffentliche Hochschule zu wechseln. Wie störanfällig der durch die Quoten angestoßene Inklusionsprozess ist, zeigte sich 2017 an der Staatlichen Universität Rio de Janeiro (UERJ), eine Vorreiterin in Fragen der Quoten. Sie konnte wegen der Finanzkrise ein Jahr lang keinen Unterricht anbieten. Im folgenden Studienjahr fanden nur 40 Prozent der früheren Studierenden den Weg zurück. Für viele endete so der akademische Bildungstraum.
Zur Wechselhaftigkeit der brasilianischen Politik gehört, dass sich das Land 2011 mit dem Mobilitätsprogramm „Science without Borders“ (SwB), das fast 100.000 Brasilianer ins Ausland brachte, kurzfristig auf den internationalen Hochschulmarkt katapultierte. Allein nach Deutschland kamen 6.500 Stipendiaten und zu den bestehenden 253 Partnerschaften zwischen den Hochschulen beider Länder gesellten sich 315 neue Abkommen, die seither auf eine konkrete Umsetzung warten. Denn so schnell wie Brasilien durch SwB in der (Hochschul-)Welt bekannt wurde, so schnell brach das Programm 2016 wieder zusammen. Die Folge war, dass sich viele neu gewonnene Partner im Ausland enttäuscht zurückzogen.
Aus der Zeit von SwB datiert auch die Initiative „Sprachen ohne Grenzen“ (SoG), die ab 2015 die Hochschulen mit Online-Englischkursen überzog. 2016 schloss sich der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) dem Programm an, was eine enorme Nachfrage nach Deutsch an den Hochschulen auslöste. In der Pilotphase 2016 bis 2018 bewarben sich mehr als 22.000 Studierende auf gerade mal 1.200 Onlinekurs-Lizenzen. Von den Deutschkursen profitieren auch die Masterstudierenden am 2017 eingerichteten Zentrum für Deutschland und Europastudien (CDEA) in Porto Alegre, dem ersten seiner Art in Lateinamerika.
Ende 2017 meldete sich die brasilianische Koordinierungsstelle zur Weiterbildung auf Hochschulebene (Capes) mit einem Strukturprogramm (PrInt) für die Universitäten und ihre strategischen Partner im Ausland auf der internationalen Bühne zurück. Das Strukturprogramm PrInt, das nicht zufällig eine Ähnlichkeit mit der deutschen Exzellenz-Initiative aufweist – sein „spiritus rector“, der frühere Capes-Chef Abílio Baeta Neves, gilt als großer Kenner des deutschen Hochschulwesens – stellt für die besten Forschungscluster im Land beträchtliche Kooperationsmittel zur Verfügung. Im Zusammenhang mit PrInt tourten auf Einladung des DAAD 2018 zehn Vizepräsidenten der forschungsstärksten brasilianischen Universitäten durch Deutschland, erneuerten Partnerschaften und warben um Doktoranden.
Was immer die neue Regierung vorhat, von einem Ende der guten deutsch-brasilianischen Hochschulzusammenarbeit ist wohl nicht auszugehen.
Dieser Texf ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2019.