Politischer Perspektivenwechsel – Einschätzungen von Christiane Kesper, Ulrich Niemann, Christian Römer, Gerhard Wahlers und Boris Kanzleiter

Zur Bedeutung der Stiftungsarbeit für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik

Vergrößerung des Spektrums
CHRISTIANE KESPER

 

Es ist Teil der (außen-)politischen Kultur Deutschlands, internationale Beziehungen nicht allein auf Regierungsebene zu pflegen. Die Besonderheit der politischen Stiftungen liegt darin, nicht wertneutral zu sein. Sie repräsentieren den politischen Pluralismus in Deutschland und verstehen sich als Mittler zwischen der Staaten- und Gesellschaftswelt. Das weltweite Stiftungsnetzwerk und die zahlreichen Gesprächszugänge zu verschiedensten Partnern und Institutionen erlaubt zudem die Rückführung von Erkenntnissen und Positionen internationaler gesellschaftspolitischer Akteure in den politischen und öffentlichen Raum der Bundesrepublik.

 

Aufgrund ihrer Unabhängigkeit von der direkten zwischenstaatlichen Zusammenarbeit können politische Stiftungen in Bereichen aktiv werden, die der offiziellen Regierungspolitik nicht zugänglich sind. Sie sind glaubwürdige Partner, weil ihre gesellschaftspolitische Grundausrichtung eindeutig und transparent ist und damit eine klare Einschätzung der jeweiligen Beratungsangebote ermöglicht.

 

Politische Stiftungen vermitteln durch ihre Arbeit Werte der deutschen politischen Kultur. Sie treten ein für die Bedeutung von Parteien im demokratischen Wettstreit der politischen Ideen, für die soziale Marktwirtschaft, Menschenrechte, Gleichberechtigung, freie Wahlen, das Recht auf freie Meinungsäußerung, Organisationsfreiheit, die friedliche Lösung von gesellschaftlichen Konflikten, den Erhalt der Umwelt und die Überzeugung, dass die entscheidenden Zukunftsfragen nicht mehr allein national gelöst werden können.

 

Soziale Demokratie weltweit fördern, zu Frieden und Sicherheit beitragen, die Globalisierung sozial gestalten, die Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union und die Weiterentwicklung des transatlantischen Verhältnisses unterstützen – das sind die grundlegenden Aufgaben und Leitlinien der internationalen Arbeit der FES. Über Projekte in mehr als 100 Ländern begleitet die Stiftung aktiv den internationalen Dialog und den Aufbau und die Konsolidierung zivilgesellschaftlicher und staatlicher Strukturen zur Förderung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit, starker und freier Gewerkschaften sowie das Eintreten für friedliche Konfliktlösungen, Menschenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter. Zu den Partnern der FES zählen traditionell Parteien und Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, wissenschaftliche und politische Beratungseinrichtungen aber auch Regierungsinstitutionen.

 

Während in Europa und im transatlantischen Dialog der Austausch und die Auseinandersetzung über Ansätze zur Lösung politischer, wirtschaftlicher und sozialer Fragen im Vordergrund stehen, konzentriert sich die Arbeit der Stiftung in vielen Partnerländern vor allem auf die Förderung reformorientierter Kräfte. Wichtig ist hier vor allem die Unterstützung und Ausbildung von Multiplikatoren, die sich (sozial-)demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtet fühlen. Dazu dienen in vielen Ländern auch Young Leaders Programme, die junge Menschen an die gesellschaftspolitische Arbeit heranführen. Die FES fördert darüber hinaus ausländische Stipendiaten. Mit globalen und regionalen Programmen unterstützt die Stiftung ferner den Austausch zwischen Gesellschaften und die Suche nach kooperativen Lösungen transnationaler Herausforderungen. Die weltweite Arbeit der FES im Sinne der sozialen Demokratie trägt somit zum besseren Verständnis der deutschen und europäischen politischen Kultur bei.

 

Christiane Kesper leitet die Abteilung Internationale Entwicklungszusammenarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung

 

Mit Theater für Toleranz werben
ULRICH NIEMANN

 

Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) ist als politische Stiftung keine Kulturmittlerorganisation im engeren Sinne, doch nutzen wir kulturelle Beiträge häufig und erfolgreich weltweit für unsere wichtigen Botschaften zur Demokratieförderung. Schillers „Nathan der Weise“, aufgeführt in Usbekisch von landesweit bekannten Schauspielern, soll für Toleranz in der Gesellschaft werben. Ein von der FNF organisiertes Straßentheater in Sri Lanka soll die Menschen bewegen, wählen zu gehen. Nigar Nazar ist die bedeutendste Comiczeichnerin Pakis­tans, die Comicfigur »Gogi« ist ihre Hauptkreation. Die FNF arbeitet mit der Künstlerin zusammen und vermittelt mit der Figur und ihren Geschichten die Themen Demokratie, Wahlen und Informationsfreiheit. Der mit einem Partner in Israel durchgeführte Fotowettbewerb „Religion*Freiheit*Stadt“ beleuchtet die vielschichtige Realität der Stadt Jerusalem, welche Zentrum drei großer Religionen ist und in deren urbanem Geflecht täglich Spannungen, aber auch neue Verbindungen entstehen. Der internationale Comicwettbewerb „Animate Europe“ lädt Künstler ein, die Idee und den Wert Europas in einer kurzen Zeichengeschichte zu illustrieren. Mit liberalen Partnern und der Moskauer Architekturschule wird in einem neuen Programm das Thema Architektur mit seiner kulturellen, politischen und sozialen Bedeutung für das Verhältnis zwischen Individuum, Gesellschaft und Staat diskutiert. Mit unserer Unterstützung des Menschenrechts-Fimfestivals Docudays in der Ukraine soll das Bürgerengagement für die Demokratie gestärkt werden. Als Mitveranstalter des Kulturfestivals »MIKSER« in Belgrad führte die Stiftung unter Beteiligung des Leiters des Goethe-Instituts einen Workshop zur kulturellen Einbindung von Flüchtlingen durch. Durch Kultur erreichen wir auch Menschen, die sich nicht für Politik interessieren oder bisher nicht an das Gewicht ihrer Stimme geglaubt haben. Aber genau auf sie kommt es an, wenn man Verhältnisse verbessern will.

 

Ulrich Niemann leitet den Fachbereich Internationales der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

 

Autonome Räume schaffen
CHRISTIAN RÖMER

 

„Einmischung ist die einzige Möglichkeit realistisch zu bleiben.“ Dieses Zitat aus Heinrich Bölls Aufsatz „Einmischung erwünscht“ steht exemplarisch für seine Haltung: Zivilcourage, Verteidigung der Künstler, streitbare Toleranz und die unbedingte Wertschätzung für Kunst und Kultur als eigenständige Sphären des Denkens und Handelns in einer vitalen Demokratie.

 

Im Geiste unseres Namensgebers fördern wir in unserer Auslandsarbeit Kunst und Kultur als Ausdrucksformen gesellschaftlicher Selbstverständigung. Wir untersuchen die Zusammenhänge von Kunst und Aktivismus in sozialen und politischen Bewegungen, national wie international. Dafür beteiligen wir uns an Ausstellungen und Theaterprojekten, konzipieren und veranstalten Filmreihen, Workshop-Konferenzen und Podiumsdiskussionen zu kulturpolitischen Themen.

 

Es gibt oft gute Gründe für Widerstand und Protest, ob auf der Bühne, im Museum oder auf der Straße. Oft handeln Künstler und politische Aktivisten dort gemeinsam, manchmal verschmelzen beide Rollen in eine. Immer wieder treten Künstler hinaus ins Offene, verbunden mit dem Risiko, die Spannung zwischen politischer und künstlerischer Praxis aushalten zu müssen. Die Einschränkung der Förderung von Kunst und Kultur durch die Politik ist meist ein Warnsignal für die Erosion der demokratischen Verfasstheit eines Landes.

 

Wir versuchen den Akteuren der zivilgesellschaftlichen Gruppen und damit auch den Künstlern Plattformen zur Präsentation und Vernetzung zu verschaffen, ihnen Öffentlichkeit zu ermöglichen. Ob politisches Kabarett aus Zimbabwe, Rapper aus Johannesburg oder serbische Poetry Slammer, Künstler aller Disziplinen treten in der Zentrale der Stiftung auf, und erörtern im Diskurs die Lage in ihrem Heimatland aus der Perspektive der Kunst, die meist untrennbar mit der politischen Realität verbunden ist. Mit Ausstellungen wie „Global Prayers“ oder „Zur Nachahmung empfohlen“ ermöglichen wir Projekte die weltweit auf Tour gehen und künstlerische Positionen zu den Themen Globalisierung und Nachhaltigkeit formulieren.

 

Da die gesellschaftlichen Spielräume an vielen Orten der Welt immer enger werden, beteiligen wir uns in Heinrich Bölls „Haus Langenbroich“ an einem Stipendienprogramm für Schriftsteller, die in ihrer Heimat Krieg und politischer Verfolgung ausgesetzt sind. In den Auslandsbüros der Heinrich-Böll-Stiftung arbeiten wir u. a. mit Kunstinstitutionen und freien Kollektiven als Projektpartnern, da wir den freien künstlerischen Raum als eine Grundbedingung einer funktionierenden Demokratie begreifen. Die kritische Reflexion der bestehenden Verhältnisse durch die Kunst ist notwendiger denn je. Unsere Arbeit soll Künstlern helfen, dafür autonome Räume zu erhalten.

 

Christian Römer ist Referent für Kultur und Medien der Heinrich-Böll-Stiftung

 

Von Brachflächen zu Friedhöfen
GERHARD WAHLERS

 

Die Politischen Stiftungen sind trotz, oder gerade aufgrund, ihrer Unabhängigkeit von der Bundesregierung maßgebliche Akteure der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik. Diese Besonderheit zeigt sich auch im Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. So nehmen wir als Konrad-Adenauer-Stiftung uns ein Vorbild an unserem Namensgeber und setzen uns beispielsweise seit Langem für die Intensivierung der deutsch-israelischen Beziehungen und die Zusammenarbeit mit jüdischen Organisationen weltweit ein.

 

Besonders zum Ausdruck kommt dies in einem einzigartigen Projekt zur Restaurierung jüdischer Friedhöfe in Osteuropa, das die Auslandsbüros der Stiftung in Kiew, Prag und Warschau im Jahr 2015 in Kooperation mit der Ini­tiative für Jüdische Friedhöfe (ESJF) durchgeführt haben. Die finanziellen Sondermittel hatte das Auswärtige Amt zur Verfügung gestellt. Ein Schwerpunkt der Arbeit lag in der Ukraine, wo Juden vor dem Zweiten Weltkrieg in vielen Städten die Mehrheit der Bevölkerung stellten und 1,5 Millionen Juden in den Jahren 1941/42 dem nationalsozialistischen Vernichtungswillen zum Opfer fielen. Über 70 Jahre später waren viele dieser Friedhöfe noch immer verwahrlost. Für die Stiftung war dies Anlass genug, die noch existierenden jüdischen Gemeinden bei der physischen Restaurierung und Erhaltung ihrer Friedhöfe zu unterstützen und dadurch die historische Erinnerung an jüdisches Leben in der Ukraine wachzuhalten. Doch ganz so einfach wie es sich nun liest, waren die Arbeiten z. B. in Borodianka Kaniv, und anderen Kommunen wahrlich nicht: Verschiedene rituelle und religiöse Vorschriften machten es notwendig, israelische Rabbiner hinzuzuziehen, um die Festlegung der Friedhofsgrenzen und ihre Einhaltung bei der Konstruktion der Mauern zu überwachen. Auch sind unsere Stiftungskollegen vor Ort zwar kundige Netzwerker, Manager und politische Berichterstatter, aber wahrlich keine Experten für Baufragen. Die Errichtung und Konstruktion der Zäune und Eingangstore übernahm deshalb ein ukrainisches Ingenieurbüro. Außerdem schloss mit jeder Kommune, in der sich die Friedhöfe befinden, ein einheimischer Jurist Verträge für deren Pflege und Instandhaltung. Bei den politischen Gesprächen mit den betroffenen Kommunal- und Stadtverwaltungen waren die Netzwerke der Stiftung vor Ort allerdings wieder stark gefragt.

 

Ende des Jahres 2015 waren die Arbeiten größtenteils abgeschlossen und insgesamt 27 jüdische Friedhöfe komplett erfasst und restauriert. Wo noch bis vor Kurzem Brachflächen waren, sind nun wieder Friedhöfe entstanden und sogar neue Grabstellen ausgewiesen. Unser Engagement endet allerdings nicht mit dem Spatenstich und der feierlichen Wiedereröffnung dieser Friedhöfe. Gemeinsam mit lokalen Partnern sollen zukünftig verstärkt öffentliche Veranstaltungen mit Jugendlichen durchgeführt werden, um die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Erinnerung und Erhaltung jüdischer Friedhöfe zu lenken.

 

Unser aller Ziel muss es sein, nach der wechselvollen Geschichte jüdischen Lebens und Kulturguts in Osteuropa nun die langfristige Erinnerung an einen wichtigen Teil europäischer Identität zu gewährleisten. Erste Erfolge sind bereits sichtbar: Der bisherige Projektpartner ESJF und die Vereinigung der jüdischen Organisationen und Gemeinden der Ukraine (VAAD) führen das Projekt mittlerweile eigenständig weiter und auch verschiedene europäische Institutionen haben bereits Interesse an einer Förderung geäußert.

 

Gerhard Wahlers ist stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung

 

In die Gesellschaft zurückwirken
BORIS KANZLEITER

 

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat wie die anderen fünf politischen Stiftungen in Deutschland den Auftrag, politische Bildungsarbeit im In- und Ausland zu gestalten. Dabei verfolgt die Rosa-Luxemburg-Stiftung weltweit den Ansatz im kritisch solidarischen Diskurs mit emanzipatorischen, demokratischen Organisationen, Institutionen und Einzelpersonen Alternativen zur gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaftsform zu entwickeln und für die Umsetzung globaler sozialer Rechte einzutreten.

 

Neben den klassischen Methoden politischer Bildungsarbeit, wie Konferenzen, Studien und Workshops spielen auch kulturelle Maßnahmen in der internationalen Arbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine größer werdende Rolle. Dies können sowohl Fotoausstellungen, politisches Theater oder auch grafische Publikationen sein.
Beispielhaft dafür ist die vom Büro New York geförderte Graphic Novel „Red Rosa“, eine grafische Biografie zum Leben Rosa Luxemburgs, das die intellektuelle Welt der Namensgeberin der Stiftung einem breiteren Publikum zugänglich macht und ihre Ideen in den Kontext einer bewegenden Lebensgeschichte einbettet.

 

Das Leben und Wirken Rosa Luxemburgs war auch Thema des Stückes einer Straßentheatergruppe um Noor Zaheer in Indien. In szenischen Dialogen bereiteten sich junge Studierende auf Straßendemonstrationen vor und debattierten die Aussagen Rosa Luxemburgs, die sich aus dem Off mit Auszügen aus Schriften und Briefen zu Wort meldete. Diese direkte szenische Auseinandersetzung mit den politischen Ideen Rosa Luxemburgs und deren Adaptierung im gegenwärtigen regionalen Kontext zeigt, wie aktuell und inspirierend nach wie vor die Forderungen nach einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft auch international sind.

 

Ein anderes nicht weniger eindrückliches Format kultureller politischer Bildungsarbeit im Ausland ist eine Fotoausstellung über Familien von auf dem Mittelmeer vermissten Migranten aus Tunesien. Die Ausstellung wurde von der Stiftung gemeinsam mit dem Tunesischen Forum für ökonomische und soziale Rechte (FTDES) initiiert. Das Anliegen für die Erstellung dieser Ausstellung und auch die Wahl dieses Formates war, dass die auf dem Mittelmeer vermissten Menschen sowie die Gründe für ihre Migration durch ihre Angehörigen individuell repräsentiert werden sollen und nicht nur als Zahlen in den Abendnachrichten wahrgenommen werden sollen. All diese Beispiele zeigen, dass kulturelle Projekte unterschiedlichster Form durchaus in ihrer jeweils spezifischen Form geeignet sind politische Inhalte auf andere Art und Weise zu vermitteln. Zum einen können sie so auch von anderen Zielgruppen wahrgenommen werden. Zum anderen ist so ein Raum geschaffen, eine andere Perspektive auf ein spezifisch politisches Thema zu entwickeln. Dabei haben bereits die gestaltenden Akteure, Fotografen, Regisseure, Grafiker, eine besondere Rolle, da sie zum einen in der Auseinandersetzung mit diesen Themen selbst Subjekte und gleichzeitig Akteure politischer Bildung werden und in ihrer eigenen künstlerischen Rolle in die Gesellschaft zurückwirken.

 

Boris Kanzleiter ist Direktor des Zentrums für Internationalen Dialog der Rosa-Luxemburg-Stiftung

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