Der Friedensprozess am Scheideweg

Kolumbien nach den Wahlen

Iván Duque wurde am 7. August dieses Jahres als neuer Präsident Kolumbiens vereidigt. Der Nachfolger von Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos kommt aus dem Lager der Kritiker des Friedensprozesses und viele Beobachter befürchten, dass die neue Regierung den stockenden Frieden weiter bremsen könnte. Sicher ist: Knapp zwei Jahre nach dem erfolgreichen Abschluss der Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla der FARC steht der Friedensprozess am Scheideweg.

 

Als der jahrzehntelange und blutige Bürgerkrieg Ende 2016 nach langwierigen Verhandlungen friedlich beigelegt wurde, knallten weltweit die Sektkorken. Im Kontext beinahe alltäglicher Schreckensmeldungen konnte die Diplomatie einen langersehnten und aufsehenerregenden Erfolg verbuchen. Die Bundesregierung machte ihr Engagement für den Frieden unter anderem mit der Einrichtung des Deutsch-Kolumbianischen Friedensinstituts CAPAZ als Institution zur wissenschaftlichen Begleitung des Friedensprozesses deutlich. Die Existenz des CAPAZ unterstreicht das hohe politische Interesse an einem erfolgreichen Friedensprozess und verdeutlicht zugleich, dass der Fall Kolumbien von großer Relevanz für die Friedensforschung ist. Trotz verschiedener Schwachpunkte und Leerstellen gilt der Friedensvertrag in vielerlei Hinsicht als vorbildlich und richtungsweisend. Neue Institutionen wie die Sondergerichtsbarkeit und die Wahrheitskommission wurden geschaffen und sollen den Weg zu einer umfassenden Aufarbeitung der vielfältigen Verbrechen und massiven Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit ebnen. Darüber hinaus beinhaltet der Friedensvertrag mit der Landfrage, der Reintegration ehemaliger Kombattanten sowie Programmen zur Ersetzung des Drogenanbaus eine klare Message: Frieden ist weit mehr als das Schweigen der Waffen und erfordert ambitionierte Reformen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.

 

Diese Einsicht ist heute wichtiger denn je: Denn knapp zwei Jahre nach dem Friedensschluss ist die Partystimmung einem veritablen Kater gewichen. Dabei gibt es durchaus Erfolge. Der Frieden hält, die Zahl der Opfer sinkt und der Großteil der FARC-Kämpfer hat sich schnell und – in leninistischer Tradition – diszipliniert demobilisiert. Ende Juli haben die ersten ehemaligen Guerilleros ihre Parlamentssitze eingenommen. Stimmzettel ersetzen die Kalaschnikows in der politischen Auseinandersetzung. Zweifellos ein Grund zum Feiern. Und dennoch: Kaum jemand bescheinigt dem Friedensprozess heute eine Erfolgsbilanz. Die Gründe für die wachsende Enttäuschung sind vielfältig: Die Euphorie über den Friedensschluss löste bei vielen unrealistische Hoffnungen auf eine rasche Überwindung der Vergangenheit aus. Dabei geriet aus dem Blick, dass der Aufbau einer nachhaltigen Friedensordnung einer Herkulesaufgabe gleichkommt, die einen langen Atem und mutige Reformen erfordert. Doch die Regierung von Santos lieferte allenfalls scheibchenweise. Die finanzielle Unterstützung für die gesellschaftliche Integration der demobilisierten Kämpfer fließt nur spärlich und die Rückgabe von Land an gewaltsam Vertriebene erfolgt im Schneckentempo.

 

Die Mühen der Ebenen des Friedensprozesses zeigen sich auch im holprigen Beginn der Sondergerichtsbarkeit, deren genaue Zuständigkeiten lange Zeit unklar waren und die sich zunächst durche interne Querelen ihrer politischen Durchschlagskraft beraubte. Doch vor allem leidet der Frieden unter der fortwährenden Gewalt. Nach der Demobilisierung der FARC wurde das entstandene Machtvakuum meist binnen kürzester Zeit von alten und neuen Gewaltakteuren gefüllt. Insbesondere an der Pazifikküste floriert das Drogengeschäft und gerade in den abgelegenen Gebieten des Landes werden Hoffnungen auf ein neues politisches Zeitalter blutig ertränkt. Seit Abschluss des Friedensvertrages wurden über 300 soziale Aktivisten ermordet und linksgerichtete Politiker sowie Menschenrechtsorganisationen wurden kürzlich von paramilitärischen Gruppen buchstäblich zum Abschuss freigegeben. Kurz: In Kolumbien kann heute kaum von einer Post-Konflikt-Gesellschaft gesprochen werden. Weite Teile des Landes erleben einen äußert gewaltsamen Frieden.

 

Am Beginn der Präsidentschaft von Duque ist die Zukunft des Friedensprozesses folglich unsicher. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob der neue Präsident die Courage hat, aus dem Schatten seines zwielichtigen politischen Ziehvaters Álvaro Uribe zu treten, dem immer wieder glaubhaft enge Verbindungen zu rechten Paramilitärs nachgesagt werden. Duque hat dabei die große Chance, über den Friedensprozess an eigenem politischen Profil zu gewinnen. Kurz nach Beitritt des Landes zur OECD wäre dies nicht nur ein klares Signal, dass einmal geschlossene Verträge in Kolumbien auch jenseits politischer Konjunkturen eingehalten werden. Darüber hinaus ist Frieden die zentrale Voraussetzung für erfolgreiche Entwicklungsprozesse. Wer Prosperität, soziale Gerechtigkeit und die Stärkung der Demokratie möchte, hat keine Alternative zum Frieden und ohne mehr soziale Gerechtigkeit wird es keinen stabilen Frieden geben. Der jüngste Wahlkampf hat zudem deutlich gemacht, dass eine Mehrheit der Bevölkerung ein Ende der Gewalt herbeisehnt. Präsident Duque weiß dies und sollte den notwendigen Mut aufbringen, um dem Friedensprozess eine erneute Wende zu geben und damit für sich selbst und für sein Land die Weichen in Richtung einer besseren Zukunft zu stellen.

 

Der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft kann er sich bei diesem Vorhaben sicher sein, und auch die Wissenschaft engagiert sich für den Frieden. Empirische Forschung, Aus- und Weiterbildung sowie der Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Bevölkerung sind von zentraler Bedeutung, um den verschiedenen Akteuren aus Politik und Gesellschaft wissenschaftlich geerdete Politikoptionen an die Hand zu geben, die es ihnen erlauben, den Friedensprozess erfolgreich zu gestalten. Als binationales Institut kann das CAPAZ dabei auch auf Erfahrungen aus Deutschland zurückgreifen, den internationalen Austausch – etwa im Feld der Bearbeitung der Vergangenheit und der politischen Bildung – fördern und auf diese Weise neue Ideen für die Konstruktion eines nachhaltigen Friedens generieren. Dabei muss allen Akteuren bewusst sein, dass der Frieden in Kolumbien nicht schon morgen gefestigt sein wird. Es geht nicht um ein kurzes rauschendes Fest im Scheinwerferlicht der Kameras, sondern darum, den schwierigen und oft steinigen Weg zu einem stabilen Frieden zu beschreiten.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2018.

Stefan Peters
Stefan Peters ist Professor für Friedensforschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Direktor des Instituto CAPAZ.
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