Bildung in der EU wieder im Aufwind?

Das Bildungsprogramm Erasmus soll ausgebaut werden

Die EU hat derzeit viele Herausforderungen zu meistern: Migration, der Erhalt von Rechtsstaatlichkeit und Grundwerten, der Aufschwung populistischer und europakritischer Parteien in Europa und nicht zuletzt den Brexit. Vor diesem Hintergrund sind Themen besonders willkommen, die für Zusammenhalt in der Europäischen Union stehen und bürgernah sind. Bildung, Kultur und insbesondere das so populäre Erasmus-Programm bieten sich hierfür besonders an.

 

Kein EU-Programm ist bekannter als Erasmus. Erasmus macht Europa für die Menschen erlebbar. Nicht ohne Grund sprechen wir heute von einer „Generation Erasmus“ – junge Menschen, für die das Reisen, Leben und Arbeiten im Ausland und das Beherrschen einer Fremdsprache alltäglich geworden sind. 9 Millionen Menschen haben seit dem Start des Programms im Jahr 1987 von Erasmus profitiert, darunter 4,4 Millionen Studierende. So rief Kommissionspräsident Juncker anlässlich der Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen des Programms im letzten Jahr dazu auf, „zukünftig mindestens neunmal mehr Ehrgeiz“ in das Programm zu stecken, denn „jeder Euro, den wir in Erasmus investieren, ist eine Investition in die Zukunft – nicht nur in die Zukunft eines jungen Menschen, sondern eine Investition in unsere europäische Idee“. Zu einer neunfachen Erhöhung des Budgets, wie es einige nach den Aussagen des Kommissionspräsidenten gehofft haben, ist es dann doch nicht gekommen, aber in ihrem Programmvorschlag, den die Europäische Kommission im Mai dieses Jahres veröffentlicht hat, hat sie eine Verdoppelung des Erasmus-Budgets für die Jahre 2021 bis 2027 vorgeschlagen. Dies ist vor dem Hintergrund klammer EU-Kassen in Zeiten des Brexits nicht unerheblich. Und das Europäische Parlament setzt sich dafür ein, dass dieser mutige Schritt noch weitergeht. Die Europa-Parlamentarier werden voraussichtlich eine Verdreifachung des Programmbudgets fordern, um sicherzustellen, dass die hochgesteckten Ziele des Programms auch wirklich erreicht werden können. Denn aktuell macht das Programm, trotz seiner zentralen Bedeutung für die Union, nicht mal zwei Prozent des EU-Haushalts aus.

 

Im Zentrum der Forderungen für ein erhöhtes Erasmus-Budget steht, dass in Zukunft nicht nur besser gestellte junge Menschen, sondern breitere Bevölkerungsgruppen vom Programm profitieren sollen. 12 Millionen Menschen, dreimal mehr als im laufenden Programm, soll das zukünftige Erasmus-Programm in den kommenden sieben Jahren erreichen. Wie kann das gelingen? Im Hochschulbereich werden Maßnahmen wie kürzere Mobilitätsaufenthalte, die Nutzung digitaler und virtueller Formate, zusätzliche Unterstützung unter anderem durch Synergien zu Programmen wie dem Europäischen Sozialfonds und vereinfachte Regularien, die den Zugang neuer Akteure zum Programm erleichtern, diskutiert. Ideen und gute Konzepte der Hochschulen sind hier gefragt, um die hehren Ziele des Programms in die Praxis umzusetzen!

 

Mehr Mobilität für Studierende und Wissenschaftler verspricht man sich auch von einer neuen Maßnahme in Erasmus – die Förderung von „Europäischen Hochschulen“. Die Idee geht auf den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zurück, der im September 2017 in seiner vielbeachteten Grundsatzrede zu Europa an der Sorbonne in Paris diese Idee aufgebracht hatte. In den Europäischen Hochschulen soll die Mobilität von der Ausnahme zur Regel werden, Hochschulen in engen Verbünden länderübergreifend zusammenarbeiten und damit zu Orten pädagogischer Neuerung und exzellenter Forschung in Europa werden. Die Maßnahme birgt die Chance – wenn sie von den Hochschulen kreativ umgesetzt wird – zu einer noch stärkeren Integration des Europäischen Hochschulraums beizutragen.

 

Sieht die Zukunft für die Bildungszusammenarbeit in Europa also rosig aus? Noch nicht ganz. Zum einen muss der Vorschlag für das erhöhte Budget des Erasmus-Programms erst einmal von Rat und Parlament offiziell beschlossen werden. Es müssen also auch die EU-Mitgliedstaaten und insbesondere die EU-Nettozahler unter ihnen bereit sein, mehr Geld in die Hand zu nehmen.

 

Zum Zweiten steht die europäische Hochschulzusammenarbeit und damit das Programm Erasmus vor dem Hintergrund des bevorstehenden Brexits vor nicht unbedeutenden Herausforderungen. 31.000 Studierende gehen jährlich über Erasmus für einen Praktikums- oder Studienaufenthalt nach Großbritannien. Dank der englischen Sprache und der hohen Qualität des britischen Hochschulsystems ist Großbritannien drittbeliebtestes Zielland europäischer und auch deutscher Studierender für einen Auslandsaufenthalt. Wie die Kooperation mit Großbritannien nach dem EU-Austritt des Landes aussehen wird, ist jedoch noch völlig offen. Wohl hat die Kommission die rechtlichen Bedingungen im zukünftigen Erasmus-Programm verankert, dass Drittländer – wie dann Großbritannien – als assoziierte Mitglieder am Programm teilnehmen können, doch das Land wird einen dem Gewinn aus dem Programm entsprechenden finanziellen Beitrag zahlen müssen und nicht an der Programmgestaltung mitwirken können.

 

Für den Studierendenaustausch EU-Großbritannien außerhalb Erasmus stellen sich ebenfalls zahlreiche Fragen: Müssen europäische Studierende in Großbritannien zukünftig eine Aufenthaltsberechtigung beantragen? Und werden sie auch langfristig Zugang zu reduzierten Studiengebühren erhalten? Die jungen Menschen in Großbritannien haben mehrheitlich für einen Verbleib in der EU gestimmt. Wollen wir hoffen, dass sie und die jungen Menschen in der EU nicht die Ersten sein werden, die die negativen Auswirkungen des Brexits zu spüren bekommen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2018.

Nina Salden
Nina Salden ist Leiterin der Außenstelle des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Brüssel.
Vorheriger ArtikelDer Friedensprozess am Scheideweg
Nächster ArtikelEin konfuzianisches Bildungsbewusstsein