Beiderseits der Oder

Mit dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk die Perspektive wechseln

Auf die Perspektive kommt es an. Deshalb hat sich das Deutsch-Polnische Jugendwerk (DPJW) in seinem 25. Jubiläumsjahr das Motto „Perspektive-Perspektywa“ gegeben, um zu verdeutlichen, worum es beim deutsch-polnischen Jugendaustausch geht: Dass junge Menschen Gleichaltrige aus anderen Ländern kennenlernen, Interesse und Empathie füreinander entwickeln und die Gelegenheit bekommen, für ein paar Tage die Perspektive zu wechseln. So können sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten entdecken und lernen, Fremdes und Eigenes zu respektieren und wertzuschätzen.

 

Dieser Gedanke prägt die Arbeit des Jugendwerks, seit es am 17. Juni 1991 von den Regierungen Polens und Deutschlands gegründet wurde. Angesichts der schwierigen gemeinsamen Geschichte sollten vor allem die jungen Menschen beider Länder Verständnis füreinander entwickeln und Vorurteile abbauen können, um so zu einem friedlichen Miteinander in Europa beizutragen. Mithilfe des DPJW haben seither 2,7 Millionen Jugendliche aus beiden Ländern an mehr als 70.000 gemeinsamen Projekten teilgenommen, dabei gemeinsam ein Stück Alltag im anderen Land erfahren und oft auch neue Freunde gewonnen.

 

Gerade in Zeiten, in denen auf der politischen Ebene Fragen der Zusammenarbeit kontrovers diskutiert werden, kommt dem Austausch auf zivilgesellschaftlicher Ebene eine besondere Bedeutung zu. Er ist der Gradmesser für die gelebte Normalität. Ob Schule, Sportverein oder Kulturinitiativen – sie haben in den vergangenen 25 Jahren gerade in politisch turbulenten Zeiten gezeigt, dass zwischen den Partnern beiderseits der Oder echte Freundschaften entstanden sind. Sie haben Kontakte nicht abreißen lassen und ihre grenzüberschreitende Kooperation konsequent weiterentwickelt.
Deutsch-polnische Jugendbegegnungen sind heute so vielfältig wie die Interessen der Jugendlichen in beiden Ländern. Deshalb ist die finanzielle Förderung des DPJW nicht an bestimmte Themen, Veranstaltungsformen oder pädagogische Konzepte gebunden. Kulturelle Projekte zwischen deutschen und polnischen Gruppen waren von Beginn an fester Bestandteil in der Förderung des DPJW. Jedes Jahr treffen sich zahlreiche Chöre oder Jugendorchester beider Länder, um gemeinsam zu musizieren, Jugendkunstschulen laden zu deutsch-polnischen Pleinairs ein und Theatergruppen erarbeiten gemeinsame Inszenierungen über die Grenze hinweg. Die jungen Menschen werden so in zweifacher Hinsicht zu Kulturbotschaftern – für ihr eigenes Land und nach der Rückkehr vom Jugendaustausch auch für die Kultur und Geschichte Polens.
Viele dieser Projekte pflegen langjährige Partnerschaften miteinander. Die Organisatoren haben sich über die Jahre angefreundet und es bestehen Kontakte über die Planung und Umsetzung der Jugendbegegnungen hinaus. Das DPJW hat vor einigen Jahren seine Förderung um das Programm „4×1 ist einfacher“ ergänzt, um gerade auch den Organisatoren von Kulturprojekten die Möglichkeit zu geben, die sehens- und hörenswerten Ergebnisse in Form von CDs, Filmen oder Ausstellungen produzieren zu können.

 

Da längst nicht jeder, der deutsch-polnischen Austausch organisiert, eine pädagogische Ausbildung mitbringt, ist dem Jugendwerk die Qualifizierung und Vernetzung der Leiter und Betreuer ein besonderes Anliegen. Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) lädt z. B. als Zentralstelle des DPJW alljährlich zur deutsch-polnischen Partnertagung ein. In binationalen Tandems treffen sich dort Partner des kulturellen Jugendaustauschs zum Erfahrungsaustausch. Sie bekommen Gelegenheit, gemeinsam ihre künftigen Projekte zu planen und erhalten Anregungen sowie Informationen vom Jugendwerk und anderen Projekten des internationalen kulturellen Jugendaustauschs.

 

Neben bilateralen Begegnungen wird auch immer häufiger der Blick über den deutsch-polnischen Tellerrand gewagt und die Partner erweitern ihren Austausch um eine Gruppe aus einem dritten Land. Das Deutsch-Polnische Jugendwerk unterstützt die Öffnung der bilateralen Zusammenarbeit nach Kräften. Ein Schwerpunkt in den vergangenen Jahren war dabei die Förderung von Jugendaustausch mit Ländern der sogenannten Östlichen Partnerschaft und hierbei insbesondere mit der Ukraine. Die kulturelle Bildungs- und Begegnungsarbeit spielt hier eine besonders wichtige Rolle. Etwa wenn Jugendliche aus Oldenburg, Krakau und Dnipro sich in Theaterworkshops des Oldenburger Vereins Jugendkulturarbeit Gedanken machen, welche Gemeinsamkeiten Europa hat oder was zu verschiedenen Migrations- und Wanderungsbewegungen in Europa und weltweit geführt hat. Dass dies nicht nur mit theateraffinen Jugendlichen gelingt, zeigt der Kurzfilm „Alles nur ein Spiel“ von einem deutsch-polnisch-ukrainischen Fußball-Theater-Projekt von Jugendkulturarbeit e. V., der unter anderem auf dem YouTube-Kanal des DPJW zu sehen ist.

 

Für die kommenden Jahre hat sich das DPJW das Thema „Vielfalt“ als Schwerpunkt vorgenommen. Das Jugendwerk wird in diesem Zusammenhang eine Reihe von Fortbildungen, Partnerbörsen und Methodensammlungen für Organisatoren außerschulischer Projekte und Lehrkräfte gezielt zum Thema „Vielfalt“ im deutsch-polnischen Jugendaustausch anbieten. Die sechste Edition des Deutsch-Polnischen Jugendpreises 2017 bis 2019 wird ebenfalls zu diesem Thema ausgeschrieben. Kulturinitiativen sind ebenfalls aufgerufen, sich mit einfallsreichen künstlerischen Projekten um die Teilnahme am Jugendpreis zu bewerben. Geben Sie Jugendlichen aus beiden Ländern die Chance, die Vielfalt in ihren Gesellschaften, in Religion und Kultur zu thematisieren und bewusst die Perspektiven zu wechseln!

Stephan Erb
Stephan Erb ist Geschäftsführer des Deutsch-Polnischen Jugendwerks
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