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Die Politik der Mehrsprachigkeit der Europäischen Union

Wir werden oft gefragt, ob diese Mehrsprachigkeit nicht „unnötig teuer“ sei. Der (ideelle) Wert von Transparenz, Zugänglichkeit und Kommunikation lässt sich nicht quantifizieren; die Kosten dagegen natürlich schon: Diese belaufen sich für die Übersetzung und Verdolmetschung in allen EU-Einrichtungen zusammen auf ca. eine Milliarde Euro im Jahr. Das mag sich viel anhören, entspricht aber weniger als einem Prozent des EU-Haushalts und 0,009 Prozent des EU-Bruttoinlandsproduktes. Das bedeutet, dass die Mehrsprachigkeit jeden EU-Bürger und jede EU-Bürgerin weniger als zwei Euro pro Jahr kostet.

 

Die EU lebt die Mehrsprachigkeit aber nicht nur in ihren Organen, sie möchte diese auch in der EU-Bevölkerung fördern. Erklärtes Ziel ist es, dass alle EU-Bürgerinnen und -Bürger zusätzlich zu ihrer Muttersprache zwei Fremdsprachen sprechen. Dieses Postulat wurde von den Europäischen Staats- und Regierungschefs 2008 in ihrer „Europäischen Strategie für Mehrsprachigkeit“ festgelegt und erst im November 2017 auf dem Sozialgipfel von Göteborg erneut bestätigt.

 

Hintergrund ist dabei zunächst die ganz praktische Überlegung, dass die EU-Bürgerinnen und -Bürger einen der größten Vorteile des gemeinsamen Binnenmarktes – die Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. die Niederlassungsfreiheit – nur dann wirklich voll ausnutzen können, wenn sie über entsprechende Fremdsprachenkenntnisse verfügen. Ein Studium, ein Praktikum oder eine Berufstätigkeit im Ausland ist meist nur dann möglich, wenn man die Landessprache zumindest teilweise beherrscht, auch die Integration im neuen Wohnland wird dadurch erleichtert.

 

Die Mobilität der Arbeitnehmer hat sowohl individuelle als auch volkswirtschaftliche Vorteile: Der Einzelne kann von mehr Angeboten und Chancen profitieren, als wenn er auf den heimischen – mehr oder weniger großen – Arbeitsmarkt beschränkt wäre; auf volkswirtschaftlicher Ebene ermöglicht sie eine bessere Abstimmung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt und trägt damit zur allgemeinen Wirtschaftsleistung bei.

 

Aber auch auf dem nationalen Arbeitsmarkt sind Fremdsprachenkenntnisse in Zeiten zunehmender internationaler Vernetzung ein großes Plus: Studien legen nahe, dass gute Kenntnisse einer Fremdsprache – natürlich insbesondere des Englischen, aber nicht nur – erhebliche Gehaltsvorteile mit sich bringen.

 

Das Erlernen von Fremdsprachen darf aber nicht rein utilitär gesehen werden; jede Fremdsprache eröffnet eine neue Kultur, eine neue Literatur, eine neue Geschichte, neue Freundschaften, neue Erkenntnisse – kurz, sie erweitert den Horizont. Man lernt andere Menschen besser verstehen, was Toleranz und Empathie fördert; Eigenschaften, die für ein fruchtbares Miteinander im heutigen Europa unerlässlich sind.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2018.

Richard Kühnel
Richard Kühnel ist Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland.
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