Kulturelles Erbe weltweit in Gefahr

Eine Novellierung des Kulturgüterschutzgesetzes in Deutschland ist nötig

Die in Vorbereitung befindliche Novellierung des Kulturgüterschutzes in Deutschland soll endlich auch die Einfuhr von Kulturgütern umfänglich und zeitgemäß regeln. Blickt man auf die aktuelle Weltlage, so wird der Handlungsbedarf überdeutlich. Der Erwerb von Antiken aus möglicherweise illegalen Grabungen ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein aktiver Beitrag zur Zerstörung des kulturellen Erbes. Dessen muss sich jeder bewusst sein, der archäologische Objekte – und seien sie auf den ersten Blick auch noch so unbedeutend – auf dem Flohmarkt ersteht oder bei Auslandsreisen an Touristenorten unter der Hand oder unter dem Ladentisch angeboten bekommt.

„Raubgrabungen und der illegale Handel mit Antiken sind ein Geschäft, bei dem viele gewinnen, das kulturelle Erbe der Menschheit hingegen seiner Vernichtung entgegengeht.“

Gerade in den vergangenen Monaten ist es wieder überdeutlich geworden: Raubgrabungen und der illegale Handel mit Antiken sind ein Geschäft, bei dem viele gewinnen, das kulturelle Erbe der Menschheit hingegen seiner Vernichtung entgegengeht. Weltweit werden Jahr für Jahr immer mehr archäologische Objekte vertrieben, die ganz sicher nicht aus wissenschaftlichen Grabungen stammen und die Herkunftsländer keinesfalls mit deren Genehmigung verlassen haben. Schätzungen der UNESCO zufolge ist der illegale Handel mit Antiken aus Raubgrabungen inzwischen ein lukratives Geschäft, das knapp hinter dem Waffen- und Drogenhandel rangieren soll. Ob diese Einschätzung so zutrifft, mag dahingestellt bleiben, gewiss ist jedoch, dass das Ausmaß der Plünderungen antiker Stätten weltweit erschreckende Dimensionen angenommen hat.

 

Die Welt blickt schockiert auf die systematische Zerstörung von herausragenden Kulturdenkmälern durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) in Mossul, Nimrud, Hatra und zuletzt auch in Palmyra. Die Sprengung der Buddha-Statuen von Bamiyan vor wenigen Jahren durch die Taliban haben wir noch eindrücklich vor Augen. Derartige Barbarei, die unser aller kulturelles Erbe unwiederbringlich auslöscht, ist bereits als das gebrandmarkt worden, was es ist: ein Kriegsverbrechen bzw. ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Doch die Vernichtung von Welterbestätten aus perfiden propagandistischen Gründen ist nur eine Seite dessen, was im Nahen Osten derzeit geschieht. Der IS attackiert diese Orte nicht nur mit Bulldozern, Presslufthämmern und Sprengstoff, sondern plündert sie auch systematisch nach archäologischen Objekten, die sich auf illegalen Kanälen weltweit mit hohen Gewinnen vertreiben lassen. Den Erwerbern – und teilweise werden Objekte regelrecht „bestellt“ – scheint die Herkunft dieser Kulturgüter dabei völlig gleichgültig zu sein.

 

Doch Plünderungen und Raubgrabungen sind keine Erfindung des IS, sie blicken im Nahen Osten auf eine lange Geschichte zurück, und in den letzten Jahrzehnten sind dabei Netzwerke entstanden, derer sich nun auch Terrororganisationen bedienen können. Zur Vernichtung von kulturellem Erbe kommt es aber nicht nur in Vorderasien, sondern weltweit werden Objekte durch Raubgrabungen ihres kulturgeschichtlichen Kontexts für immer beraubt und Bodendenkmäler unwiederbringlich zerstört: in Südeuropa, Lateinamerika, Afrika, Asien und natürlich auch bei uns in Deutschland, denken wir nur an die berühmte Himmelsscheibe von Nebra, gewiss einer der bedeutendsten archäologischen Funde der letzten Jahrzehnte in Deutschland. Auch die Himmelsscheibe stammt aus einer Raubgrabung und sollte illegal vertrieben werden, ehe die Behörden davon erfuhren und zugriffen. Andernfalls wüssten wir von dieser herausragenden Entdeckung bis heute nichts.

 

Öffentliche Museen in Deutschland und auch weltweit erwerben längst keine Antiken mehr ohne gesicherte und nachgewiesene Provenienz – Ausnahmen schlagen zu Recht hohe Wellen in den Medien und haben schon folgenschwere Prozesse nach sich gezogen. Aber gerade im privaten Bereich existiert offenbar immer noch eine regelrechte Gier nach archäologischen Artefakten, ohne dass man sich dabei der fatalen Hintergründe bewusst zu sein scheint. Genau hier muss eine veränderte Bewusstseinsbildung ansetzen: Wer immer ein Objekt erwirbt, bei dem nicht bekannt ist, woher es stammt, muss sich fragen, welche Geschichte es hätte erzählen können, wäre es fachgerecht geborgen und wären die Fundumstände dokumentiert und erforscht worden. Und jedes Artefakt ohne Herkunftsnachweis im Handel leistet dem weltweiten Raubgräbertum Vorschub.

 

Erst kürzlich hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz dem Irak ein Ziegelfragment aus dem dritten Jahrtausend vor Christus übergeben. Eine Privatperson hatte das Objekt dem Vorderasiatischen Museum der Stiftung als Geschenk übergeben mit dem Hinweis, es in den 1980er Jahren bei einer Reise im Südirak als Souvenir erworben zu haben. Der Direktor des Vorderasiatischen Museums konnte aufgrund der Inschrift, die das Fragment trägt, die örtliche Herkunft bestätigen und eine erste wissenschaftliche Einordnung vornehmen. Der eigentliche Fundzusammenhang ist damit aber nicht mehr rekonstruierbar, für die umfassende wissenschaftliche Bewertung fehlt also der wesentliche Schlüssel. Da ein solches offensichtlich illegal ausgeführtes Objekt nicht in eine Sammlung der Stiftung gelangen soll, haben wir das Stück über die Botschaft des Irak in Berlin an das Herkunftsland übergeben. Zwei Dinge zeigen sich hier sehr deutlich: Das Bewusstsein für zweifelhafte Provenienzen wächst glücklicherweise auch bei Privatleuten und führt in Einzelfällen schon zu beispielhaftem Verhalten. Und: Die von Kulturstaatsministerin Monika Grütters angestoßene Novellierung des Kulturgüterschutzgesetzes in Deutschland ist überfällig und unabdingbar, um die Einfuhr solcher Objekte endlich auch in Deutschland zu verbieten und eine gesetzliche Handhabe für Beschlagnahme und Rückgabe an die Herkunftsländer zu schaffen. Ein bereits existierendes wichtiges Instrument für Strafverfolgungs- und Zollbehörden sind die »Roten Listen« gefährdeten Kulturguts, herausgegeben vom Internationalen Museumsrat ICOM.

Derzeit ist nach deutschem Recht der Handel mit archäologischen Objekten ohne klaren Herkunftsnachweis noch beinahe ungehindert möglich. Unsere Kernforderung lautet deshalb, dass Antiken nur noch mit Herkunftsnachweis und Exportgenehmigung aus dem Ursprungsland gehandelt werden dürfen. Nur so kann die UNESCO-Konvention von 1970 endlich angemessen umgesetzt werden. Alles andere ist illegal, rechtswidrig und muss deswegen auch durch deutliche Strafen sanktioniert werden. Es gilt zudem, die internationale Zusammenarbeit von Regierungen, Zollbehörden und Kultureinrichtungen rasch und nachhaltig zu stärken, und Ermittlungsverfahren auch über Grenzen hinweg zu ermöglichen. Die personelle Ausstattung von Sonderbehörden, insbesondere in Deutschland, sollte deutlich verstärkt werden. Ferner muss potenziellen Käufern wie auch Sondengängern und anderen „Hobbyarchäologen“ deutlich gemacht werden, dass illegale Grabungen keine harmlose Verfehlung, sondern strafrechtlich relevant sind. Gerade Museen können und müssen hier wichtige Vermittlungsarbeit leisten.

 

Die Museen sollten sich zudem ihrer eigenen Rolle, auch in der Vergangenheit, noch stärker bewusst werden. Bei allen archäologischen Objekten, die nach der UNESCO-Konvention von 1970 erworben worden sind, ist die Erforschung der Provenienzen nötig, unabhängig davon, wann diese Konvention in nationales Recht umgesetzt wurde. Alle Museen sollten durch Online-Register ihrer Bestände Transparenz schaffen und im Falle unklarer Herkunft auch dazu bereit sein, nach fairen und gerechten Lösungen mit den Herkunftsstaaten zu suchen.

„Vieles ist noch zu leisten, um Kulturgüter weltweit effektiver zu schützen“

Abgesehen von den rechtlichen Rahmenbedingungen ist das größte Hindernis für die Ermittlungsbehörden, dass es nach wie vor an gesicherten Erkenntnissen über die Wege, Zwischenhändler und beteiligten Netzwerke des grenzübergreifenden, illegalen „Handels“ mangelt. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz beteiligt sich seit kurzem aktiv an der Erforschung der entsprechenden kriminellen Mechanismen: Das Kooperationsprojekt ILLICID erforscht unter Federführung des Vorderasiatischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz das Dunkelfeld „illegaler Antikenhandel in Deutschland“, damit angemessene Maßnahmen dagegen ergriffen werden können. Ein ausführlicher Beitrag dazu von Markus Hilgert findet sich auch in dieser Ausgabe. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ im Themenbereich „Zivile Sicherheit – Schutz vor organisierter Kriminalität“ mit insgesamt 1,2 Millionen Euro.

 

Und schließlich müssen auch die betroffenen Länder aktiv dabei unterstützt werden, ihre Kulturdenkmäler selbst und vor Ort zu schützen. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist sich dieser Verantwortung bewusst und unternimmt zahlreiche Kooperationsprojekte im Bereich Capacity Building mit dem Irak, Syrien und anderen Ländern. So erhalten etwa Restauratoren betroffener Länder in den Fachwerkstätten der Staatlichen Museen zu Berlin Schulungen, um beschädigte Objekte bestmöglich zu konservieren. Das Museum für Islamische Kunst erstellt gemeinsam mit dem Deutschen Archäologischen Institut im Syrian Heritage Archive Projekt mit Mitteln des Auswärtigen Amts eine Datenbank der bestehenden Bild- und Forschungsinformationen zu syrischen Kulturgütern, die für zukünftige Schutz- und Rekonstruktionsmaßnahmen besonders wichtig sind.

 

Seit kurzem ist die Stiftung Preußischer Kulturbesitz Partnerin der UNESCO im Rahmen der Kampagne #UNITE4HERITAGE. Dabei geht es vordringlich darum, das öffentliche Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen den Zerstörungen von Kulturgut und dem illegalen Handel mit Antiken zu schärfen.

 

Vieles ist noch zu leisten, um Kulturgüter weltweit effektiver zu schützen – eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Dabei gilt: Wenn wir dabei versagen, bleibt das kulturelle Erbe der Menschheit unwiederbringlich auf der Strecke. Die Novellierung des deutschen Kulturgüterschutzes mit effektiven und durchsetzungsfähigen Einfuhrvorschriften und -verboten muss dringend erfolgen, darüber besteht in unserer Gesellschaft glücklicherweise bereits weitreichender Konsens. Der neue Gesetzesentwurf steht beim Kunsthandel und bei privaten Sammlern derzeit jedoch in erster Linie aufgrund der veränderten Ausfuhrregelungen in der Kritik, die die Problematik der illegalen Archäologie und der Raubgrabungen nicht betreffen. Beide Dinge sind deutlich voneinander zu trennen. Eine Verzögerung bei der Umsetzung neuer Einfuhrbestimmungen wäre für die Archäologie insgesamt und für die kulturpolitische Außenwirkung unseres Landes jedoch fatal.

Hermann Parzinger
Hermann Parzinger ist Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
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