Degradierung zum Untoten

Viele Künstler ziehen den Markt dem Museum vor und ziehen ihre Werke aus öffentlichen Museen ab – eine Reaktion auf das geplante Kulturgutschutzgesetz?

Doch wird die ideelle Substanz der Kunst irgendwann aufgebraucht sein – und dann ist es wirklich egal, ob ein Künstler – wie schon zunehmend üblich – eine Lampe, ein Möbelstück oder ein Gemälde herstellt. Das mag alles weiterhin sehr exklusiv und ziemlich teuer sein, aber nach und nach geht verloren, was damit verbunden war, dass Kunst als öffentliches Gut geschätzt wurde. Wie viel Geduld und Sorgfalt haben nicht unzählige Rezipienten investiert, um den Kunstwerken gerecht zu werden? Wie viel Ehrgeiz wurde nicht für Interpretationen aufgewendet, um alle Dimensionen der Werke auszuloten? Wie heftig wurde nicht um formale Elemente oder Konzepte gestritten, nur um letztlich zu einer Kunst zu gelangen, welche die ihr entgegengebrachten Hoffnungen am besten zu erfüllen vermag? Dass der Kunst eine staatlich garantierte Öffentlichkeit zukam, führte also dazu, dass sie mehr als jemals in ihrer Geschichte ernst genommen wurde.

 

Ist sie erst einmal vornehmlich zur Privatsache geworden, wird die Kunst vielfach unsichtbar – eben wirklich exklusiv – werden. Die Sehnsucht der Menschen nach Alltagsüberhöhung und Transzendenz, ja nach etwas, das von allgemeiner Relevanz ist, wird dann etwas Anderem gelten. Und mancher wird zu spät bemerken, dass es ein Fehler war, den Markt dem Museum vorzuziehen.

 

Als im März 2016 Pläne an die Öffentlichkeit gelangten, das überregional bedeutende Museum Schloss Morsbroich vielleicht zu schließen, um Werke der Sammlung verkaufen zu können und Haushaltssanierung zu betreiben, war die Aufregung groß. Gerhard Richter schrieb einen offenen Brief, in dem er gegen diese Pläne protestierte, deren Umsetzung auch Folgen für seine Werke in der Sammlung hätte. Derselbe Gerhard Richter aber hatte erst wenige Monate zuvor Georg Baselitz beigepflichtet und angekündigt, seine Leihgaben ebenfalls aus Museen abziehen und „verkloppen“ zu wollen, würde das Kulturgutschutzgesetz verabschiedet. Wer die Institution Museum so gering achtet, braucht sich jedoch nicht zu wundern, wenn auch andere nicht mehr davon überzeugt sind, dass seine Existenz in öffentlichem Interesse ist, sondern die Gunst der Stunde nutzen und auf dem Markt ihr Glück versuchen.

Wolfgang Ullrich
Wolfgang Ullrich ist freiberuflicher Kunstwissenschaftler, lebt in Leipzig und hat gerade im Verlag Klaus Wagenbach das Buch "Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust" veröffentlicht, in dem die Thesen dieses Beitrags in einem größeren Kontext verhandelt werden
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