„Das Afrika, das wir wollen“

Das missionarische Erbe in Tansania

Tanganjika wurde als Deutsch-Ostafrika unter deutscher Kolonialherrschaft gegründet. Infolgedessen wurden viele Missionsdienste in Deutschland begründet, um den christlichen Glauben in der neuen Kolonie zu etablieren und humanitäre Dienste sowie Entwicklungsdienste für sie zur Verfügung zu stellen.

 

Ich stamme aus Bukoba am Ufer des Viktoriasees, wo die Evangelische Mission für Deutsch-Ostafrika im Jahr 1890 eine Kirche gründete. Andere Missionsdienste arbeiteten schon etwas früher in anderen Bereichen von Tansania. In dieser Zeit gewährleisteten die Kolonialmächte auch den Schutz der Missionsarbeiter.

 

Obwohl Kolonisten und Missionare Hand in Hand arbeiteten, nahmen die Menschen in meiner Heimat einen großen Unterschied zwischen ihnen wahr. Die Missionare blieben nicht in den Städten in der Nähe staatlicher Stellen, sondern bauten verschiedene Missionsstationen in ländlichen Gebieten auf, wo sie begannen, den Menschen Bildung und medizinische Versorgung anzubieten. Kolonialisten machten das nicht. Die Missionare liebten die Menschen, lernten unsere unterschiedlichen Sprachen und stellten Bücher in unseren Sprachen her. Die Missionare luden sogar Einheimische zu sich ein, denn sie aßen auch unser Essen in unseren Häusern.

 

Das ist der Grund, warum die Ankunft der Kolonisten nie gefeiert wurde, während die Ankunft der ersten Missionare noch bis heute gefeiert wird. Hingegen feiern wir den Tag, an dem der letzte Kolonist wegging, aber in keiner Gemeinschaft wird der Umstand gefeiert, dass uns die Missionare wieder verlassen haben. Als die deutschen Missionare nach dem Ersten Weltkrieg von den Briten vertrieben wurden, war es mein Volk in Bukoba, das sich bei den neuen britischen Kolonisten für die Rückkehr deutscher Missionare einsetzte. Bis heute sind die Unterschiede für uns spürbar.
Als Ergebnis der Missionsarbeit wurden Kirchen gegründet und eine große Mehrheit der Tansanier sind nunmehr Christen verschiedener Konfessionen. Nachdem die Missionare gegangen waren, wurden die Kirchengemeinden größer, da die Menschen, die jetzt Christen waren, den Geist der Mission in ihr eigenes Volk weitertrugen. Kirchen sind inzwischen völlig indigen geworden und werden von Einheimischen geführt. Kirchen sind Teil der Gemeinschaft und die einzige Einrichtung mit einer gut strukturierten Organisation sowohl auf Dorfebene bis hin zur staatlichen Ebene und sogar darüber hinaus geblieben. Kirchen sind nach wie vor äußerst angesehene Einrichtungen. Sie sind dafür bekannt, dass sie sich nicht nur in geistlichen Angelegenheiten, sondern auch in Bezug auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Menschen engagieren. Insbesondere die Kirchen haben einen großen Anteil an sehr guten und innovativen Bildungs- und Gesundheitsangeboten, auch in entlegenen Gebieten. In letzter Zeit übernehmen jedoch staatliche Stellen in vielen afrikanischen Ländern mehr Verantwortung für soziale Leistungen, weshalb der Anteil der von den Kirchen angebotenen Leistungen in verschiedenen Ländern weiter abnimmt. Die Träger der besten Schulen, Universitäten und Fachkliniken sind heutzutage jedoch immer noch die Kirchen.

 

Mit einer aktiven Kapazitätsentwicklung für an der Basis tätige Menschen in Bezug auf aktuelle Themen wie die Agenda 2063 der Afrikanischen Union (AU) – „The Africa We Want“ – und mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Social Development Goals, gehören die Kirchen zur breit aufgestellten Zivilgesellschaft, wenn es um die Zusammenarbeit mit der Regierung in vielerlei Hinsicht geht. Die Arbeit und die Stimme der Kirchen zu Themen wie Klimawandel, Menschenrechten, rechtebasiertem Ansatz für die Erbringung von Leistungen sollten nicht unterschätzt werden. 2018 gab die katholische Kirche einen Hirtenbrief zu mehreren nationalen Themen zu Beginn der Fastenzeit heraus, die lutherische Kirche tat es ihr am Ostersonntag gleich.

 

Diese Hirtenbriefe konnten in allen Gemeinden im ganzen Land an einem bestimmten Tag gelesen werden. Keine andere Einrichtung in Politik, Regierung oder Zivilgesellschaft verfügt über eine so gut angelegte landesweite Struktur. Aufgrund der Sensibilität der vorgenannten Themen konnten diese Briefe nicht ignoriert werden. Sie führten zu wichtigen Debatten, die definitiv einige politische Strömungen zu Themen beeinflussten, mit denen die Menschen nicht besonders zufrieden waren. Dies trug nicht gerade zur Beliebtheit der beiden Kirchen im politischen Lager bei.

 

Aus solchen Gründen erkennt die Afrikanische Union an, dass unterschiedliche Religionen einen wichtigen Platz in Afrika einnehmen. Da sie sowohl eine negative als auch eine positive Rolle spielen können, will die Afrikanische Union religiöse Organisationen ernst nehmen und sie zu Instrumenten des Friedens und der Entwicklung machen, da sie Millionen von Afrikanern vertreten. Die All Africa Conference of Churches (AACC) erhielt besondere Anerkennung, ebenso wie das Symposium der Bischofskonferenzen in Afrika und Madagaskar (SECAM), das Katholiken auf dem Kontinent vertritt: Beide haben einen Beobachterstatus innerhalb der Afrikanischen Union. Auf diese Weise sind wir eingeladen und aufgefordert, an verschiedenen Prozessen der Afrikanischen Union – einschließlich des AU-Sicherheitsrates – und als aktive Förderer der Agenda 2063 teilzunehmen.

 

Wir haben ein Büro in Addis Abeba, das Themen verfolgt und sicherstellt, dass wir unseren Beitrag zu verschiedenen Prozessen leisten. Wir sind gleichzeitig Teil des Interreligiösen Forums der Afrikanischen Union, zu dem auch andere Religionen auf dem Kontinent gehören, die alle nach friedlichen Entwicklungswegen suchen und sicherstellen, dass die Politiker die Rolle des Glaubens berücksichtigen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2019.

Fidon Mwombeki
Fidon Mwombeki ist Generalsekretär der All Africa Conference Of Churches (AACC).
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