Von Chancen und Herausforderungen

Das Humboldt Forum im neuen Berliner Schloss

Die dritte große Herausforderung besteht in einer modernen, zeitgemäßen Präsentation der Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst. Die Grenzen zwischen einem ethnologischen und einem Kunstmuseum werden im Humboldt Forum überwunden, weil es sich dabei um institutionelle Konstrukte handelt, die für ein ganzheitliches Verstehen der Welt durch den Besucher nachrangig sind. Die Ausstellung der so reichen Sammlungen beider Dahlemer Museen, die qualitativ wie quantitativ zu den herausragenden Beständen ihrer Art weltweit gehören, wird dabei gänzlich neue Wege gehen. Eine besondere Schwierigkeit wird darin bestehen, mithilfe dieser Sammlungen, die überwiegend aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert stammen, kein Bild der Welt aus der Kolonialzeit zu perpetuieren, sondern durch die Narrative die Brücke zu den Fragen der Gegenwart zu schlagen. Besucher lassen sich immer dann faszinieren, wenn wir ihnen verdeutlichen können, was das alles mit ihnen heute zu tun hat. Des Weiteren haben wir uns die Aufgabe gestellt, die Präsentation dieser Sammlungen aus aller Welt zusammen mit Vertretern der Ursprungsländer und Herkunftskulturen zu entwickeln. In Museen in Neuseeland, Australien oder Kanada ist die enge Kooperation mit Indigenen oder First Nations längst Standard geworden. Für europäische Museen ist diese Form der Zusammenarbeit aufgrund der großen Entfernung zu den Herkunftsländern jedoch eher noch Neuland. Nehmen wir den Dialog der Kulturen nicht nur als Rhetorik, dann gilt es, langfristig nutzbare Netzwerke aufzubauen. Uns muss klar sein, dass wir dabei erst am Anfang eines Prozesses stehen, der die künftige Arbeit des Humboldt Forums prägen wird. Ein wirklich symmetrischer Dialog kann nicht ohne Teilhabe und Mitwirkung stattfinden. Machen wir uns nichts vor: kuratorische Hoheit ist immer auch Deutungsmacht, und diese müssen wir teilen.

 

Dies beginnt schon bei der Geschichte der Objekte und ihres Weges in die Berliner Museen. Dabei werden wir das schwierige Thema der kolonialen Vergangenheit nicht aussparen, auch wenn der ganze Reichtum der Berliner Museen mehr auf enzyklopädisches Sammeln und universelle Gelehrsamkeit als auf koloniale Besitzungen zurückgeht. Und trotzdem müssen wir uns dem stellen, indem wir
z. B. den 1904 von deutschen Kolonialtruppen blutig niedergeschlagenen Maji-Maji-Aufstand in ehemals Deutsch-Ostafrika gemeinsam mit Historikern und Museumsfachleuten aus Tansania aufarbeiten und mithilfe von Objekten im Humboldt Forum beleuchten wollen. Nicht wir wollen die Welt erklären; die besondere Kunst besteht darin, anderen eine Stimme zu geben und dadurch die vielschichtigen Verflechtungen der Welt und die unterschiedlichen Sichtweisen darauf in besonderer Weise erlebbar zu machen; das verstehen wir unter Shared Heritage. Dazu gehört auch die Kooperation mit der indigenen Universität von Tauca am Orinoco in Venezuela, durch die wir von einer ganz neuartigen Dimension der Objekte erfahren, weil die Dinge dort bisweilen als beseelt und lebendig verstanden werden. Es sind faszinierende Einblicke in hochkomplexe Welten, die zum Teil bis heute fortbestehen und mit denen der künftige Besucher im Humboldt Forum deshalb auch über eine webbasierte Plattform direkt in Kontakt wird treten können.

 

Das Humboldt Forum wird ein gewaltiger Organismus mit besonderen Chancen und großen Herausforderungen sein. Insofern war es richtig, gerade in dieser Gründungsphase eine dreiköpfige Intendanz zu berufen, der unter dem Vorsitz des ehemaligen Direktors des British Museums, Neil MacGregor, auch der Kunsthistoriker Horst Bredekamp und der Verfasser angehören. Dieser Gründungsintendanz wird es obliegen, aus den einzelnen Bestandteilen des Humboldt Forums eine konsistente inhaltliche Einheit zu entwickeln und ein überzeugendes, die Besucher überraschendes Programm zu formen. Darüber hinaus wird es auch darum gehen, eine angemessene und tragfähige Organisations- und Betriebsstruktur zu erarbeiten. Eines ist jedoch jetzt schon klar: Wie auch immer das Humboldt Forum 2019 an die Öffentlichkeit tritt, es wird ein Ort sein, der gedanklich lebendig ist, der etwas wagt und einem großen Publikum Ausstellungen zu Fragen der Zeit bietet.

 

Die Idee des Humboldt Forums hat enormes Potential, das aber auch immer wieder zu seinem Problem wird: Die einen überfrachten das Vorhaben mit Erwartungen, die an Welterlösung grenzen, die anderen wenden genau diese Erwartungen gegen das Projekt. Beides ist falsch. Das Humboldt Forum wird – im besten Humboldtschen Sinne – »erfreuen und belehren«, es wird dem Besucher herausragende Kunst präsentieren, ihn über faszinierende Zusammenhänge staunen und am Ende vielleicht die Welt besser verstehen lassen. Und nur dadurch kann das Humboldt Forum auch zu einem deutschen Ort der Selbstvergewisserung über uns selbst in einer stärker vernetzten Welt werden. Wissen und Bildung machen die Welt lesbar und sind die entscheidenden Schlüssel zu Respekt und Toleranz gegenüber anderen. Das brauchen wir jetzt mehr denn je. Und das ist zugleich das zentrale Anliegen des Humboldt Forums.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 05/2016 erschienen .

Hermann Parzinger
Hermann Parzinger ist Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
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