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Die Geschichte des Berliner Schlosses und des Palastes der Republik gehört ins Humboldt Forum

Das Berliner Schloss gibt es nicht mehr. Schade. Es kann auch nicht mehr rekonstruiert werden. Das gilt übrigens auch für den Palast der Republik. Beide Bauten waren für ihre jeweiligen politischen Herrschaftssysteme von zentraler Bedeutung und besetzten die Mitte der Hauptstadt. Nun entsteht an diesem semantisch aufgeladenen und historisch vordefinierten Ort das Humboldt Forum als neues, zukunftsweisendes, zentrales kulturpolitisches Projekt im Zentrum der Hauptstadt unserer Republik. Aber an den drei mächtigen Fassaden und in dem zentralen Innenhof wird das Berliner Schloss rekonstruiert, mit großer Hingabe und größtmöglicher Annäherung an das Verlorene. Wie geht das zusammen?

 

Das disparate Verhältnis von äußerer Erscheinung und Funktion ist ein Grundkonflikt des Humboldt Forums. Er erklärt sich nur aus der Genese des gesamten Vorhabens und aus dem Anspruch, es gleichermaßen unterschiedlichen Interessengruppen recht machen zu wollen: den einen, denen es seit Wilhelm von Boddiens wirk- und bildmächtiger Schlossattrappe von 1993 vor allem um die Rekonstruktion des verlorenen Hohenzollern-Schlosses ging und die auch mit einer kommerziellen, nicht öffentlichen Nutzung zufrieden gewesen wären, solange nur der „originalrekonstruierte“ Schlossnachbau wiederersteht und den Stadtraum neu, d. h. nach altem Muster, dominiert.

 

Und denjenigen, die hier mit den außereuropäischen Sammlungen der Berliner Museen eine quasi globale Vollendung der Museumsinsel-Idee anstreben und sich auf die Kunstkammer im Schloss als Nukleus der Synthese von Sammeln, Forschen und Welterkenntnis in Berlin besinnen. Das wiederum setzt Fassadenrekonstruktionen nicht voraus.

 

Und dann gibt es noch eine dritte Gemeinde, die bis heute dem abgerissenen Palast der Republik aus diversen Gründen nachtrauert.

 

Kann man den antagonistischen Widerspruch zwischen Innen und Außen, zwischen Funktion und Erscheinung produktiv machen oder zumindest verträglich? Ja, wenn man ihn selbst zum Thema macht, ihn erklärt, ihn räumlich und zeitlich verortet und dabei an die Millionen von zukünftigen Besucherinnen und Besuchern denkt, die weder an den Debatten teilgenommen haben, noch sich dafür interessierten – egal ob aus Berlin, Beijing oder Beirut.

 

Zweifellos gibt es das „Archäologische Fenster“ in situ und die Pläne für das „Museum des Ortes“, das in einem Raum neben dem Eingang unter der Kuppel eine Einführung bieten wird. Und es sollen die erhaltenen Skulpturen(fragmente) des verlorenen Schlosses museal präsentiert und etwas zur Rekonstruktion der Fassaden vermittelt werden. Weiterhin hat das Land Berlin seine Bibliothekspläne zugunsten einer großflächigen Ausstellung „Welt.Stadt.Berlin“ zur historischen Bedeutung und Ausstrahlung der Stadt in der Welt verändert. Das alles sind wichtige Elemente für ein besseres Verständnis der Geschichte der Stadtmitte auf der Spreeinsel.

 

Es hat sich aber insbesondere in den Diskussionen über die verschiedenen Konzepte und Ideen für das rund 300 Quadratmeter kleine „Museum des Ortes“ gezeigt, dass die Fülle der verschiedenen Dimensionen der historischen Vorgänger an dieser Stelle, Hohenzollern-Schloss und Palast der Republik, damit bisher nur rudimentär vermittelt werden können.

 

Die neue Gründungsintendanz hat das erkannt und eine Idee des Autors dieses Beitrags von 2009 im Rahmen des Manuskripts „SchlossPalastMuseum. Konzeption für die Präsentation der Geschichte des Berliner Schlosses und des Palastes der Republik im Humboldt Forum“ aufgegriffen, wonach über die gesamte Fläche der öffentlich zugänglichen Bereiche „Interventionen“ verteilt werden sollen, die verschiedene Aspekte aus der Geschichte von Schloss und Palast vortragen, anreißen, prüfen. Damit sollen die Genese und das Schicksal dieses Herrschaftsortes in den verschiedenen politischen Systemen ebenso breit und facettenreich wie unerwartet und überraschend in anderen Präsentationskontexten immer wieder thematisiert werden.
Diese Interventionen dürfen sich weder aufdrängen noch unauffällig im Hintergrund bleiben, sondern müssen wie eine Markierung erkennbar sein, ohne andere Ausstellungsthemen und -inhalte zu dominieren. Im Idealfall stellen sie einen weitergehenden Bezugsrahmen her, z. B. zu einem verlorenen Raum, zu einer handelnden historischen Persönlichkeit oder einem politischen Ereignis. Es kann sich dabei um Bild-, Film- oder Tondokumente handeln, um historisches Inventar oder Erinnerungsstücke, egal ob als Spolien oder digital.

 

Nach welchen Kriterien aber sollen diese Interventionen ausgewählt werden? Nach den doch eher zufällig erhaltenen originalen Bauteilen oder mobilen Ausstattungsstücken, die Krieg und Nachkriegszeit in verschiedenen Sammlungen und Depots überdauert haben? Nach den wichtigsten Räumen, Staatszeremonien oder politischen Ereignissen? Nach den bedeutendsten Bewohnern, Künstlern oder Gästen? Nach den Herrschern aus dem Hause Hohenzollern? In welchem Verhältnis sollen die Interventionen zum Schloss sowie zum Palast der Republik ausgewählt und verteilt werden? Und wie zwingend ist eine Verbindung zu der neuen Funktion des Raumes, in dem diese Interventionen platziert werden sollen?

Diese Fragen müssen jetzt zwischen und mit den Beteiligten diskutiert, verhandelt und entschieden werden. Wichtig ist dabei das Grundverständnis, dass diese Interventionen keine wohl oder übel geduldeten Fremdkörper in der neuen Erzählung sind, sondern dass sie das neue Humboldt Forum in seiner baulichen Erscheinung und konzeptionellen Ausprägung zu verstehen helfen und dazu beitragen, dass seine verschiedenen – ja zum Teil grundverschiedenen – Funktions- und Ausstellungsbereiche stärker als Ensemble wahrgenommen werden.

 

Für die Auswahl der Themen beziehungsweise Objekte für die Interventionen gibt es drei wesentliche Kategorien:

  1. Exponate, die aus dem Schloss oder dem Palast der Republik stammen.
  2. Exponate bzw. Dokumente, die im Zusammenhang mit der Ereignisgeschichte von Schloss oder Palast stehen.
  3. Exponate bzw. Dokumente, die im Zusammenhang mit Personen stehen, die für die Geschichte von Schloss oder Palast relevant waren.

 

Gemeinsam muss ihnen das Potenzial sein, Wissen bei den Besucherinnen und Besuchern über den Ort und seine facettenreiche Geschichte zu beschaffen, anzureichern, zu empfehlen und zu vermitteln. Aber welche Themen müssten vermittelt werden:

 

Als Kurfürst Friedrich II. „Eisenzahn“ 1443 den „Unwillen“ der Ratsherren ignorierte und den Grundstein für seine Residenz demonstrativ am Rand der Doppelstadt Berlin-Cölln auf der Spreeinsel legte, hatte das sowohl politische als auch städtebauliche Folgen, denen im Humboldt Forum Rechnung zu tragen wäre. Denn zum einen war damit der herrschaftlichen Dominanz der Hohenzollern gegenüber der Stadt und ihren Bürgern sichtbar Ausdruck verliehen, zum anderen wurde das Schloss zum Dreh- und Wendepunkt der weiteren Entwicklung Berlins, das von hier aus entlang der Straße Unter den Linden hin zum Brandenburger Tor und darüber hinaus wachsen sollte. Das Schloss war nicht nur ein Verwaltungssitz mit den wichtigsten Hofämtern und der Thronschatzkammer, es war vor allem ein Ort der preußischen, deutschen, europäischen Geschichte. König Friedrich Wilhelm IV. hat sich hier huldigen lassen und – vergeblich, weil stümperhaft – versucht, die Märzrevolutionäre 1848 zu beruhigen. Im Weißen Saal eröffnete Wilhelm I. 1867 den Reichstag des Norddeutschen Bundes und sein Enkel Wilhelm II. wertete das Haus noch einmal baulich, politisch und medial als das neue zentrale Kaiserschloss und Sitz seiner Dynastie auf. Es sollte die erste unter den Residenzen der deutschen Reichsfürsten sein – und bleiben, was es de facto von jeher war: Der Symbol-Ort für die Macht der Hohenzollern.

 

Die (tages-)politischen Geschäfte wurden indes schon früh und in überwiegendem Maße andernorts erledigt. König Friedrich I. hatte sich mit Charlottenburg sehr gezielt eine „Filiale“ fürs Regieren geschaffen und konkurrierte auf diese Weise mit dem Kaiser in Wien und dem tonangebenden französischen König, die ihrerseits Aufenthalte in Schönbrunn und Versailles der Präsenz in den Hauptstädten vorzogen. Wie dann auch Friedrich der Große, der Potsdam ostentativ zu seiner antihöfischen Gegenresidenz erhoben hatte. Kurzum, Preußens Landesherren agierten lieber und darum regelmäßig in dem alten Residenzdreieck Oranienburg – Köpenick – Potsdam. Die große Kulisse der Macht aber war stets das Berliner Schloss. Dessen dürfte sich auch Karl Liebknecht bewusst gewesen sein, als er sie 1918 nutzte, um die „freie sozialistische Republik Deutschland“ auszurufen. Genau dort, wo der Kaiser 1914 jene „Balkonreden“ gehalten hatte, die das Volk auf den beginnenden Ersten Weltkrieg einstimmen sollten.

 

Beim Einrichten des Humboldt Forums sollte sich all dies genauso widerspiegeln wie die kulturelle Hauptrolle des Schlosses, die Architekten und Künstlern wie Krebs, Theiss, Lynar, Nering, Schlüter, Knobelsdorff, Erdmannsdorf, Langhans, Schinkel oder Ihne zu verdanken war. Eine Rolle übrigens, die es auch nach dem Ende der Monarchie in der Weimarer Republik weiterspielte: als Museum, als Quartier für wissenschaftliche Einrichtungen wie das Psychologische Institut der Universität oder – von 1927 bis 1945 – als Dienstsitz der preußischen Schlösserverwaltung.

 

Wolf Jobst Siedler hat immer wieder gesagt, dass Berlin nur eine Tradition kenne: die Traditionslosigkeit. Wenn das im Entstehen begriffene Humboldt Forum hier ausscheren will, sollte es nicht nur dem von der DDR abgerissenen Schloss, sondern auch dem von der Bundesrepublik beseitigten Palast der Republik angemessenen Raum zubilligen. Zumal die Analogien verblüffen: Städtebaulich markierte der von 1973 bis 1976 errichtete Palast zusammen mit dem benachbarten Staatsratsgebäude und dem vis-à-vis stehenden Außenministerium die Mitte der „Hauptstadt der DDR“.

 

Mit der Volkskammer beherbergte er das nominell höchste Verfassungsorgan der DDR – die Politik wurde allerdings im Politbüro gemacht. Weltgeschichte schrieb der Palast trotzdem: Am 7. Oktober 1989 feierte hier die SED-Führung den 40. und letzten Geburtstag der DDR. Schließlich die Kunst: Maler wie Sitte, Womacka, Mattheuer ließen hier auf 16 Monumentalgemälden „Kommunisten träumen“, es gab ein Theater, eine Bowlingbahn und Konzerte mit Santana und Udo Lindenberg. Ergo war auch der Palast der Republik, was das Schloss war – Kulisse der Macht und Kulturort.

 

„Die Vergangenheit und die Erinnerung haben eine unendliche Kraft“, schrieb Wilhelm von Humboldt am 18. Mai 1829 an seine Brieffreundin Charlotte Diede – wir sollten diese Kraft als positive Energie dafür nutzen, dass das neue Humboldt Forum nicht nur statisch, sondern auch historisch fest gegründet ist.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 01/2017 erschienen.

Hartmut Dorgerloh
Hartmut Dorgerloh ist Generalintendant des Humboldt Forums.
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