Kooperation statt Rückgabe?

Wie umgehen mit dem kolonialen Erbe?

Es ist also nicht alles so eindeutig, wie es manche meinen?

In vielen Fällen lässt sich nicht restlos klären, wie Dinge in die Sammlungen gekommen sind. Im besten Fall war es für beide Seiten ein gutes Geschäft. Es geht nicht darum, Geschichte zu beschönigen, aber sie differenziert zu betrachten. Es hilft, es als gemeinsame Geschichte zu betrachten und es nicht nur auf die formale Kolonialherrschaft zu beschränken und auf die relativ kurze, regional begrenzte deutsche Kolonialzeit. Deshalb sprechen wir im Leitfaden von kolonialen Kontexten. Die Herausforderung ist, dass die kolonialen Sammlungsgüter aus sehr verschiedenen Teilen der Erde stammen und damit aus sehr unterschiedlichen historischen Bezügen. Die koloniale Herrschaft hat in vielen Ländern nicht mit der staatlichen Unabhängigkeit geendet. Für bestimmte Bevölkerungsgruppen bestand sie viele Jahre darüber hinaus.

 

Besonders umstritten ist die Frage der Rückgabe.

Weil es so komplex ist, haben wir uns schon in der zweiten Fassung des Leitfadens davon gelöst, das nur unter rechtlichen und ethischen Aspekten zu betrachten. Da, wo eindeutig geraubt wurde, muss es Konsequenzen haben. Aber es gibt auch Objekte, die ganz legal erworben wurden, auf nicht ethisch fragwürdige Weise, die jedoch in den Herkunftsgesellschaften eine solche Bedeutung haben für deren kulturelle Identität, dass man sich vielleicht dennoch darauf verständigt, sie zurückzugeben. Das ist nicht leicht festzustellen, aber es ist auch ein Ergebnis unserer Diskussion mit den internationalen Expertinnen und Experten, dass man da offen sein und es partnerschaftlich klären sollte. Unabhängig von einem kolonialen Kontext.

 

Gibt es denn viele Rückgabe-Forderungen?

So gut wie keine. Die, die es gibt, beziehen sich fast ausschließlich auf menschliche Überreste. Da, wo sich bestimmen lässt, woher diese stammen, was nicht immer ganz einfach ist, werden sie zurückgegeben und dann oft beigesetzt.

 

Um welche Exponate kann es noch gehen?

Herausragendes kulturell sensibles Sammlungsgut, so haben wir es in dem Leitfaden formuliert, wie Herrschaftszeichen, Throne z. B. Auch Alltagsgegenstände, wenn sie eindeutig aus Plünderungen stammen. Es ist allerdings auch nicht immer leicht zu klären, wer eigentlich befugt ist, die Rückgabe zu fordern: die Herkunftsgesellschaft, wenn ja, welche Gruppe oder Familie, oder ein heutiger Staat? Man kann nur einmal zurückgeben, und deshalb muss man sicher sein, dass es der richtige Adressat ist. Wir raten im Leitfaden dazu, sich zumindest staatlichen Rückhalt zu holen, um nicht in innerstaatliche Konflikte verwickelt zu werden. Man darf nicht immer davon ausgehen, dass Rückgabe zu Frieden führt. Die Frage ist allerdings, ob uns das dann noch etwas angeht. Genauso wie, ob den Stücken konservatorisch etwas passiert. Das ist dann nicht mehr unsere Angelegenheit.

 

Womöglich landen zurückgegebene Objekte wieder auf dem internationalen Markt.

Das können wir nicht verhindern. Ich wünschte mir jedoch einen Etat, um Sammlungsstücke, die zurückgegeben werden, zurückkaufen zu können, wie bei NS-Raubgut, damit sie in den Museen bleiben, denn manches würde tiefe Löcher in unsere Sammlungen reißen. Bei der Rückgabe geht es ja auch um das Symbol, das Anerkennen, dass Schuld auf sich geladen wurde. Viele Herkunftsgesellschaften sagen, Rückgabe ist nicht das Ende, sondern der Anfang. Für manche Herkunftsgesellschaft steht die Rückgabe gar nicht im Fokus, sondern Kooperation. Wir raten daher im Leitfaden dazu, offen über die Wünsche zu reden. Im Moment ist die Debatte bei uns sehr verengt auf die Rückgabe.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2021.

Wiebke Ahrndt & Ludwig Greven
Wiebke Ahrndt ist Direktorin des Übersee-Museums Bremen und Leiterin der Arbeitsgruppe „Kolonialismus“ beim Deutschen Museumsbund. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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