Dornröschenschlaf beendet

Die aktuelle Kolonialismus-Aufarbeitung in Deutschland

 

Diesen „kolonialen Kern“ anzuerkennen, heißt eben auch, sich die noch immer bestehenden Machtungleichgewichte zwischen ehemals Kolonisierten und ehemaligen Kolonisatoren bewusst zu machen. Demut und Diskurs mit den Nachfahren der Kolonisierten sind daher die zentralen Motive, die unser Handeln leiten sollten. Aus diesem Grunde kritisiere ich auch die von Hermann Parzinger und einer Initiativgruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ins Spiel gebrachte Idee eines „Raumes der Stille, der Besinnung“ im Humboldt Forum. Diese Idee eines Gedenkorts an die Opfer der deutschen Kolonialverbrechen kommt so nonchalant daher, als hätte es die Proteste am Humboldt Forum durch die diasporischen Communities sowie die große postmigrantische Szene der Republik gar nicht gegeben. Ebenfalls führt Jürgen Zimmerer völlig zu Recht an, dass durch einen Gedenkort im Humboldt Forum die Debatte um koloniale Beutekunst mit der allgemeinen deutschen Kolonialherrschaft und der damit verbundenen Verbrechen – darunter der erste Völkermord im 20. Jahrhundert im heutigen Namibia – vermengt würden und „in eine Aufmerksamkeitskonkurrenz“ träten. Die Verantwortlichen des Humboldt Forums sind selbstverständlich in kuratorischen Fragen frei. Sie wären allerdings gut darin beraten, den avisierten „Dialog der Kulturen“ nicht nur zu proklamieren, sondern umzusetzen.

 

Zum Zwecke der Aufarbeitung des kolonialen Erbes plädiere ich daher für eine zentrale und sichtbare Stätte des Erinnerns und Lernens – unabhängig vom Humboldt Forum – in Berlin, dem politischen Zentrum des deutschen Kolonialismus und dem Ort der berüchtigten Berliner Afrika-Konferenz von 1884 bis 1885. Diese Erinnerungs- und Lernstätte soll zur Erinnerung an die deutsche und europäische Kolonialherrschaft, speziell in Afrika, und der damit verbundenen Verbrechen und Opfer dienen, die Thematik des kolonialen Erbes und des antikolonialen Widerstandes in ihren unterschiedlichen Facetten angemessen aufarbeiten und diese Epoche multiperspektivisch beleuchten. Eine Erinnerungsstätte hat auch das Ziel, die Versöhnung und die Entwicklung gemeinsamer Zukunftsperspektiven zu unterstützen und somit erste Schritte zu einer gemeinsamen Erinnerungskultur zwischen Deutschland und den Menschen in den Nachfolgestaaten der vom Deutschen Kaiserreich beanspruchten Kolonien zu etablieren. Nicht zuletzt kann die Entwicklung eines solchen Orts des Erinnerns und Lernens dazu beitragen, die Debatte um die Aufarbeitung der Kolonialherrschaft und der damit verbundenen Verbrechen in der breiten Gesellschaft sowie der kulturellen und politischen Bildung zu verankern. In einer offenen Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus kann die oft formelhafte Rede vom transkulturellen Dialog endlich mit Leben gefüllt werden.

 

Auf das Humboldt Forum kommt indes die zentrale Herausforderung der inhaltlichen Dekolonialisierung zu. Die Verantwortlichen sind vor die große Aufgabe gestellt, dass der Wiederaufbau des Stadtschlosses eben nicht mit einer Idealisierung der Herrschaftsmechanismen des 19. Jahrhunderts einhergeht und Geschichten von Rassismus und tradierter Ungleichwertigkeit reproduziert werden. Sie sollten alles daran setzen, dass wir aus der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft lernen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2019.

Kirsten Kappert-Gonther
Kirsten Kappert-Gonther, MdB ist stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Deutschen Bundestag.
Vorheriger ArtikelEine Debatte hat begonnen
Nächster ArtikelHeilen, was zerbrochen ist