Die Beninbronzen

Eine unendliche Serie

Am 21. Mai 2021 berichtete der britische „Guardian“ noch vor den deutschen Medien über eine hochkarätige Delegationsreise zur konkreten Vorbereitung der Restitution von Beninbronzen aus deutschen Museen nach Nigeria. Gouverneur Godwin Obaseki, König Oba Ewuare und Minister Lai Mohammed empfingen den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Hermann Parzinger und die Hamburger Museumsdirektorin Barbara Plankensteiner sowie den Abteilungsleiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, Andreas Görgen, der die Reise initiiert hatte und direkt nach Rückkehr ausführlich berichtete. Ein Meilenstein in einer langen Geschichte, von der hier zu berichten ist.

 

Während aktuelle Publikationen wie Götz Alys „Das Prachtboot“ die Abgründe des Zusammenraffens von Kulturgut in anderen ehemaligen deutschen Kolonien in der fernen Südsee grell und ein knapp 500 Seiten starker Band „Geschichtskultur als Restitution“ die wissenschaftlichen Positionen allumfassend beleuchten, erinnert der Prozess „Restitution Beninbronzen“ an eine unendliche Serie, die immer wieder in Verlängerung geht. Nächste Folge am 29. Juni dieses Jahres: Auf der Sitzung des Stiftungsrates der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit Bund und Ländern soll es zwar nicht um einzelne Objekte gehen, aber einen „richtungsweisenden Beschluss geben“. Im Vorfeld ist von Euphorie, Durchbruch, Wendepunkt, gar gelungener Völkerverständigung die Rede, aber auch vom kreißenden Berg, der eine Maus gebiert.

 

Zeit für einen Rückblick

 

Die Museen haben keineswegs verheimlicht, dass die über die westliche Welt verteilten Beninbronzen aus dem Beutezug der Briten nach Zerstörung des Königspalastes von Benin 1897 stammen. Im Ethnologischen Museum Berlin wurden die Erwerbsumstände der brutalen „Strafexpedition“ geschildert, in Ausstellungs- und Pressetexten, Katalogen, Interviews. Die Politik war im Bilde. „(Ein)Sammeln, (Ab)Kaufen, (Aus)Rauben, (Weg)tauschen – Zeitgeist und Methode ethnographischer Sammlungstätigkeit in Berlin“ lautete der Vortrag, den ich 2005 mehrfach anlässlich des 175-jährigen Jubiläums der Staatlichen Museen zu Berlin, Titel „Zum Lob der Sammler“ und des 100. Todestages Adolf Bastians, Gründungsdirektor des Völkerkundemuseums Berlin, unter dessen Ägide Felix von Luschan die Bronzen auf Auktion in London erworben hatte, vortrug und den Tatbestand des Unrechtskontextes offenlegte. Ich handelte mir den Vorwurf der Nestbeschmutzung ein.

 

Gab es eine Rückforderung 2008?

 

Drei Jahre später schloss die damalige Vizedirektorin des Weltmuseums Wien, Barbara Plankensteiner, die Vorbereitung einer internationalen Wanderausstellung „Benin –  600 Jahre höfische Kunst aus Nigeria“ ab, die in Wien, Berlin und Chicago präsentiert wurde. Sie stand im Austausch mit den Nachkommen des Königs von Benin und offiziellen Vertretern Nigerias. Zur Eröffnung in Berlin am 14. Februar 2008 waren wir im Ethnologischen Museum auf eine offizielle Rückgabeforderung vorbereitet. In seiner Eröffnungsrede äußerte sich der nigerianische Kulturminister Prince Adetokunbo Kayode:

 

„Darf ich die heutige Gelegenheit nutzen und Sie um Partnerschaft und Zusammenarbeit bitten? Führen wir die Meisterwerke zusammen! Wir möchten wissen, wie viele von ihnen es gibt und wo sie sich befinden. Wir möchten ein Inventar. Diese Meisterwerke erfüllen nur dann ihren Zweck, wenn die Menschheit sie sehen kann. Wenn die ganze Welt sie sehen kann. Sie sollen nicht nur für die Nigerianer, die Menschen aus Benin oder die Europäer allein zugänglich sein. Diese Meisterwerke gehören der ganzen Welt. Uns allen. Darum müssen wir zusammenarbeiten und darum müssen wir gewährleisten, dass sie zugänglich sind. Wenn sie in Nigeria oder andernorts in der Welt verschlossen bleiben, dann dienen sie nicht dem Zweck, für den die Meister, die sie einst schufen, sie gedacht hatten. Wir brauchen daher eine andere Einstellung. Und wir brauchen Respekt.

 

Wir bestehen nicht darauf, dass alle Artefakte nach Nigeria gebracht werden. Wir wollen vielmehr, dass sie allen zur Verfügung stehen, von allen – auch von den Nigerianern – bewundert werden können.  Ich freue mich auf den Tag, an dem wir eine Ausstellung wie diese in Nigeria haben werden.“

 

Dieser behutsame diplomatische Appell des offiziellen Vertreters Nigerias wurde damals auf deutscher Seite nicht als Restitutionsforderung gewertet. Kontroversen über die rechtmäßigen Empfänger, der nigerianische Staat, der Gouverneur der Provinz Edo, der Königspalast oder das Nationalmuseum in Benin City waren ungünstige Voraussetzungen für ein formales Restitutionsersuch. Doch die erbetene Liste der Beninsammlungen von 506 Objekten wurde übermittelt. Seit 2009 weiß man in Nigeria, was sich im Ethnologischen Museum Berlin befindet, wann und bei wem die Stücke erworben wurden.

 

Nigerias Position zehn Jahre später

 

Der diplomatische Ton hat sich geändert. Der amtierende Botschafter Nigerias Yusuf Tuggar klagte kürzlich in der FAZ: „Nigeria weiß nicht, welche Stellen die erworbenen, gestohlenen Objekte besitzen, es sei denn, sie werden ausgestellt.“ Deutschland solle die Bestände seiner Museen überprüfen, „anstatt es zur Bedingung für Nigeria zu machen, korrekt zu erraten, wo sich was befindet“.

 

Tuggar moniert zudem, „dass die SPK weiterhin bestritte, dass Nigeria jemals offiziell eine Repatriierung verlangt hätte, insbesondere seitens Prinz Adetokunbo Kayode, der 2008 eine Ausstellung von Werken aus Benin im Dahlemer Museum besuchte“.

 

Im August 2019 forderte Tuggar in einem Brief an Bundeskanzlerin Merkel und Staatsministerin Grütters die „Restitution von geraubten kulturellen Kunstwerken“. Gespräche folgten, doch kein formales Rückgabeersuchen per Verbalnote mit Angaben, welche Objekte zurückverlangt werden und Begründung des Rückgabeersuchens. Nun weiß Botschafter Tuggar sicherlich, wie eine formvollendete Verbalnote funktioniert und die Liste der Berliner Objekte hat seine Regierung ja auch. Doch wäre es nicht eine Zumutung, die geraubten Werke derart zurückzuerbetteln? Ist es nicht klüger, die mediale Aufmerksamkeit wach zu halten?

Zehn Jahre Verhandlungen

 

Die Rede des Ministers Adetokunbo Kayode von 2008 blieb aufseiten der Museen nicht folgenlos. Plankensteiner folgte dem Appell nach ernsthafter Partnerschaft und gründete eine internationale Arbeitsgruppe, später als „Benin Dialogue Group“ bekannt. Seit 2010 diskutiert sie über den zukünftigen Umgang mit den Beninbronzen im Verbund aller europäischen Museen, in deren Besitz sie sich befinden, sowie mit nigerianischen Vertretern. Die ursprüngliche Idee von Leihgaben überzeugte externe Kritiker nicht, immerhin begriffen einige, dass die Restitution ein politisches Minenfeld war: unterschiedliche Trägerschaften und Gesetze auf europäischer Seite, Ansprüche verschiedener Gruppen auf nigerianischer.

 

Von der Nestbeschmutzung zur öffentlichen Anerkennung kolonialer Unrechtskontexte in deutschen Museen

 

Botschafter Tuggar, der in eigener Sache den Druck erhöht, ist nicht der Einzige. Die Kunsthistorikern Bénédicte Savoy forschte über Forderungen Nigerias in den 1970ern, die von der deutschen Kulturpolitik, auch auf Betreiben einiger Museumsdirektoren, abgewiesen wurden. Zwar waren die Zusammenhänge komplexer, als es in der selektiven Auswahl der Quellen erscheint, bezeugt ist jedoch die desinteressiert-ablehnende Haltung gegenüber der Thematisierung problematischer Provenienzen aus kolonialem Kontext in den Berliner Sammlungen, die sich noch 2005 in meiner Stigmatisierung als „Nestbeschmutzerin“ und der unsensiblen Rezeption der Rede des nigerianischen Kulturministers 2008 äußerte. Über ähnliche Erfahrungen mit der Benin Dialogue Group berichtet Plankensteiner.

 

Restitution ab 2022: Wer bestimmt das Tempo, wer stellt Bedingungen?

 

Der Neubau eines Museums of West African Art in Benin/Nigeria hat die Debatte erleichtert. Wird so eine Institution der ehemaligen Kolonialherren – das Museum – zum Maßstab von Restitution genommen? Wollte man Unrecht anerkennen und wieder gut machen, müsste es dann nicht den Nachkommen der beraubten Eigentümer überlassen sein, was sie mit den Sammlungen machen, z. B. Weiterverkauf, gar Einschmelzen der Bronzen?

 

Eher steht zu erwarten, dass die deutschen und nigerianischen Verhandelnden sich darauf einigen, den physischen Erhalt und öffentlichen Zugang der zur Weltkunst gehörigen Werke in Museen zu gewährleisten, inklusive Option temporärer Leihgaben, eine Position, die bereits 2008 seitens Nigerias vertreten wurde. Beide Seiten werden sich über langfristige Kooperation verständigen, der Weg für die Restitution ist frei.

 

Sicher bleibt es ein Ärgernis, dass deutsche Museen ihre „nur“ secondhand erworbenen Beninbronzen restituieren, Firsthand-Räuber wie das Britische Museum mit über 900 Beninwerken sich aber hinter Gesetzen aus den 1963ern verschanzen. Doch die deutsche Seite – die Öffnung des Humboldt Forums nach Beendigung pandemischer Schonzeiten im Nacken – hat jetzt keine Zeit mehr, steht im Fokus, muss handeln. Verständlich die Erwartung des Intendanten des Humboldt Forums Hartmut Dorgerloh, dass bis September über die Rückgabe der Beninbronzen positiv entschieden wird.

 

Die Tatsache, dass das neue Museum in Benin wohl erst ab 2022 bestückt werden kann, möchte die aktuelle Besitzerin SPK dazu nutzen, die Bronzen auf jeden Fall im Humboldt Forum zu präsentieren, bevor sie sie „substantiell“ restituiert. Derweil sind längst Restitutionen deutscher Museen in alle Teile der Welt erfolgt, nach Namibia, Neuseeland, Hawaii, Alaska. Aber erst bis Mitte Juni werden die sicherlich vorhandenen Beninlisten deutscher Museen eingesammelt. Derweil dreht sich das Personalkarussell munter weiter: Kuratoren im Humboldt Forum wechselten ebenso wie die Mitglieder der Benin Dialogue Group ihre Arbeitgeber: Bereits der zweite Experte für die Präsentation der Bronzen im Humboldt Forum, der Kurator Jonathan Fine, wechselt als Direktor ans Weltmuseum Wien, wo die Gruppe einst gegründet wurde, während die Wiener Gründerin Plankensteiner seit 2017 Direktorin des MARRK Hamburg ist und ein weiteres Mitglied, die ehemalige Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen und Afrikaexpertin, Nanette Snoep, ans Rautenstrauch-Joest-Museum Köln wechselte.

 

Eine unbequeme Ausstellung im Humboldt Forum oder rasche Restitution?

 

Angenommen, die nigerianischen Partner befürworten die Schau der Bronzen im Humboldt Forum, wie müsste eine solche Ausstellung beschaffen sein, wer kuratiert? Müsste sie nicht den Gesamtkontext der britischen Strafexpedition thematisieren, die blutige „Verwobenheit der Akteure miteinander“, wie die Ethnologin Brigitta Hauser-Schäublin schrieb? Will das Humboldt Forum seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen, muss es dann nicht den Mut haben, Gewalt und Brutalität der britischen und nigerianischen Beteiligten darzustellen? Eine rasche Restitution dürfte der einfachere Weg sein.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.

Viola König
Viola König ist Professorin für Kultur- und Sozialanthropologie und Altamerikanistik an der Freien Universität Berlin. Bis 2017 war sie Direktorin des Ethnologischen Museums Berlin.
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