Das Flussbad muss die Initialzündung sein

Tim Edler, Hubert Weiger und Olaf Zimmermann im Gespräch über Kultur, Nachhaltigkeit und ein Flussbad am Humboldtforum

Das Flussbad verbindet nicht nur Kultur und Nachhaltigkeit in der Berliner Mitte, sondern bietet eine Diskussionsplattform rund um das Humboldt Forum.

 

Hans Georg Hiller von Gaertringen (HvG): Wir möchten über Nachhaltigkeit und Kultur sprechen. Beim Wort Nachhaltigkeit denke ich mehr an den Umweltschutz, also an die Natur und nicht an die Kultur. Wo sehen Sie als Mann der Kultur die Berührungspunkte, Herr Zimmermann?
Olaf Zimmermann (OZ): Der Begriff der Nachhaltigkeit ist keinem bestimmten Bereich vorbehalten. In der Kultur wollen wir genauso nachhaltig tätig sein. Aber der spannende Punkt ist: Wo sind überhaupt die Grenzen zwischen Natur und Kultur? Natur ist von der Kultur geprägt. Was wir uns heutzutage unter Naturschutz vorstellen, ist nicht die Wiederherstellung des Urzustandes vor dem Menschen, sondern die Konservierung einer kulturellen Sichtweise. Unsere Wälder z. B. sind extrem kultivierte Gebiete, alles andere als ursprünglich. Und in genau dieser Form sind sie mythisch und kulturell so stark belegt, gerade bei uns in Deutschland. Das ist die spannende Verbindung zwischen Natur, Kultur und Nachhaltigkeit – und das verbindet auch uns, den Deutschen Kulturrat und den BUND.

 

HvG: Wie sehen Sie das Verhältnis von Nachhaltigkeit und Kultur, aus der Sicht des Naturschützers, Herr Weiger?
Hubert Weiger (HW): Wir diskutieren seit Jahrzehnten über Nachhaltigkeit. Die Idee der Nachhaltigkeit ist es, die Wirtschaft so zu gestalten, dass sie unsere natürlichen Lebensgrundlagen nicht zerstört und gleichzeitig für einen sozialen Ausgleich sorgt. Nun ist in den letzten Jahren eine Erkenntnis gewachsen: Die Dimension der Kultur ist zwingend in die Nachhaltigkeitsdiskussion aufzunehmen. Wie Herr Zimmermann gesagt hat: Das, was wir als Natur schützen, ist vom Menschen erheblich kulturell verändert und gestaltet worden. Der Naturschutz hat sich in Deutschland nicht von der Wildnis, sondern von der Kulturlandschaft her entwickelt. Es waren eben die als harmonisch empfundenen, vielgestaltigen – heute würde man sagen „biotopreichen“ – Kulturlandschaften, die aus der Sicht des Naturschützers als besonders wertvoll angesehen worden sind. Interessant ist auch: In den Anfängen des Naturschutzes wurde nicht zwischen Denkmal- und Naturschutz getrennt. Beides wurde als Einheit gesehen, die Stadt und die Landschaft. Die Trennung erfolgte durch Zuständigkeitsregelungen: Der Denkmalschutz hat heute andere Strukturen als der Naturschutz. So ist auch die Auffassung entstanden, dass Naturschutz erst außerhalb der Stadt beginnt. Erst in den letzten Jahrzehnten haben wir uns besonnen, dass wir uns dort, wo nur noch Reste der Natur sind, nämlich in den Städten, um diese besonders kümmern müssen.

 

HvG: Was uns direkt zum Flussbad-Projekt führt. Wir reden bei dem Projekt von einem Ort in der Berliner Stadtmitte, die in geradezu extremer Form von der Kultur geprägt ist, man denke nur an die Museumsinsel. Was sind die Ziele des Flussbad-Projekts, Herr Edler?
Tim Edler (TE): Es geht um den Spreekanal von der Fischerinsel bis zum Bode-Museum, der im 16. Jahrhundert künstlich angelegt worden ist. Damals diente er der Schifffahrt. Heute ist er ungenutzt, er ist also eine große Funktionsbrache in der Stadt. Nun wollen wir ihn für das Flussbad-Projekt wieder nutzen und umgestalten. Dabei sollen drei Abschnitte entstehen: Den Anfang macht der Bereich an der Fischerinsel, der wieder naturnäher gestaltet werden soll. Es folgt der zweite Abschnitt, wo wir das durchströmende Wasser mit einer Kiesfilteranlage reinigen. Von dort fließt das gefilterte Wasser in den unteren Bereich zwischen ehemaligem Staatsratsgebäude und Bode-Museum, wo man schwimmen
kann.

 

HvG: Sie haben sich das Flussbad mit Ihrem Bruder Jan Edler ausgedacht. Wie kommen Sie als Künstler und Architekten auf ein Projekt, bei dem es im Kern um Gewässerreinigung geht?
TE: Unsere Agenda war es nicht, Kultur und Nachhaltigkeit zu verbinden und dafür den passenden Ort zu finden. Stattdessen ging das Projekt ganz konkret vom Spreekanal und der dortigen Situation aus. Als wir auf ihn aufmerksam geworden waren, fingen wir an, über die Gewässerqualität nachzudenken. Wie könnte dieser Fluss anders genutzt werden als jetzt, wo er durch Abwässer verschmutzt und der Zugang verboten ist?

 

HvG: Wie können wir uns den Fluss wieder näherbringen?
TE: Das Projekt hat verschiedene Ebenen: Zunächst einmal ist es ein handfester Vorteil, wenn das Wasser sauber wird und man darin schwimmen kann. Dann geht es um das, was wir heute als nachhaltigen Städtebau begreifen, also um die Verbesserung des Mikroklimas und um die Verwirklichung der „dichten“ Stadt, die möglichst wenig Verkehr produziert. Für mich persönlich am wichtigsten ist es, dass wir mit dem Flussbad der historischen Stadtmitte eine Erlebnisqualität zurückgeben. Wir schaffen etwas, das sich an die Wohnbevölkerung richtet. Nichts anderes bedeutet Nachhaltigkeit in der Stadt: Wir müssen vermeiden, dass das Stadtgebiet nach verschiedenen Gruppen aufgeteilt wird, also nur noch Touristen und reiche Bewohner in der Stadtmitte, während in den anderen Vierteln die Leute arbeiten und wohnen. Beides wieder miteinander zu verknüpfen ist für mich ein ganz wesentliches Element des Projekts. Und dann gibt es noch eine symbolische Ebene: Auf der Museumsinsel stellt unsere Gesellschaft ihre kulturellen Werte aus. Es wird gezeigt, was unsere eigene Identität geformt hat und was sie heute ausmacht. Ich finde es sehr reizvoll, gerade an diesem kulturell aufgeladenen Ort mit dem Flussbad das Thema der Nachhaltigkeit und des Umgangs mit den natürlichen Ressourcen zu verhandeln. Die Bearbeitung dieses Themas ist eine zentrale kulturelle Aufgabe der Zukunft. Wir müssen verinnerlichen, dass man Natur und Kultur nicht voneinander trennen kann.

 

HvG: Wie sehen Sie das als Interessenvertreter der Kultur, Herr Zimmermann? Kann man an diesem Ort ein solches Anliegen verhandeln? Passt ein ökologisches Stadtentwicklungsprojekt wie das Flussbad zur Museumsinsel?
OZ: Ich finde die Idee gerade an diesem Ort besonders spannend, weil sie mitten ins kulturelle Herz der Republik hineingeht. Natürlich ist die Museumsinsel ein ganz besonderer Ort, sozusagen die Spitze der Hochkultur in Deutschland. Das bedeutet aber auch, dass sie nicht unbedingt besonders dynamisch ist. Zudem war in den vergangenen 20 Jahren dort alles auf die Rekonstruktion historischer Zustände gerichtet. Der Wiederaufbau des Stadtschlosses ist für mich kein dynamischer Aufbruch. Ich glaube, man hätte an diesem Ort eine zeitgenössische Architektur zulassen müssen. Deswegen finde ich erst mal alles gut, was die derzeitige restaurative Ausrichtung dieses Ortes ein bisschen durchstößt. Das Wort „Museumsinsel“ sagt es schon: Rundherum gibt es Wasser, was auch Abgrenzung mit sich bringt. Die Idee, gerade dieses trennende Band für die Bevölkerung, aber auch für die Touristen zurückzuerobern, indem man eben hineinspringen und darin schwimmen kann, ist hervorragend. Ich sehe darin auch überhaupt keine Beeinträchtigung der Hochkultur.

 

HvG: Herr Weiger, bei Naturschutzprojekten denke ich eher an die Lüneburger Heide oder den Spreewald und nicht an die Berliner Stadtmitte, schon gar nicht an die Museumsinsel. Sollte der Naturschutz an solchen Orten präsent sein?
HW: In meinen Augen ist gerade der Ort das Faszinierende an der Flussbad-Idee. Mit dem Flussbad können wir hier an der Museumsinsel zeigen, dass man ein Minimum an Natur wieder zurückholen kann. Und damit verdeutlichen wir etwas außerordentlich Wichtiges, nämlich woher wir als Menschen kommen. Wir kommen eben nicht aus den Bezügen zur Hochkultur, sondern aus den Bezügen zur Natur. Die müssen wir erhalten, damit wir weiterhin kulturelle Hochleistungen bringen können.
Das Baden im Fluss war ja einmal vollkommen selbstverständlich. Heute können wir in den meisten Flüssen nicht mehr baden, weil sie nicht die erforderliche Wasserqualität haben. Wenn man es jetzt schafft, durch biologische, aber auch mit durchaus technischen Verfahren die Qualität wieder zu verbessern, dann ist, glaube ich, damit der Begriff der Nachhaltigkeit noch einmal konkretisiert. Nachhaltigkeit heißt ja, so zu wirtschaften und zu leben, dass wir Qualitäten verbessern und die in den letzten Jahrzehnten erfolgten Naturzerstörungen ein Stück wiedergutmachen.

 

HvG: Aber läuft man hier nicht Gefahr, bloße Symbolpolitik zu betreiben? Das kann in zwei Richtungen gehen – entweder führt ein Flussbad als Symbol dazu, dass ganz viele ähnliche Projekte folgen, also eine positive Lawine ausgelöst wird. Oder es führt dazu, dass man sich darauf ausruht, nach dem Motto, jetzt haben wir es an einer Stelle gelöst, dann müssen wir nirgendwo anders mehr etwas fürs saubere Wasser tun.
HW: Das wäre natürlich die völlig falsche Konsequenz. Das Flussbad muss die Initialzündung sein, der Auslöser für viele weitere Initiativen. Man wird den Fluss mit anderen Augen betrachten, nicht mehr als ein totes Rinnsal, das zwischen Beton eingebettet ist. Wenn ich weiß, der Fluss ist nicht mehr nur ein Abfluss für unsere Fäkalien, dann habe ich natürlich auch eine andere Fürsorge für das Gewässer. Ich werde mir überlegen, welche Belastungen ich ihm zuführe, weil ich wieder baden will.

 

HvG: Inwieweit wird man die Anliegen, die das Flussbad transportiert, vor Ort erklären müssen?
OZ: Das ist eine wichtige Frage: Will man das einbetten in diesen Kulturbezirk Museumsinsel und Humboldt Forum? So könnte das ein sehr spannender Ort werden, wo Diskussionen zu Natur, Kultur und ihrem Verhältnis gemeinsam geführt werden könnten. Das könnte man auch im Humboldt Forum machen. Schließlich war Alexander von Humboldt vor allem ein großer Naturforscher.

 

HvG: Gibt es auch beim Flussbad selbst entsprechende Überlegungen, an Ort und Stelle zu kommunizieren, was man über das Baden hinaus erreichen will?
TE: Das Bedürfnis der Öffentlichkeit, das Projekt zu bereden, ist groß. Also haben wir gerade einen solchen Ort eröffnet, eine Informations- und Ausstellungsplattform am Garten der privaten Hochschule ESMT.

 

OZ: Ich will noch einmal auf das Humboldt Forum zurückkommen. Wir haben hier wirklich eine enorme Chance, weil dort über Nachhaltigkeit und Klimawandel nachgedacht werden soll. Aber bisher ist noch nicht klar, wie das passieren soll, es ist noch offen, weil wir hier einen Widerspruch zwischen den erstklassigen Sammlungen, die dort nun hinkommen werden, und der Idee der ganz neuen Diskussionsplattform haben. Das Flussbad sollte auch ein Diskussionsort sein, wo man über diese verschiedenen Punkte sprechen würde, ein Symbol der Verbindung von Natur und Kultur.

 

HW: Allein der Name Humboldt bietet sich natürlich schon optimal dafür an, denn Alexander und Wilhelm von Humboldt haben die Wissenschaft, den Naturschutz und die Pflege der Kulturschätze in idealtypischer Weise vereint. Das Humboldt Forum sollte sich in diesem Sinne um eine solche Verbindung bemühen. Das bietet die Chance, durch ein Projekt wie das Flussbad nicht nur die Erlebnisqualität in der Stadt zu verbessern, sondern den Blick auf den Spreefluss zu lenken. Wir
vom BUND bringen hier gerne unsere eigenen Kapazitäten ein. Denn ich halte das Flussbad persönlich für ein tolles, zukunftsweisendes und unterstützenswertes Projekt. Ich sehe auch große Realisierungschancen, denn dieses Anliegen passt sehr gut zum gerade beschlossenen „Bundesprogramm Blaues Band“, das die Renaturierung von Bundeswasserstraßen zum Ziel hat. Natürlich muss dann immer der politische Druck
da sein, damit die entsprechenden Mittel bereitgestellt werden, damit man eben nicht nur plant und begeistert, sondern auch mit der Realisierung beginnt. Und da sind wir als BUND gerne mit dabei.

Tim Edler, Hans Georg Hiller von Gaertringen, Hubert Weiger & Olaf Zimmermann
Tim Edler ist Projektautor des Flussbad Berlin e.V., Hubert Weiger ist Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Die Fragen stellte der freie Kunsthistoriker Hans Georg Hiller von Gaertringen
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