Die zivilgesellschaftliche Debatte über ein Freiheits- und Einheitsdenkmal begann 1998 und mündete nach langen Jahren des Hin und Her in zwei Beschlüssen des Deutschen Bundestags 2007 und 2008, die sich positiv zum »Ob« eines solchen Erinnerungsortes verhielten. Von einem breiten Konsens konnte damals nicht die Rede sein: Die Linkspartei stimmte dagegen, die Grünen enthielten sich. Es war ein Projekt, das aus der Zivilgesellschaft entstanden ist. Schon seit dem Mauerfall gab es immer wieder Bestrebungen, ein Denkmal zu bauen, welches an die Friedliche Revolution im Herbst 1989 und an die Wiedergewinnung der staatlichen Einheit Deutschlands erinnert.
Bis die Baugenehmigung im Jahr 2015 erteilt werden konnte, waren aber noch viele Hürden zu nehmen. Ob es die Realisierungswettbewerbe oder der Standort waren, nichts davon war leicht zu lösen. Auftretende technische Probleme, Anforderung an Naturschutz und Barrierefreiheit – sie wurden nach zähem Ringen gelöst. Am Ende sollten dann aber fiskalische Bedenken ein vorzeitiges Ende für die Planung bedeuten, als der Haushaltsausschuss den Finanzierungsplan des Bauprojektes missbilligte. Es ist die Aufgabe des Haushaltsausschusses, bei finanziellen Fehlentwicklungen stellvertretend für den Bundestag einzuschreiten, wenn die Kosten aus dem Ruder zu laufen drohen. Auch hier gelten die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit. Aber er hat nur den Finanzierungsplan gekippt, nicht den Bundestagsbeschluss und die Bundesregierung aufgefordert, das Projekt nicht weiter zu verfolgen.
Jetzt muss der Bundestag klären, wie er zu seinen Ursprungsbeschlüssen steht. Beharrt er darauf, den eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen, hebt er die Beschlüsse auf und/oder eröffnet er den Weg einer breiten öffentlichen Debatte? Stillschweigend das Projekt dem reinen Regierungshandeln zu überlassen, ist auf jeden Fall kein angemessenes Verhalten.
Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Deshalb schätze ich Jury-Entscheidungen im Prinzip hoch ein. So ist es auch zu einem Jury-Votum für den „Milla-Entwurf“ gekommen. Die jetzt eingetretene Situation eröffnet allerdings noch einmal die Chance, eine Debatte über unsere Erinnerungskultur zu führen. Allein die Diskussionen über den Sinn eines Freiheits- und Einheitsdenkmals zeigt, dass sich ein Streit über die beste Lösung lohnt. Ist das gefundene Konzept das richtige? Ist der gefundene Ort der richtige? Gibt es dafür Alternativen? In einem von der SPD-AG Kultur und Medien veranlassten Fachgespräch sind eine Fülle von Aspekten vorgetragen worden, die es mehr als angebracht erscheinen lassen, den öffentlichen Diskurs zu forcieren. Der Streit in der Sache wird uns weiterbringen.
Das Leipziger Projekt ist leider gescheitert. Die deutsche Freiheitsidee ist jedoch nicht auf Berlin begrenzt. Aber der im frühen 19. Jahrhundert aufkeimende Freiheitswille zieht sich daher wie ein Pfad durch unser Land. Sicherlich ist der 9. November 1989 ein Glücksmoment in unserer Geschichte, der sich in eine lange Linie der Freiheitsgeschichte einbettet. Auch dies gilt es zu bedenken.
In einem historisch-normativen Kontext muss ein häufig erwähnter Alternativvorschlag zum Freiheits- und Einheitsdenkmal betrachtet werden: Das Brandenburger Tor. Den Älteren ist es sicherlich zuvörderst ein Symbol der Trennung, sind uns die Bilder der Mauer, welche die Stadt Berlin und die Welt in Ost und West einteilte, doch noch allgegenwärtig. Dass diese Mauer, die quer durch unseren Kontinent lief, in einem friedlichen Akt der Revolution eingerissen wurde, man das Tor heute durchqueren, bewundern und aus allen Perspektiven fotografieren kann, muss uns alle freuen. Doch taugt es damit auch zum Freiheits- und Einheitsdenkmal? Werden die Bilder, wie meine Generation sie kennt, die gleiche Rezeption bei kommenden Generationen auslösen?
Als ein „weltweit bekanntes Kennzeichen-D“ beschreibt Peter Reichel das alte Stadttor in seinem Werk „Glanz und Elend deutscher Selbstdarstellung“, aber auch den historisch-normativen Wert arbeitet er doch sehr treffend heraus. „Das Brandenburger Tor steht für das deutsche, wiederholt gegen äußere Feinde gerichtete Freiheits- und Einheitsstreben, für Teilung und Unfreiheit […] und nicht zuletzt für Preußen und damit allgemein für die kleindeutsche Sache. Nur für das frankophone, revolutionäre und prowestliche Dritte Deutschland steht es nicht.“ Diese Ansicht muss man nicht zwingend teilen, aber man muss sie diskutieren.
Und diese neue Debatte brauchen wir auch vom Grundsatz her. Die Debatte hat nie stillgestanden, wie man an den aufgekommenen Problemen sehen kann. Diese konnten alle ausgeräumt werden. Aber es waren Debatten „im Vollzug“. Jetzt geht es offenkundig erneut um eine Debatte im Grundsatz. Dieser muss sich die Gesellschaft und das Parlament stellen.
Der Text ist zeurst in Politik & Kultur 06/2016 erschienen.