Spielend sterben im Schützengraben

Der Erste Weltkrieg in Computerspielen

Dass es überhaupt eine derart kostenintensive und damit mehr oder weniger zum Erfolg verdammte Produktion wie „Battlefield 1“ gibt, die sich dem so rudimentär bestellten Feld des Ersten Weltkrieges im Computerspiel annimmt, ist schon beachtenswert. Denn tatsächlich zwingt das gewählte Setting die Entwicklerinnen und Entwickler dazu, sich in einem umkämpften Erinnerungsdiskurs zu positionieren. Ich möchte noch einmal den Zweiten Weltkrieg als Vergleichsobjekt heranziehen. Hier ist die Sache klar: Die Guten kämpfen gegen die Bösen, die Alliierten gegen die Nationalsozialisten und deren Verbündete. Zu tiefergehenden Auseinandersetzungen lassen sich auch hier die Entwicklerinnen und Entwickler nicht hinreißen, weswegen beispielsweise der Holocaust in der Regel ausgeblendet wird. Doch zumindest in dieser Grundstruktur von Gut und Böse ist man sich mit der Zielgruppe der Spiele einig. Das ist gut fürs Geschäft und vielfach dann schon ausreichend.

 

Und beim Ersten Weltkrieg? Hier ist weniger Platz für den typischen Heldentopos. Dem ziellosen Sterben in den Schützengräben wird vielfach als der Kampf von Opfern gegen Opfer gedacht. Doch auch hier besteht keine Einigkeit, vielfach konkurrieren nationale Erinnerungskulturen um Deutungshoheit. Klar ist: Es ist nicht so klar.

 

Diese ungeklärten Verhältnisse führen zu Konflikten mit dem Spielsystem des Ego-Shooters. Wo man als Spielerin oder Spieler nach dem Sieg über die Nationalsozialisten notfalls noch selbst die sowjetische Fahne über dem Reichstag hisst, da fehlt im Ersten Weltkrieg der Raum für die dem Ego-Shooter eigenen Allmachtsfantasien – einer gegen alle. Im Schützengraben bei einem Senfgasangriff dahinzusiechen, passt so gar nicht zum gewohnten Shooter-Erlebnis.

 

Auch „Battlefield 1“ vermag diesen Konflikt nicht aufzulösen, macht aber doch Andeutungen und Versuche, das Genre im Angesicht des schwer greifbaren Konfliktes weiterzuentwickeln. Die erste Mission des Spiels beginnt beispielsweise mit der Einblendung „Was folgt, sind Frontkämpfe. Du wirst vermutlich nicht überleben“ und konterkariert damit die Idee des unsterblichen Shooter-Helden. Und tatsächlich: Stirbt der spielbare Charakter in dieser Mission, fährt die Kamera heraus, zeigt den Namen des Soldaten und dessen Todesjahr und lässt Spielerinnen und Spieler dann die Kontrolle eines anderen Soldaten übernehmen – bis auch dieser wieder das Zeitliche segnet. Ein spannender Bruch mit dem Erwarteten, der zeigt, dass sich die Entwicklerinnen und Entwickler bei DICE durchaus mit der Thematik auseinandergesetzt haben.

 

Vielfach wählen sie aber auch den einfachen, den gewollt und vermeintlich unpolitischen Weg, den des geringsten Widerstands. Anstatt sich beispielsweise mit komplexen Feindschaftsverhältnissen, Motiven und moralischer Mehrdeutigkeit auseinanderzusetzen, werden die Mittelmächte in der Einzelspielerkampagne doch wieder zum klaren Feindbild – obwohl Österreich-Ungarn, das Osmanische und das Deutsche Reich zumindest im Mehrspielermodus durchaus spielbar sind. Auch verkommen Schützengräben, Giftgas, Stacheldraht und ähnliches im weiteren Verlauf des Spiels doch wieder nur zu wiedererkennbaren, weil populärkulturell verankerten Elementen, die für ein gefühlt authentisches Weltkriegserlebnis mit dem nun doch wieder unsterblichen Spielercharakter sorgen sollen.

 

Doch immerhin: Der erinnerungskulturell weiterhin unstete Erste Weltkrieg ist gewiss kein einfach zu bespielendes Szenario, wie sich an der geringen Zahl an Computerspielen zum Thema zeigt. Es hätte also schlimmer kommen können. „Battlefield 1“ dürfte dem populärkulturell insgesamt recht wenig bearbeiteten Feld seine eigene Note hinzugefügt haben. Da können die Entwicklerinnen und Entwickler noch so oft sagen, dass es nur um den Spaß geht und um interessante Spielerlebnisse in Panzer und Flugzeug: Durch ihr Spiel haben sie eine Aussage gemacht. An dieser gibt es sicherlich einiges zu kritisieren, doch hat sich gezeigt, dass auch starre Genrestrukturen noch aufgeweicht werden können im Angesicht einer erinnerungspolitischen Herausforderung. Das stimmt optimistisch.

Felix Zimmermann
Felix Zimmermann promoviert in Köln zu Atmosphären im Computerspiel.
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