Erinnerungskultur in Räumen gedacht

Orte, die im Jubiläumsjahr des Ersten Weltkrieges entstanden

Man muss der Installation zugutehalten, dass sie in ihrer Namensgebung und Symbolhaftigkeit allgemein verständlich war und trotz der ästhetischen Erscheinung auch etwas Abschreckendes hatte, das den Krieg als negativ konnotiert. Cummins sagte nach der Ausstellung seines Werks, dass das eindrucksvollste des Events die Geschichten der über 8.000 internationalen Freiwilligen waren, die das „Pflanzen“ der Mohnblumen von Juli bis November unterstützten. Sie seien Teil der Veteranengemeinschaft oder Angehörige dieser gewesen. Trotz des nationalistisch geprägten Bildes der populären Erinnerungskultur gab es also auch eine soziale Komponente, die das gemeinsame Erinnern auf eine andere Ebene brachte, als die eines rein touristischen Spektakels. Die temporäre Installation wurde später wieder entfernt und die Poppies für 25 Pfund das Stück verkauft. Der Erlös ging an die Veteranen und deren Hinterbliebene.

 

Beton, ein guter Überblick und die räumliche Erinnerung im Norden Frankreichs
Ein ganz anderes Zeichen setzt der „Ring der Erinnerung“, ein Mahnmal für 580.000 Gefallene, die in Ablain-Saint-Nazaire am Hügel von Notre-Dame-de-Lorette ums Leben kamen. Es wurde direkt neben dem größten, 1925 errichteten Militärfriedhof erbaut und zum Jubiläum im Jahr 2014 eingeweiht. Nach der Idee des Architekten Philippe Prost sollten die ehemaligen Gegner unabhängig ihrer Nationalität, Religion oder kulturellen Hintergrunds an einem Ort symbolisch vereint und erinnert werden. Die globale Dimension des Krieges erhält hier einen ganz anderen Stellenwert als beim Londoner Beispiel.

 

Das Konzept der Erinnerungsstätte beruht auf einem Menschenkreis, bei dem sich die Teilnehmer an den Händen fassen. Es entstand ein insgesamt 328 Meter langer Ring, den man über einen Weg, der in die Erde eingelassen ist, betritt. Außen aus dunklen Betonelementen, befinden sich an der Innenseite ca. 500 bronzefarbene Edelstahltafeln, die im Zickzack wie aufgeschlagene Buchseiten wirken. Sie bilden die Namen der Gefallenen, alphabetisch aufgelistet ab. Ob Verlierer, Gewinner, Feind oder Freund während der Schlacht – im Denkmal werden die einstigen Akteure dieses Ortes vereint.

 

Schlicht, modern und sachlich zurückhaltend, liegt die architektonisch gut durchdachte Erinnerungsstätte auf einem grünen Grashügel, der den Blick über die Landschaft und ehemaligen Schlachtfelder ermöglicht. Trotz seiner klaren Formgebung und raumeinnehmenden Figur, die 192 Meter lang und 75 Meter breit ist, nimmt sich der Baukörper zurück und bietet dem Besucher einen neutralen Außenraum mit Platz für die eigene Reflexion. Teils in den Boden eingelassen, teils aufliegend und ein Drittel über die Hangkante auskragend, steht die ellipsenförmige, begehbare Struktur für Einheit und Brüderlichkeit. Der auskragende Teil des Gebäudes erinnert daran, dass Frieden nur ein Zustand eines stets fragilen Gleichgewichtes ist. Die klare architektonische Sprache des Gebäudes distanziert sich eindeutig von den heroischen Gesten der historischen Denkstätten und sucht eine objektive Vermittlung einer europäischen Erinnerungskultur. Mit diesem Mahnmal ist ein Erinnerungsort entstanden, der für die Demokratieerziehung der noch jüngeren Gesellschaft ein gutes Beispiel sein kann.

 

Ein direkter Vergleich der beiden Erinnerungsorte fällt schwer. Der eine temporär, national, symbolisch und in einen bestehenden Raum eingefügt, der andere permanent, international, objektiv wahrheitsgetreu und auf dem freien Feld einer ursprünglichen Kriegsaustragungsstätte positioniert. Vielmehr ist es bemerkenswert, dass sich Erinnerungsorte, die sich auf ein so weit zurückliegendes Ereignis beziehen, immer noch verändern und neu entstehen. Sie zeigen einen Teil der heutigen Kultur, die sich, wie unsere Erinnerung, im Laufe der Zeit weiter wandelt und zu neuen Repräsentationen mit veränderten Bedeutungen führt.

Riccarda Cappeller
Riccarda Cappeller ist Architekturjournalistin mit Fokus auf Projekten mit sozialem Hintergrund und neuen Nutzungsformen sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leibniz-Universität Hannover.
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