Neue alte Denkmäler

Impulse für eine erweiterte Erinnerungskultur

Im Mai dieses Jahres begann der Bau eines Freiheits- und Einheitsdenkmals, das der Deutsche Bundestag 2007 beschlossen hatte. Der „Bürger in Bewegung“ genannte Entwurf, eine begehbare Schale, wurde teilweise heftig kritisiert. Fertigstellung und Einweihung des Denkmals, das bereits den Spitznamen „Einheitswippe“ erhalten hat, könnten einen Anlass bieten, erneut über die Symbolik zu diskutieren. Man darf gespannt sein, wie dabei die Inschrift „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk“ einbezogen wird. Diese Worte sind historische Kristallisationspunkte der Friedlichen Revolution und der Deutschen Einheit und sie sollen im Rahmen des Denkmals Freude über den Kampf um Freiheit und über die Deutsche Einheit stehen. Die Verschiebung von „das“ zu „ein“ in den Sprechchören der demonstrierenden Ostdeutschen im Herbst 1989 mag manche eher an Unterschiede in gesellschaftspolitischen Wünschen und Hoffnungen denken lassen, die bis heute den mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in Gang gesetzten Transformationsprozess begleiten. In diesem Sinne erscheint das Bild des Balancierens auf der Schale ambivalenter, als es dem Wunsch der Gruppe, die 1998 die erste Initiative startete, entsprechen dürfte.

 

Die „Einheitswippe“ könnte sich, gerade wenn kritische Lesarten einbezogen werden, als ein gelungenes zeithistorisches Denkmal erweisen. Gleichzeitig steht sie in einer Kontinuität ehrender Denkmäler. Welche Veränderungen gab es mittlerweile in der Denkmalskultur, und welche Art von Denkmälern brauchen wir für eine Weiterentwicklung unserer Erinnerungskultur im öffentlichen Raum?

 

Das Denkmal für die Ermordung der europäischen Juden ist das wichtige Beispiel dafür, dass nicht nur „positive“, sondern auch sogenannte „negative“ Denkmäler identitätspolitische Angebote sein können. Dass die kontroverse Auseinandersetzung um dieses Mahnmal das eigentliche Denkmal sei, ist zum beliebten, aber inzwischen überholten Bonmot geworden. Von Martin Walser in seiner Paulskirchenrede 1998 noch als „Monumentalisierung der Schande“ geschmäht, ist das Konzept heute breit akzeptiert. Allerdings kann man auch den Eindruck gewinnen, dass umso selbstbewusster auf das Stelenfeld hingewiesen wird, je drängender öffentlich die Frage gestellt wird, wie gut die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit in Deutschland seit dem Ende des „Dritten Reiches“ tatsächlich gelungen sei. Das Holocaust-Mahnmal sollte aber nicht an sich als Beweis betrachtet werden dafür, dass sich „die Deutschen“ intensiv mit der Shoah befasst haben.

 

Aus diesen beiden Beispielen lassen sich grundsätzliche Überlegungen ableiten: Denkmäler haben eine wichtige erinnerungspolitische Bedeutung, die weder über- noch unterschätzt werden sollte. Denn sie beziehen ihre Wirkung nicht allein aus dem Gegenstand, sondern in erster Linie aus einer gelebten Erinnerungskultur und damit aus der sozialen Praxis. Sie sind natürlich nicht die ganze Erinnerungskultur, aber ein prägender Teil. Da sich also auch in der Denkmalkultur das Selbstverständnis einer Gesellschaft widerspiegelt, ist sie ein wichtiges Element für einen nun anstehenden, breiteren gesamtgesellschaftlichen Aushandlungsprozess über die Bedeutung der Kolonialgeschichte.

 

Denkmalsstürze und Skandalisierungen einzelner Statuen im Rahmen der Black-Lives-Matter-Bewegung haben auch in Deutschland stärker ins Bewusstsein gerückt, dass wir sowohl über die Frage diskutieren müssen, wer im öffentlichen Raum geehrt wird als auch wie bei umstrittenen Persönlichkeiten mit der Symbolik eines ausschließlich ehrenden Gedenkens gebrochen werden kann: Dazu gehört es zu fragen, warum kolonialgeschichtliche Statuen oder auch Straßennamen für viele Angehörige der Mehrheitsgesellschaft unproblematisch erscheinen, und weitergehend, auf eine eklatante erinnerungskulturelle Lücke aufmerksam zu machen: Wo wird der historische Bezug überhaupt erkannt? Welche Person denkt, wenn sie den Namen Bismarck hört, an seine Rolle in der deutschen Kolonialgeschichte? Impulse für ein kritischeres Bewusstsein in der Mehrheitsgesellschaft können sowohl von neuen wie von umgestalteten Denkmälern ausgehen. Zu den neuen sollte auch mindestens ein Großprojekt gehören. Dass die Idee einer zentralen Gedenkstätte für die Opfer des Kolonialismus in Berlin zunehmend auch in der Politik Unterstützung findet, ist ein positives Zeichen, und es ist zu hoffen, dass dieses Anliegen bald konkretere Formen annimmt. Mindestens so bedeutsam ist es, zusammen mit bereits bestehenden lokalen Initiativen eine möglichst breite Diskussion über den Umgang mit bestehenden Denkmälern anzustoßen und Konzepte für eine kritische Umgestaltung zu entwickeln. Schriftliche Kommentare, etwa auf Plaketten, dürften dabei eher eine Notlösung sein. Ein klareres Signal wären gestalterische Veränderungen und Ergänzungen. Wie jüngst etwa das – eher noch in geringem Maße interventionistische – Gegendenkmal zur Skulptur des Generals Erwin Rommel in Heidenheim zeigte, ist dies keine Aufgabe, die nur auf die Kolonialgeschichte begrenzt ist. Auch mit Blick auf dieses Beispiel lässt sich dafür plädieren, dass eine Anstrengung zu Umgestaltungen eine erinnerungspolitische Aufgabe ist, die keineswegs notwendig Erinnerungskonkurrenzen befördert. Es gilt, durch vielfältige Maßnahmen erinnerungspolitische Lücken zu bearbeiten und in der Denkmalskultur Bezugspunkte für ein Deutschland zu schaffen, das sich als eine plurale, postnazistische, postmigrantische und postkoloniale Gesellschaft versteht.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.

Andrea Geier
Andrea Geier ist Professorin für Germanistik und Gender Studies an der Universität Trier. Sie ist im Vorstand des Trierer Centrums für Postcolonial und Gender Studies (CePoG).
Vorheriger ArtikelEin Denkmal für die Gastarbeiter
Nächster ArtikelOnkel Tom