Die ideellen Fundamente unserer Gesellschaft

Denkmäler in der deutschen Erinnerungskultur

Neue Denkmäler entstanden in der Weimarer Republik nur in geringer Zahl – abgesehen von Kriegerdenkmälern und einzelnen, eher abstrakten republikanischen Objekten wie dem Denkmal für die Märzgefallenen (1922) in Weimar von Walter Gropius oder dem Berliner Revolutionsdenkmal (1926) von Ludwig Mies van der Rohe. Intensiv diskutierte man über ein Reichsehrenmal für die Kriegstoten, das mal am oder im Rhein, mal bei Bad Berka in Thüringen, mal in Berlin verortet wurde. In diesem Zusammenhang entstand das Tannenberg-Denkmal in Ostpreußen, das 1927 in Anwesenheit des Reichspräsidenten Hindenburg eingeweiht wurde und an die sogenannte Tannenbergschlacht erinnern sollte. 1934 wurde es umgestaltet, um als Grabstätte für Hindenburg zu dienen. Die Nationalsozialisten beseitigten Denkmäler, die an die Republik erinnerten, wie das 1926 von Richard Scheibe geschaffene Ebert-Denkmal an der Paulskirche in Frankfurt am Main, das schon am 12. April 1933 entfernt wurde. Bei den Metallsammelaktionen im Zweiten Weltkrieg waren dann monarchische Denkmäler als Erstes betroffen – ganz im Sinne der Goebbels’schen Propaganda, dass mit den Kriegszerstörungen das alte Deutschland nun endgültig untergehe. Im Übrigen entstanden in der nationalsozialistischen Zeit nur relativ wenig neue Denkmäler, abgesehen von Kriegerdenkmälern und Hitler-Büsten, vielmehr sollte das gesamte Baugeschehen Denkmalcharakter annehmen. Zahlreiche monumentale Planungen mit Denkmalcharakter – Stadtumgestaltungen, Aufmarschplätze, „Reichshauptstadt Germania“, das Nürnberger Parteitagsgelände, Kriegerburgen in den besetzten Gebieten – blieben allerdings unvollendet.

 

Der Eindruck der gigantischen Formate und der überladenen Symbolik des „Dritten Reiches“ war so nachhaltig, dass das Ende des Zweiten Weltkrieges als Zäsur in der deutschen Denkmalkultur erscheint, auch wenn in Westdeutschland – anders als in Ostdeutschland – Denkmalzeugnisse monarchischer und militärischer Tradition fast unangetastet überlebten. Neue Denkmäler wurden zwar kaum errichtet, aber nur selten, vor allem im Umfeld der 68er-Bewegung, kam es zu Grundsatzdebatten um überlieferte Objekte. Nach dem Zusammenbruch der DDR wurde kontrovers und mit unterschiedlichen Resultaten über die Beseitigung von Relikten des sozialistischen Heroenkults debattiert, ablesbar etwa an Lenin-, Thälmann- und Marxdenkmälern. Neue Personendenkmäler blieben weiterhin eine Ausnahme – wie Konrad Adenauer (1995) in Köln oder Willy Brandt (1997) in der Berliner SPD-Zentrale – und wirkten alles andere als heroisch. Eher möblierenden Charakter hatte die nicht unbeträchtliche Anzahl biedermeierlich anmutender Denkmalobjekte, die an lokale Traditionen, Geschichtsfiguren und Symbole erinnerten, z. B. „Eierfrau“ oder „Schweinehirt“.

 

Seit der Jahrhundertwende zeichnet sich in Deutschland eine Neuorientierung ab: Denkmäler erinnern nun an Verfolgte und Opfer. Dazu zählt des Holocaust-Denkmal in Berlin (2005), das ebenfalls in Berlin entstandene Denkmal zur Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus (2008) oder das Kölner Denkmal, das an Deserteure erinnert (2009). Diese Objekte verzichten vollends auf einen heroisierenden oder idealisierenden Grundton; sie stiften Gemeinschaft über das Besinnen auf eine belastete Geschichte. Das neue Berliner Ehrenmal für Soldaten der Bundeswehr (2009), die ihr Leben bei Auslandseinsätzen verloren haben, stellt nur scheinbar eine Ausnahme dar; es passt insofern in die Reihe, als es ebenfalls heroische Gesten vermeidet.

 

Ist Deutschland damit in einem postheroischen Zeitalter angekommen, die Suche nach Helden und Vorbildern für die Gemeinschaft nun vollends obsolet? Nicht ganz: Die jüngste, aus postkolonialer Perspektive geführte Diskussion um belastete Denkmäler und Straßennamen weist auf anderes hin: Namen werden gelöscht, wenn und weil sie als Erinnerungszeichen von Kolonialismus und Rassismus gelten, etwa in Berlin die Lüderitzstraße oder das Gröbenufer. An ihre Stelle treten Namen, die an Widerstand und Opfer deutscher Kolonialherrschaft wie die Cornelius-Fredericks-Straße oder an schwarze Deutsche wie das May-Ayim-Ufer in Berlin-Kreuzberg erinnern. Hier wird ein gegenheroisches Narrativ gestiftet, das auf eine Umcodierung der nationalen Erinnerungslandschaft im Zeitalter von Globalisierung, Migration und Postkolonialismus zielt. Dahinter steht die fortwährende und unvermeidliche Auseinandersetzung um Erinnerungshegemonie und um die ideellen Fundamente des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.

Winfried Speitkamp
Winfried Speitkamp ist Historiker und Präsident der Bauhaus-Universität Weimar.
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