Die ideellen Fundamente unserer Gesellschaft
Denkmäler in der deutschen Erinnerungskultur
Denkmäler sind Teil einer vielgestaltigen, gestifteten und gewachsenen Erinnerungskultur. Als bewusst gesetzte Zeichen – „gewollte Denkmäler“ im Sinne Alois Riegls – unterscheiden sie sich von „gewordenen Denkmälern“, etwa von kunsthistorisch bedeutsamen Bauwerken, die staatlichen Schutz durch Normen und Organe der Denkmalpflege genießen, weil ihre Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt. Denkmäler im hier verstandenen engeren Sinn gehören in den Kontext weiterer Erinnerungszeichen, wie sie sich in Straßennamen, auf Banknoten oder Briefmarken finden. Als im öffentlichen Raum sichtbar platzierte, oft monumentale Erinnerungsträger erscheinen sie freilich in der Regel eindringlicher als die genannten kleinen Erinnerungsträger, ganz abgesehen davon, dass Briefmarken und Banknoten im Zuge der Digitalisierung an Bedeutung verlieren und ihrer überlieferten (Neben-)Funktion als Dokumentation des jeweiligen nationalen Pantheons kaum mehr nachkommen können. Straßennamen wiederum sind zwar, wie Briefmarken und Banknoten, Teil einer alltäglichen Erinnerungskultur, aber sie haben nicht zuletzt Orientierungsfunktion; im Alltag dient ein Straßenname vor allem der Ordnung und Differenzierung des Straßensystems. Straßennamen fügen allerdings, soweit sie Personen gewidmet sind, die zu Erinnernden quasi en passant in das Alltagsgedächtnis ein und wirken insofern nachhaltiger als Denkmäler. Und während Straßennamen beständig im Munde geführt werden müssen, bleiben Denkmäler oft unbeachtet, wenn Entstehungskontext und politische Botschaft nicht mehr aktuell sind und nicht durch Feiern wie Nationalfeiertage oder Kriegergedenken regelmäßig aktualisiert werden. Man nimmt sie erst wahr, so Robert Musil in seiner vielzitierten Beobachtung, wenn sie plötzlich verschwunden sind.
Aber sind sie deshalb unwichtig geworden? Keineswegs. Man nimmt sie nämlich auch schon wahr, wenn sie umstritten sind, nicht erst, wenn sie umgestaltet, gestürzt, zertrümmert, zermahlen, vergraben oder versenkt werden – alles Versuche, sich der Bannkraft von Denkmälern zu entledigen. Ebenso wie Straßennamen stehen sie für eine schlafende Erinnerung, die jederzeit geweckt werden kann. Anders als Straßennamen ist es nicht nur der Name eines Geehrten, der dabei zur Debatte steht. Denkmäler enthalten eine symbolisch verdichtete Botschaft, die ein Spektrum an Assoziationen wachrufen und darüber Gemeinschaft stiften oder abgrenzen kann. Das gilt gerade für die Moderne, die seit dem 19. Jahrhundert einen regelrechten Boom an Denkmälern erlebte, eine „Denkmalsflut“ oder „Denkmalswut“, wie man in Deutschland sagte. Diese Denkmalsflut erfasste die Nationalstaaten ganz Europas und wurde über den Kolonialismus in alle Welt getragen. Dabei zeichneten sich im Vergleich zur feudalen Epoche mehrere qualitative Veränderungen ab: Nicht mehr nur Fürsten und Feldherren wurden im Denkmal geehrt, sondern auch bürgerliche Vorbilder wie Friedrich Schiller, Martin Luther, Johannes Gutenberg und Friedrich Ludwig Jahn. Aufgewertet wurde nun zugleich die Nation. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Darstellungsweise vom konkreten, realistischen Denkmal, z. B. Friedrich der Große (1851) von Christian Daniel Rauch in Berlin Unter den Linden, hin zu stärker abstrahierenden Objekten, etwa dem Kyffhäuserdenkmal (1896), dem Bismarckdenkmal im Alten Elbpark in Hamburg (1906), das den Reichskanzler zur Rolandsfigur stilisiert zeigte, und schließlich den wilhelminischen Bismarcksäulen und -türmen sowie dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal von 1913. Neben der Qualität änderte sich die Quantität der Denkmäler gravierend: Um 1900 entstanden Hunderte Denkmäler für Wilhelm I., Bismarck und – bereits an dritter Stelle – Jahn. Die Erinnerungslandschaft wurde quasi nationalisiert – und dies keineswegs nur von oben, sondern durch zahlreiche lokale und regionale Initiativen, die dadurch nationale Beteiligung und Zuverlässigkeit demonstrierten, wie sich beispielhaft in der großen Zahl an Kaiser-Wilhelm-Denkmälern im Rheinland oder Bismarck-Denkmälern in Thüringen niederschlägt.
In der deutschen Revolution von 1918/19 fanden keine bedeutenderen republikanisch motivierten Denkmalstürze statt. Allerdings kam es nun zu Angriffen auf Denkmäler im Kontext nationaler Konflikte: Separatisten beschädigten die borussischen Reiterdenkmäler an der Hohenzollernbrücke in Köln, um für die Abspaltung eines Rheinstaates zu demonstrieren. In Elsass-Lothringen, das wieder an Frankreich gefallen war, wurden deutsche Kaiserdenkmäler gestürzt. In den ehemaligen Afrika-Kolonien des Reiches wurden einige deutsche Kolonialdenkmäler demontiert, zum Teil sogar nach Deutschland zurückverbracht, um dort erneut aufgestellt zu werden – so ein Denkmal für Hermann Wissmann, das aus Daressalam im ehemaligen Deutsch-Ostafrika nach Hamburg versetzt wurde. Bei all diesen Objekten war die Botschaft, die Identitätszuschreibung, unzweideutig; sie konnten daher nicht umgewidmet, sondern nur gestürzt oder transloziert werden.
Neue Denkmäler entstanden in der Weimarer Republik nur in geringer Zahl – abgesehen von Kriegerdenkmälern und einzelnen, eher abstrakten republikanischen Objekten wie dem Denkmal für die Märzgefallenen (1922) in Weimar von Walter Gropius oder dem Berliner Revolutionsdenkmal (1926) von Ludwig Mies van der Rohe. Intensiv diskutierte man über ein Reichsehrenmal für die Kriegstoten, das mal am oder im Rhein, mal bei Bad Berka in Thüringen, mal in Berlin verortet wurde. In diesem Zusammenhang entstand das Tannenberg-Denkmal in Ostpreußen, das 1927 in Anwesenheit des Reichspräsidenten Hindenburg eingeweiht wurde und an die sogenannte Tannenbergschlacht erinnern sollte. 1934 wurde es umgestaltet, um als Grabstätte für Hindenburg zu dienen. Die Nationalsozialisten beseitigten Denkmäler, die an die Republik erinnerten, wie das 1926 von Richard Scheibe geschaffene Ebert-Denkmal an der Paulskirche in Frankfurt am Main, das schon am 12. April 1933 entfernt wurde. Bei den Metallsammelaktionen im Zweiten Weltkrieg waren dann monarchische Denkmäler als Erstes betroffen – ganz im Sinne der Goebbels’schen Propaganda, dass mit den Kriegszerstörungen das alte Deutschland nun endgültig untergehe. Im Übrigen entstanden in der nationalsozialistischen Zeit nur relativ wenig neue Denkmäler, abgesehen von Kriegerdenkmälern und Hitler-Büsten, vielmehr sollte das gesamte Baugeschehen Denkmalcharakter annehmen. Zahlreiche monumentale Planungen mit Denkmalcharakter – Stadtumgestaltungen, Aufmarschplätze, „Reichshauptstadt Germania“, das Nürnberger Parteitagsgelände, Kriegerburgen in den besetzten Gebieten – blieben allerdings unvollendet.
Der Eindruck der gigantischen Formate und der überladenen Symbolik des „Dritten Reiches“ war so nachhaltig, dass das Ende des Zweiten Weltkrieges als Zäsur in der deutschen Denkmalkultur erscheint, auch wenn in Westdeutschland – anders als in Ostdeutschland – Denkmalzeugnisse monarchischer und militärischer Tradition fast unangetastet überlebten. Neue Denkmäler wurden zwar kaum errichtet, aber nur selten, vor allem im Umfeld der 68er-Bewegung, kam es zu Grundsatzdebatten um überlieferte Objekte. Nach dem Zusammenbruch der DDR wurde kontrovers und mit unterschiedlichen Resultaten über die Beseitigung von Relikten des sozialistischen Heroenkults debattiert, ablesbar etwa an Lenin-, Thälmann- und Marxdenkmälern. Neue Personendenkmäler blieben weiterhin eine Ausnahme – wie Konrad Adenauer (1995) in Köln oder Willy Brandt (1997) in der Berliner SPD-Zentrale – und wirkten alles andere als heroisch. Eher möblierenden Charakter hatte die nicht unbeträchtliche Anzahl biedermeierlich anmutender Denkmalobjekte, die an lokale Traditionen, Geschichtsfiguren und Symbole erinnerten, z. B. „Eierfrau“ oder „Schweinehirt“.
Seit der Jahrhundertwende zeichnet sich in Deutschland eine Neuorientierung ab: Denkmäler erinnern nun an Verfolgte und Opfer. Dazu zählt des Holocaust-Denkmal in Berlin (2005), das ebenfalls in Berlin entstandene Denkmal zur Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus (2008) oder das Kölner Denkmal, das an Deserteure erinnert (2009). Diese Objekte verzichten vollends auf einen heroisierenden oder idealisierenden Grundton; sie stiften Gemeinschaft über das Besinnen auf eine belastete Geschichte. Das neue Berliner Ehrenmal für Soldaten der Bundeswehr (2009), die ihr Leben bei Auslandseinsätzen verloren haben, stellt nur scheinbar eine Ausnahme dar; es passt insofern in die Reihe, als es ebenfalls heroische Gesten vermeidet.
Ist Deutschland damit in einem postheroischen Zeitalter angekommen, die Suche nach Helden und Vorbildern für die Gemeinschaft nun vollends obsolet? Nicht ganz: Die jüngste, aus postkolonialer Perspektive geführte Diskussion um belastete Denkmäler und Straßennamen weist auf anderes hin: Namen werden gelöscht, wenn und weil sie als Erinnerungszeichen von Kolonialismus und Rassismus gelten, etwa in Berlin die Lüderitzstraße oder das Gröbenufer. An ihre Stelle treten Namen, die an Widerstand und Opfer deutscher Kolonialherrschaft wie die Cornelius-Fredericks-Straße oder an schwarze Deutsche wie das May-Ayim-Ufer in Berlin-Kreuzberg erinnern. Hier wird ein gegenheroisches Narrativ gestiftet, das auf eine Umcodierung der nationalen Erinnerungslandschaft im Zeitalter von Globalisierung, Migration und Postkolonialismus zielt. Dahinter steht die fortwährende und unvermeidliche Auseinandersetzung um Erinnerungshegemonie und um die ideellen Fundamente des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.
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