Roll over Beethoven

Musik und Politik nach 1945 im Haus der Geschichte in Bonn

Ob Ludwig van Beethoven ein politischer Künstler war, ist eine viel diskutierte Frage. Doch spätestens seit 1985 scheint sie beantwortet: Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft küren Beethovens „Ode an die Freude“ zur Europahymne. Eine eigens geschaffene Instrumentalfassung – also ohne den deutschen Text – soll Ausdruck der gemeinsamen Werte wie Freiheit, Frieden und Solidarität sein.

 

Posthum erfährt der Komponist eine politische Vereinnahmung, die er zu Lebzeiten mehrfach selbst provoziert hat – ob mit seiner wütend ausradierten Widmung der „Eroica“ an Napoleon oder der Feier von dessen Niederlage in dem musikalischen Schlachtengemälde „Wellingtons Sieg“.

 

Wie politisch kann Musik sein? Wie mobilisiert sie, wie agitiert sie? Wie stiftet sie Zusammenhalt oder bringt Protest zum Ausdruck? Diesen Fragen geht die Ausstellung „Hits und Hymnen. Soundtrack der Zeitgeschichte“ im Bonner Haus der Geschichte nach, die noch im Beethoven-Jahr eröffnet werden soll.

 

Der 250. Geburtstag des Komponisten ist Anlass, sich dem spannungsreichen Wechselspiel von Musik und Politik nach 1945 zuzuwenden. Dabei sind Beethoven und sein Werk immer wieder Referenz: von Chuck Berry, der 1956 mit dem Song „Roll over Beethoven“ das musikalische Aufbegehren seiner Generation zum Ausdruck bringt, bis zu einer Protestaktion 2015 am Braunkohletagebau Hambach, bei der die „Pastorale“ erklingt. Ausgewählte Beispiele für die politische Beethoven-Rezeption sind die Folie, vor der die Ausstellung sich ihrer grundsätzlichen Fragestellung nach dem Verhältnis von Musik und Politik widmet.

 

So wie Beethoven Kind seiner Zeit war und sich zwischen Revolution und Restauration bewegt hat, so prägt jede Zeit ihre Musik – ebenso wie jede Musik ihre Zeit prägt. Ohne Musik sind etwa die Protestbewegungen der 1960er Jahre kaum vorstellbar. Vorbildern wie Bob Dylan, Joan Baez oder John Lennon folgend, unterstützt auch deutsche Musik zunehmend politische Proteste. Eine Liedermacherszene um Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp und Hannes Wader erreicht zwar kein Massenpublikum, prägt aber die linke Protestkultur. Auch Rechtsextremisten nutzen Musik zur Mobilisierung ihrer Anhängerschaft. Seit den späten 1970er Jahren wirbt die Szene vor allem bei Jugendlichen mit ihrer Musik, verteilt in den 1990er Jahren sogenannte Schulhof-CDs und provoziert damit ihrerseits musikalische Opposition. Udo Lindenberg, BAP oder Die Toten Hosen prangern in ihren Liedtexten rechtsextreme Gewalt und Fremdenhass an. Festivals wie „Rock gegen Rechts“ seit 1979 oder die Kampagne „Arsch huh, Zäng ussenander!“ seit 1992 entstehen, jüngstes Beispiel ist das „#wirsindmehr-Konzert“ im September 2018 in Chemnitz.

 

Das Selbstverständnis des Staates sinnlich zu vermitteln, diese Aufgabe kommt Nationalhymnen zu. In der jungen Bundesrepublik dringt Bundespräsident Theodor Heuss deshalb auf eine historisch unbelastete Hymne. Bevor 1952 die Entscheidung für das „Lied der Deutschen“ fällt, von dem nur die dritte Strophe gesungen wird, erklingen bei offiziellen Anlässen Beethovens „Ode an die Freude“ oder der Karnevalsschlager „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“. Die DDR geriert sich derweil als das neue, bessere Deutschland: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“ heißt es in der Nationalhymne, die jedoch ab Anfang der 1970er Jahre nur noch instrumental zu hören ist, da der SED die Zeile „Deutschland einig Vaterland“ politisch nicht mehr opportun erscheint. Erst ab Januar 1990 ist die Staatshymne der DDR erneut mit Text im Rundfunk zu hören. Zur inoffiziellen Hymne des Mauerfalls aber wird der Scorpions-Hit „Wind of Change“.

 

Wichtiger Bestandteil staatlicher Repräsentation und Symbolik ist auch Militärmusik. Ihr Einsatz und ihre Wahrnehmung in DDR und Bundesrepublik könnten unterschiedlicher nicht sein. Während die Nationale Volksarmee auf Paraden Lieder wie „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ spielt und damit die propagierte Einheit von Volk und Armee zur Schau stellt, ist die Bundeswehr mit ihrer Musik in der Öffentlichkeit lange Zeit wenig präsent. Militärisches Zeremoniell zeigt sie vor allem in Kasernen oder zu besonderen Anlässen. Zudem lösen die Liederbücher der Bundeswehr wiederholt kon-troverse Debatten aus. Heute wird Militärmusik in der Bundeswehr von nicht weniger als 14 Klangkörpern gepflegt, das Repertoire reicht von Klassik über Swing bis zu populärer Musik.

 

Musik und Politik stehen nicht nur zu Beethovens Lebzeiten in einem spannungsreichen Verhältnis. Für die Zeit von 1945 bis zur Gegenwart bietet die Bonner Ausstellung „Hits und Hymnen. Soundtrack der Zeitgeschichte“ vielfach Gelegenheit, diesem Wechselspiel nachzugehen, dabei viel Musik zu hören und einige speziell entwickelte multisensorische Angebote auszuprobieren. Denn Musik weckt Emotionen, die politisch genutzt werden können, aber nicht müssen.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 5/20 erschienen.

Thorsten Smidt
Thorsten Smidt ist Ausstellungsdirektor der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
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