Schalom Aleikum, Deutschland!

Jüdisch-muslimischer Dialog

Häufig kommt die Frage auf, wie es um den jüdisch-muslimischen Dialog in Deutschland stehe. Seit Jahren und Jahrzehnten gibt es einen meist losen Austausch zwischen jüdischen und muslimischen Funktionären auf gesellschaftlicher oder zwischen Imamen und Rabbinern auf religiöser Ebene. Meist ist es kein institutioneller, aber in aller Regel ein professioneller Austausch.

 

Will man jedoch auch Kontakte jenseits dieser Ebene erzeugen, muss man Menschen an der Basis, in ihrem Alltag und mit ihren individuellen Interessen zusammenbringen. So entstand im Zentralrat der Juden in Deutschland die Idee für „Schalom Aleikum. Jüdisch-muslimischer Dialog“. Schon der Projektname, der sich aus einem hebräisch-arabischen Wortspiel speist, vermittelt Offenheit und die Einladung zu einem Dialog auf Augenhöhe.

 

Und genau das war die Idee. Um den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und auszubauen, ist es unumgänglich, sich kennenzulernen und Vorbehalte abzubauen. Vorbehalte und Vorurteile, die seit Generationen in den Köpfen verhaftet zu sein scheinen.

 

Dabei haben wir uns auch mit der Frage nach Ressentiments gegenüber Juden unter Muslimen auseinandergesetzt. Denn zu leugnen, dass es sie gäbe, wäre naiv. Doch wir haben schnell erkannt, dass es hierzulande viele Muslime gibt, die große, vielleicht manchmal etwas stille Mehrheit, die sich nicht einzwängen will in Vorurteile. Mit diesen Menschen wollen wir sprechen. So kann der jüdisch-muslimische Dialog ein wirksames Präventionsmittel gegen Antisemitismus sein. „Der gemeinsame Dialog zwischen Juden und Muslimen trägt dazu bei, Vorurteile und Ressentiments gar nicht erst entstehen zu lassen“, war auch die Hoffnung der Staatsministerin für Integration, Annette Widmann-Mauz, ohne deren Förderung das Projekt gar nicht zustande gekommen wäre.

 

Gestartet ist das Projekt im Frühsommer 2019. Eine der ersten und größten Herausforderungen dabei war: Wie können wir das Vertrauen der Muslime für das Dialogprojekt des Zentralrats der Juden gewinnen? Der Schlüssel zum Erfolg war die Schaffung von direkten Begegnungsräumen zwischen Menschen – jenseits der politisch manchmal schwierigen Ebene von Funktionären oder Verbänden. Es sollten sich Menschen treffen, keine Ämter oder Funktionen.

 

Mit Schalom Aleikum streckte die jü­dische Gemeinschaft den in Deutschland lebenden Muslimen die Hand aus: „Schalom Aleikum – Friede sei mit euch!“ Paritätische jüdisch-muslimische Begegnungen auf Augenhöhe sollten den Mittelpunkt des Projekts bilden. Ärzte sprechen mit Ärzten, junge Unternehmer mit jungen Unternehmern, Frauen mit Frauen, Senioren mit Senioren, Sportler mit Sportlern, Gastronomen mit Gastronomen, Queers mit Queers und Jugendliche mit Jugendlichen. Vor der Corona-Pandemie fanden die Formate deutschlandweit, überwiegend in den jüdischen Gemeindezentren statt, die auf diese Weise auch dialogisch gestärkt werden sollten. Mittlerweile müssen wir wie alle anderen auch auf Reisen und direkte Begegnungen verzichten. Einen Abbruch hat das unserer Arbeit nicht getan. Begegnungsräume digital zu kreieren, ist eine Herausforderung für sich, bietet aber auch enorme Chancen. So können Leute erreicht werden, die im analogen Kontext möglicherweise nie zusammengekommen wären.

 

„Schalom Aleikum“ war von Beginn an behaftet mit Risiken und Erwartungen zugleich. Nichts ist enttäuschender, als einen Dialog zusammenschrumpfen zu müssen, weil niemand mit einem reden will. Gleichzeitig war die Erwartungshaltung riesig. Wir hörten des Öfteren: Wenn es eine Institution wie der Zentralrat der Juden nicht schafft, die Menschen zusammenzubringen, wer soll es sonst können? Doch die große und vor allem großartige Resonanz übertraf alles. Die Zahl der Gäste, die Stimmung auf den Podien, die Reichweite in den sozialen Medien und die sich daraus entwickelnde Medienpräsenz beweisen, dass man sich nicht abschrecken lassen darf. Jede einzelne Begegnung bescherte uns immer neue Partner auf muslimischer Seite. Denn es sprach sich bald herum, dass der Zentralrat der Juden mit einem jungen und diversen Projektteam unterwegs ist, das offen, empathisch und vertrauensvoll agiert.

 

Einer der emotionalen Höhepunkte des Dialogprojekts war für uns, als muslimische Senioren, die einst als „Gastarbeiter“ gekommen und als Bürger geblieben sind, beim Gemeindetag 2019 zu Besuch waren und uns Gastgeschenke mitbrachten. Aus Dankbarkeit und Anerkennung für den wertschätzenden und ehrlichen Dialog.

 

Doch der Dialog allein reicht nicht. Gute Begegnungen ohne einen nachhaltigen und strukturellen Rahmen schaffen noch keinen gesellschaftlichen Frieden. Mit „Schalom Aleikum“ gehen wir mit wirkungsorientiertem Denken und fortschrittlichem gesellschaftlichen Handeln genau diesen weiteren Schritt. Wir wollen Perspektiven schaffen, die über die Dialogformate hinausreichen. Deswegen steht das Projekt auf einem soziologischen Fundament. Wir führen in Zusammenarbeit mit „Forsa“ Umfragen durch, die wichtige und relevante Stimmungsbilder liefern. Ziel ist es herauszufinden, wo der jüdisch-muslimische Dialog steht, welche Bereiche relevant sind, welche Herausforderungen bestehen und was in der Zukunft möglich ist. Hieraus entwickeln wir Konzepte, wie man im Bildungsbereich den Dialog erfolgreich und vor allem konkret gestalten kann. Denn nur mit Vertrauen, einer soliden Basis und nachhaltigen Strukturen kann der gesamtgesellschaftliche Zusammenhalt mit Leben gefüllt werden. Dies alles halten wir auch in einer Publikationsreihe fest.

 

Wenn wir über Antisemitismus sprechen, dürfen wir die feindseligen Zustände, denen sich an vielen Orten Muslime und Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland verstärkt ausgesetzt sehen, nicht vergessen. Die rechtsterroristischen Anschläge von Halle und Hanau haben das einmal mehr sehr deutlich vor Augen geführt. Wir haben weiterhin viel zu tun.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2021.

Daniel Botmann
Daniel Botmann ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland.
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