Rap, Verschwörungsmythen und Antisemitismus

Der Rapper Ben Salomo im Gespräch

Am 9. Oktober 2020 – zum Jahrestag des Attentats auf die Synagoge in Halle/Saale – haben Sie den Song „Deduschka“, auf Deutsch „Großvater“, veröffentlicht. Worum geht es?

Der Song entstand aus einem Wutmoment heraus. Ich führe in dem Lied eine Art Zwiegespräch mit meinem inzwischen verstorbenen Großvater, der ja der Grund ist, warum ich heute in Deutschland lebe. Der Vertrauensvorschuss, den er Deutschland gegeben hat, ist der Grund, weswegen mein Leben sich in Deutschland abspielt. Und in diesem Zwiegespräch mit ihm versuche ich zu reflektieren und zu verarbeiten, dass sein Vertrauensvorschuss mir inzwischen vollkommen geraubt worden ist. Er ist schon einige Jahre tot und kann diese Entwicklung der letzten Jahre nicht miterleben und auch das, was ich als Jugendlicher schon erfahren habe, hat er nicht erlebt. Inzwischen habe ich gemerkt: Moment mal, so einfach ist das gar nicht mit dem „Nie wieder“. Wie viel Leben wird denn diesem „Nie wieder“ tatsächlich eingehaucht? Und wenn man feststellt, dass es viel zu wenig ist und vor allem oftmals eben gar nicht konsistent, dann braucht man sich nicht wundern, wenn der Vertrauensvorschuss dahin ist. Der Song spricht für sehr viele Jüdinnen und Juden in diesem Land. Ich habe zwei Kinder und möchte nicht, dass sie die gleichen Erfahrungen machen wie ich. Und dagegen muss ich angehen und die jüdische Perspektive dominanter ins Gedächtnis der Mehrheitsgesellschaft rufen.

 

„Deduschka“ ist der offizielle Song des Jubiläumsjahres „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Was bedeutet dieses Jubiläum für Sie? Und was erwarten Sie von dem Festjahr?

Es ist für mich ein Gefühl der Zerrissenheit, das muss ich ganz ehrlich sagen. Juden leben hier seit 1.700 Jahren. Für mich ist das nichts Neues. In der jüdischen Geschichte weiß man das. Ich habe die Befürchtung, dass einige dieses „Festjahr“ für sich instrumentalisieren möchten, um so zu tun, als sei doch 1.700 Jahre alles relativ harmonisch und friedlich gewesen und nur die Jahre zwischen 1933 und 1945 eben problematisch. Und das ist eine Perspektive und Geschichtsklitterung, die ich so niemals gut finden kann. Deswegen ist mein Gefühl sehr zerrissen. Wir könnten das viel mehr feiern, wenn wir die antisemitischen Vorfälle der letzten Jahre nicht hätten, wie Übergriffe auf Synagogen, antisemitische Gerichtsurteile, Israelfahnenverbrennungen. Die Lage ist sehr brenzlig und eine gigantische Aufgabe liegt vor uns. Selbst wenn wirklich ein Ruck durch Deutschland gehen würde, durch die Bevölkerung, durch die Mehrheitsgesellschaft, durch die Politik, wäre das noch eine gigantische Aufgabe.

 

Zum Abschluss eine Frage zu der vom Deutschen Kulturrat moderierten Initiative kulturelle Integration. Die 15 Thesen der Initiative kulturelle Integration tragen den Titel „Zusammenhalt in Vielfalt“. Was bedeutet für Sie persönlich „Zusammenhalt in Vielfalt“ und welche der 15 Thesen ist Ihre „Lieblingsthese“?

Also, von diesen ganzen 15 Thesen finde ich aktuell These 8 „Die freiheitliche Demokratie verlangt Toleranz und Respekt“ wunderbar. Vor allem weil in dem Begleittext zur These steht, dass man diese Toleranz und diesen Respekt gegenüber Intoleranz auch verteidigen muss. Zum Beispiel, dass man Extremismusformen in keinem Bereich duldet. Auch die These Nummer 15 „Kulturelle Vielfalt ist eine Stärke“ gefällt mir sehr. Denn ich denke, viele, viele Hände können gemeinsam, wenn sie in Synergien arbeiten, sehr viel erreichen. Vor Beginn der Corona-Pandemie hatte ich das erste Mal seit langer Zeit das Gefühl, die Bekämpfung von Antisemitismus bekommt Aufwind, geht in die Offensive. Ich habe schon das Gefühl, dass wir mehr sind. Und es werden immer mehr Leute, die sagen: „Es reicht!“ Und das ist wichtig.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2021.

Ben Salomo & Kristin Braband
Ben Salomo ist ein aus Israel stammender Rapper und Songwriter. Kristin Braband ist Referentin für kulturelle Integration beim Deutschen Kulturrat.
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