Jüdische Kultur in Rheinland-Pfalz sichtbar machen

Drei Fragen an Anne Spiegel, Ministerin für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz in Rheinland-Pfalz

Die Sonderausstellung „Jüdisches Leben in Rheinland-Pfalz“ will den Blick zurück und nach vorne lenken. Politik & Kultur fragt die federführende Ministerin für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz des Landes Rheinland-Pfalz, Anne Spiegel, wie sich dies gestaltet.

 

Was zeigt die neue multimediale Sonderausstellung „Jüdisches
Leben in Rheinland-Pfalz“?

Die Ausstellung soll einen Einblick in die Vielfalt modernen jüdischen Lebens in Rheinland-Pfalz geben. Das stellen wir vor allem über die Filmporträts dreier junger Frauen vor. Sie zeigen, wie facettenreich modernes junges Judentum ist.

Gleichzeitig wirft die neue Ausstellung aber auch einen Blick zurück in die 1.700 Jahre alte Geschichte des Judentums in Rheinland-Pfalz und bringt Besucherinnen und Besuchern die Geschichte der sogenannten SchUM-Städte, Mainz, Worms und Speyer, näher. Mir war es ein Anliegen, mit der Ausstellung die jüdische Kultur und das Leben von Jüdinnen und Juden heute in Rheinland-Pfalz sichtbar zu machen, weil viele Menschen im Alltag immer noch wenige Berührungspunkte mit ihnen haben.

Gleichzeitig war es mir wichtig, dass wir in der Ausstellung auch auf den leider in den letzten Jahren verstärkt sichtbaren Antisemitismus eingehen. Es ist traurige Wirklichkeit: Die Zahl der Angriffe auf Jüdinnen und Juden steigt. In Deutschland gibt es Anschläge, Angriffe und Alltagsantisemitismus.

Von dieser Entwicklung ist auch Rheinland-Pfalz betroffen. Das alles sind Angriffe auf unsere offene, demokratische Gesellschaft. Jede und jeder Einzelne von uns ist deshalb gefragt, diesem aufkeimenden Antisemitismus entgegenzutreten. Dabei ist es besonders wichtig, dass wir junge Menschen für das Thema sensibilisieren.

 

Welche Rolle und Bedeutung nehmen dabei die SchUM-Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz ein?

Die SchUM-Städte haben in der rheinland-pfälzischen Geschichte des Judentums eine besondere Bedeutung, deshalb haben wir ihnen auch gebührenden Platz in der Ausstellung eingeräumt. Ab dem 10. Jahrhundert gründeten Jüdinnen und Juden aus Italien und Frankreich in diesen drei alten Bischofsstädten ihr „Jerusalem am Rhein“. Trotz Angriffen auf die jüdischen Gemeinden, etwa während des ersten Kreuzzugs, entwickelten sich Speyer, Worms und Mainz dann im hohen Mittelalter zum Zentrum west- und mitteleuropäischen Judentums. Noch heute kommen Jüdinnen und Juden aus der ganzen Welt, um etwa den Heiligen Sand in Worms zu besuchen, den ältesten in situ erhaltenen jüdischen Friedhof in Europa. Rheinland-Pfalz setzt sich schon seit 2006 gemeinsam mit den drei Städten sowie den jüdischen Gemeinden in Mainz und Speyer und dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden im Verbund des SchUM-Städte e.V. für eine Anerkennung der SchUM-Stätten als UNESCO-Weltkulturerbe ein. In diesem Sommer werden wir voraussichtlich wissen, ob der Antrag Erfolg hat. Aus meiner Sicht wäre die Anerkennung ein wichtiges Zeichen, um sichtbar zu machen, welch wichtiger Teil unserer Kultur das Judentum ist.

 

Was macht jüdisches Leben heute in Rheinland-Pfalz aus?

Jüdisches Leben ist in Rheinland-Pfalz heute vor allem vielfältig. Die Jüdinnen und Juden leben religiös oder säkular. Sie engagieren sich in ihren Gemeinden oder Vereinen und sind fest in Rheinland-Pfalz verwurzelt. Modernes jüdisches Leben hat zudem einen ganz wesentlichen Schub durch Migration aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion erhalten. Von 1999 bis 2011 hat sich die Zahl der rheinland-pfälzischen Jüdinnen und Juden vor allem aufgrund dieser Migration mehr als verdoppelt: von 1.500 auf 3.300. Das hat die jüdischen Gemeinden neu belebt. In meiner Heimatstadt Speyer haben Jüdinnen und Juden, die aus Osteuropa stammen, 1996 sogar eine ganz neue Gemeinde gegründet. Jüdisches Leben findet aber eben auch außerhalb der Kultusgemeinden statt. Hier zeigen wir in der Online-Ausstellung auch das Ringen der jungen Generation um ihr religiöses Erbe. Eine von uns porträtierte junge Frau geht voll im Gemeindeleben auf, es gibt ihr Kraft. Eine andere Porträtierte definiert ihre jüdische Identität dagegen weniger über die Religion als über das jüdische Brauchtum.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2021.

Anne Spiegel
Anne Spiegel ist Ministerin für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz des Landes Rheinland-Pfalz.
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