Zukunftsaufgabe Inklusion

Kultur braucht Inklusion – Inklusion braucht Kultur

Die Forderung von Hilmar Hoffmann „Kultur für alle“ konnte bis heute nicht erfolgreich umgesetzt werden: Denn vor allem Menschen mit Behinderung haben in vielen Bereichen immer noch keinen gleichberechtigten Zugriff auf kulturelle Angebote, noch können sie Kunst und Kultur gleichberechtigt mitgestalten.

 

Dass sich jedoch zunehmend Akteure des Kulturbereichs auf den Weg zu inklusiveren Zugängen machen, verdeutlichte eine Tagung des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen in Kooperation mit dem Deutschen Kulturrat.

 

Auf der Tagung wurde aber auch deutlich: Inklusion ist kein „nice to have“, sondern ein verbrieftes Menschenrecht, ratifiziert im Rahmen der UN-Behindertenrechtskonvention – und es kann uns alle angehen: So hat ein Großteil der Menschen mit Behinderung in Deutschland eine Behinderung erst im Lebensverlauf erworben.

 

Was also ist für eine inklusive Kulturpolitik, die auch die Teilhabe von Menschen mit Behinderung sichert, vonnöten? Hierzu möchte ich im Folgenden sieben Thesen aufstellen:

EINE Wahrheit ist …

 

These 1: Menschen ohne Behinderung haben Menschen mit Behinderung immer noch nicht ausreichend im Blick!

 

Daher sind „Betroffene“ vielfach die eigentlichen „ Helden“ und Pioniere der inklusiven Kulturarbeit. So sind viele erfolgreiche Initiativen inklusiver Kulturarbeit vor allem von Betroffenen und betroffenen Familienangehörigen ins Leben gerufen worden, die alternative kulturelle und künstlerische Zugänge für sich, das eigene betroffene Kind oder aber für Betroffene ihres sozialen Umfelds entwickelten, wie beispielsweise das Blaumeier-Atelier in Bremen, das Theater RambaZamba oder daraus entstandene Netzwerke wie Eucrea.

 

Wie sich Perspektiven von Menschen ohne Behinderung durch Menschen mit Behinderung im konkreten Umfeld verändern können, dafür ist ein Ereignis in der Palucca-Hochschule für Tanz symp­tomatisch. Eine Studierende war kurz vor ihrer Abschlussprüfung gelähmt, sodass sie infolge auf einen Rollstuhl angewiesen war. Ihr wurde dennoch die Chance gegeben, ihren Bachelor-Abschluss zu machen. Sie tanzte auf einem Stuhl und auf dem Boden.

 

These 2: Es ist daher wichtig, Menschen mit und ohne Behinderung zur gemeinsamen Strategieentwicklung an einen Tisch zu setzen.

 

Die Barrieren einer Einrichtung erschließen sich Menschen mit Behinderung wesentlich besser als Menschen, denen diese Perspektive fehlt. Dies gilt auch für die Potenziale, die Menschen mit Behinderung künstlerisch und kulturell einbringen können.

 

Es gilt daher, wie auch bezogen auf gleichberechtigte Teilhabe anderer Gruppen: Nicht über, sondern miteinander sprechen, um neue Formen des Miteinanders auszuhandeln! Dies ist auch das Leitprinzip des Netzwerks Kultur und Inklusion, gefördert von der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien (BKM) und getragen von der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW sowie von InTakt e.V. Es geht hier im Kern um einen Austausch zwischen Pionieren inklusiver Kulturarbeit, betroffenen Künstlern und Entscheidungsträgern im Kulturbereich. Ziel ist es, gemeinsam Strategien zu einzelnen Handlungsfeldern zu entwickeln wie künstlerische Ausbildung oder Arbeitsmarktzugänge, um Barrieren abzubauen.

 

These 3: Inklusive Kulturarbeit bedarf besonderer Förderperspektiven und ein konsequentes Monitoring.

 

Für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bedarf es einer Haltung, aber auch zusätzlicher finanzieller Mittel, die Gebärdensprache, Abbau von baulichen Barrieren, Assistenzen bei Künstlerstipendien etc. ermöglichen. Diese zusätzlichen Mittel müssen auch für den Kulturbereich systematisch erschlossen werden.

 

Neben dem Einbeziehen von Perspektiven von Menschen mit Behinderung und zusätzlicher Fördermittel bedarf es aber auch eines konsequenten Monitorings zu den Fortschritten der Inklusion im Kulturbereich. Nur auf einer Metaebene können Erfolge und Defizite empirisch sichtbar gemacht werden. Den wichtigen Stellenwert solcher empirischer Bestandsaufnahmen, um Entwicklungen aufzuzeigen, bewies schon sehr eindrücklich die Reihe „Frauen im Kultur- und Medienbereich“, in dem der Frauenanteil im Kulturbereich auf allen Ebenen sichtbar gemacht wurde. Insofern verwundert es nur auf den ersten Blick, wenn auf der eingangs erwähnten Tagung auch Ben Evans, Head of Arts & Disability in der EU-Region vom British Council und Projektleiter von Europe Beyond Access, auf die Frage nach entscheidenden Maßnahmen auf den Weg zu einer inklusiven Gesellschaft, das Monitoring als eine zentrale Maßnahme hervorhob.

 

Und dieses Monitoring sollte sich nicht nur auf das erreichte Publikum beziehen, sondern explizit auch auf den Arbeitsmarkt. Denn …

Susanne Keuchel
Susanne Keuchel ist ehrenamtliche Präsidentin des Deutschen Kulturrates und Hauptamtlich Direktorin der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW.
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